„Rodéo“ von Lola Quivoron: Die erste Bikerin beim illegalen Rennen
Kino Im Mittelpunkt des Langfilmdebüts „Rodéo“ der französischen Regisseurin Lola Quivoron steht eine Frau, die für Motorräder und schnelle Rennen brennt. Ein rasanter, gefährlicher Film und die Untersuchung einer hypermaskulinen Subkultur
In einer männerdominierten Subkultur kommen die wenigsten damit klar, es plötzlich mit einer Frau zu tun zu haben
Foto: Plaion Pictures
Julia (Julie Ledru) ist wütend, zumindest die meiste Zeit über. Das Gesicht der jungen Frau, unter der ungekämmten Lockenmähne oft kaum zu sehen, ist nur dann nicht von ständig schwelendem Zorn gezeichnet, wenn sie fest im Sattel eines Motorrads sitzt. Alles andere verblasst dagegen – keine Zeit für fundamentale Körperhygiene oder gar einen geregelten Alltag. Geradezu süchtig scheint sie nach den berauschenden Gefühlen zu sein, die das Fahren in ihr auslöst.
Das offenbart bereits die rasante Auftaktsequenz von Lola Quivorons temporeichem Langfilmdebüt. Wie im Wahn stürmt Julia aus ihrer Wohnung, pöbelt und wütet gegen die Männer um sie herum, nachdem ihr offenbar ihre Maschine gestohlen wurde. Die wackelige Kam
kelige Kamera und schnelle Schnitte übertragen ihre Aufregung, wirken ähnlich in Wallung versetzt.Erst als sie über eine Anzeige einen ahnungslosen Verkäufer ausfindig macht und ihn unter dem Vorwand, vor einer Kaufentscheidung nur eine kleine Spritztour unternehmen zu wollen, um sein Motorrad gebracht hat, beruhigt sich die Kamera vorübergehend. Allein auf Julia gerichtet, fängt sie die frenetische Freude ein, die sie auf ihrer Flucht über abgelegene Wege durchfährt.Was es genau ist, das ihren Furor befeuert, und wieso ihn ausgerechnet Motorräder besänftigen, deckt Rodeo nicht auf. Der Film interessiert sich, darin ist er seiner Protagonistin sehr ähnlich, ausschließlich für den Moment. Und in dem zählt einzig das Fahren, hohe Geschwindig- und andere Waghalsigkeiten, die den Adrenalinspiegel nach oben treiben.Wohl auch, weil es nach wie vor eine filmische Seltenheit ist, dass sich Frauenfiguren in die Welt des Motorsports vorwagen und gar mit voller Hingabe einer Faszination für Fahrzeuge verfallen, wurde der Film bereits nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 auffallend häufig mit Titane verglichen, für den die französische Filmemacherin Julia Ducournau 2021 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden war (der Freitag 40/2021).Es ist ein verfehlter Vergleich, der falsche Erwartungen weckt, denn die beiden Filme haben – vom Herkunftsland einmal abgesehen – wenig gemein. Wo Ducourneaus aufwühlender Body-Horror mit einem Feuerwerk an irrwitzigen Wendungen aufwartete, in denen sich das Auto nach einem frühkindlichen Trauma für Alexia (Agathe Rousselle) zum Objekt der Begierde entwickelt, das sogar dazu imstande ist, ein Kind zu zeugen, folgt Quivorons naturalistisches Drama seiner Heldin mit ungeschönt-realistischem Blick in das maschinenbesessene Milieu eines prekären Vororts von Bordeaux.In dieses taucht Julia bereits einen Schnitt später ein, als sie mit dem gerade gestohlenen Bike bei einem titelgebenden „Rodeo“ angelangt ist. In Frankreich steht der Begriff für illegale Motorradtreffs, bei denen unter Höchstgeschwindigkeiten über eine abgelegene Straße geprescht und sich dabei an tollkühnen Stunts versucht wird.Eingebetteter MedieninhaltDie ausschließlich männlichen Fahrer reagieren größtenteils empfindlich auf Julias Anwesenheit und wollen sie am liebsten direkt von der Strecke verbannen. Als plötzlich die Polizei eintrifft, kommt es in den Wirren des ausgebrochenen Tumults zu einem tragischen Unfall. Kaïs (Yannis Lafki), Mitglied einer Biker-Gruppe namens Wings, hilft ihr, vom Ort des Geschehens zu fliehen, nachdem Julia zuvor versuchte, medizinische Hilfe zu leisten, von den umstehenden Männern aber unter einer wahrhaften Salve an frauenfeindlichen Beleidigungen davon abgehalten wurde.Der Gaunerei verschriebenAuch im Unterschlupf der Wings reagieren die meisten Männer abweisend bis aggressiv auf sie – erneut schlicht aufgrund der Tatsache, dass sich mit Julia eine Frau unter sie mischt. Dennoch lässt sie das Drehbuch, das Quivoron in Zusammenarbeit mit Antonia Buresi verfasste, in diese hypermaskuline Subkultur samt ihrem bisweilen lächerlich-machistischen Gehabe und ihren eigenwilligen Riten eintauchen.Weshalb Julia sich bis aufs Blut der Gruppe und ihren Gaunereien verschreibt? Vielleicht auch aus finanzieller Not, aber der Film setzt hier ebenfalls mehr voraus, als er durch Beobachtung preisgibt. „Ich wurde mit einem Motorrad zwischen den Beinen geboren“, erklärt Julia an einer Stelle. Dass sie aus Guadalupe stammt, an einer anderen. Mehr erfährt man nicht über sie.Bald wird Julia sogar Teil der kriminellen Machenschaften der Gruppe, die Motorräder und -teile stiehlt, sie neu zusammenbaut und weiterverkauft. Angeleitet wird sie dabei von einem ominösen Domino (Sébastien Schroeder), der seine Anweisungen via Videoanruf von seiner Gefängniszelle aus erteilt und von dort aus sogar seine Frau Ophélie (Drehbuchautorin Antonia Buresi) – die einzige andere weibliche Figur im männlichen Kosmos – streng kontrolliert. Statt auf die vorsichtigen Avancen Kaïs zu reagieren, wird sich Julia mehr für Ophélie interessieren. Aber, man ahnt es bereits, gegen das Motorrad verblasst nun mal alles.Während es zu Beginn durchaus reizvoll ist, dass allein Bildsprache und die vielsagend-kraftvolle Mimik der Hauptdarstellerin Julie Ledru einen tieferen Einblick in das enigmatische Seelenleben der Protagonistin erlauben, leidet der Film später am Mangel der Figurenentwicklung. Anstatt die Begeisterung ihrer Hauptfigur für Maschinen und Motoren zu ergründen, gibt sich der Plot damit zufrieden, eine Frau in einer Männerdomäne zu präsentieren.Der etwas abgedroschene Aphorismus „Finde, was du liebst, und lass dich davon töten“, kommt einem unweigerlich als mögliches Leitmotiv des Films in den Sinn. Aus weiblicher Perspektive durchexerziert, erhofft sich Quivoron – laut eigenen Aussagen selbst begeistert von besagten Rodeos und ernüchtert darüber, dort noch nie eine Frau gesehen zu haben – mindestens einen gewissen Neuigkeitswert und darüber hinausgehend sogar eine feministische Tragweite für ihren Film.Die Idee einer fortschrittlichen Gleichheit sollte sich allerdings nicht darin erschöpfen, dass Frauen die Dummheiten der Männer imitieren und destruktive Muster reproduzieren. Und so vermag Rodeo weder als Charakterstudie noch als seltener Einblick in ein ungewöhnliches Milieu so ganz zu überzeugen.Den überraschend starken schauspielerischen Leistungen des hauptsächlich aus Laien bestehenden Casts und einer kunstfertigen Kamera ist zu verdanken, dass Quivorons Debütfilm dennoch kurzweilig daherkommt und visuell imponiert. Vielleicht zieht man aus diesem Film das meiste Vergnügen, wenn man einfach mitgeht, die Fragen nach dem Warum ignoriert und Rodeo als das Liebhaberprojekt zu würdigen versucht, das es ist.Placeholder infobox-1