Schon der Titel I Am Greta legt nahe, dass Filmemacher Nathan Grossman durchaus damit liebäugelte, seine Protagonistin zur hippen Heldenfigur zur verklären; der fast größenwahnsinnig anmutende Untertitel A Force of Nature erst recht. Auch die Eröffnungsszene lässt befürchten, dass die folgenden knapp 100 Minuten vor Pathos triefen könnten. Die Teenagerin sitzt, etwas apathisch, am Steuer des schmalen Rennboots, das sie letzten Sommer zum Klimagipfel in New York brachte. Hohe Wellen brausen auf, ihr Getöse ist ohrenbetäubend, alles ist nass. Man fragt sich, wie sie zwei Wochen dort verharren konnte. Sie selbst vergleicht ihre Erfahrungen mit einem Traum oder einem surrealen Film.
Um die Bedeutung von Greta Thunbergs Mission noch zu unterstreichen, folgen Bilder von Umwelt- und Naturkatastrophen – lodernde Feuer, Flutwellen, alles ertränkender Regen. Es werden aber die einzigen Momente im Film sein, in denen der Klimawandel als solcher illustriert wird. Ansonsten geht es vor allem um die Aktivistin selbst. Mehr noch, und das ist wichtig, um ihr unermüdliches Mahnen vor der Katastrophe. I Am Greta zeigt ihren Einsatz als Kampf gegen Windmühlen, denn auch wenn ihr zugehört wird, wird ihr doch kein Gehör geschenkt – geschweige denn Konsequenzen aus dem Gehörten gezogen.
Sachbezogen und stoisch
Zurück ins Jahr 2018. Thunberg sitzt vor dem schwedischen Parlament, ihr berühmt gewordenes Plakat neben sich. Nur vereinzelt bleiben Passanten stehen. Warum sie denn nicht zur Schule gehe, Bildung sei doch wichtig?, fragt eine ältere Dame. „Wozu brauche ich Bildung, wenn es keine Zukunft gibt?“, entgegnet sie keck. Man fragt sich, ob ihre Aktion wirklich ab der allerersten Minute medial begleitet oder diese Szenen entsprechend nachgestellt wurden. Und welche dieser Optionen eigentlich die haarsträubendere wäre. Doch unter der scheinbaren Inszenierung blitzt immer wieder ein authentisches Bild der Teenagerin hervor.
Auch wenn Regisseur Grossman sich alle Mühe gibt, diese Szenen zur Emotionalisierung seiner Heldin zu nutzen, sind vor allem jene Momente interessant, in denen es um den außergewöhnlichen Charakter Thunbergs geht, der auch mit dem Aspergersyndrom zu tun hat: Wenn sie plötzlich nicht mehr spricht und auch auf Nachfragen ihres Vaters Svante nicht reagiert. Das könne stundenlang so gehen, dann sei es ihr schlicht nicht möglich, mit anderen zu interagieren. Selektiver Mutismus.
In diesen Situationen gibt sie sich keinesfalls als mitleiderregendes Opfer, sondern widrig, sachbezogen und stoisch. Beispielsweise in der Szene, in der sie mit ihrer Mutter zusammen backt. In Tränen aufgelöst sagt da die Mutter der Tochter, wie sehr sie sich freue, dass sie wieder unter Menschen essen könne. Von Greta keine Reaktion – keine Lust auf „Home Story“.
Zusammen mit der Hintergrundgeschichte, wie sie zu ihrem Engagement gegen gekommen ist, ergibt sich ein Bild, das sich wenig dazu eignet, Greta als hippe Lifestyle-Ikone zu vermarkten: Nachdem sie einen Film zum Klimawandel in der Schule sah, sei sie in eine tiefe, mehrjährige Depression gefallen, hätte Angstzustände bekommen und schlichtweg aufgehört zu essen, wäre sogar beinahe verhungert.
Thunberg möchte gar keine sympathische Heldin sein, so wird aus dem Film klar. Ihr geht es ausschließlich um die Sache. Wenn sie ihre Reden vorbereitet, bügelt sie die Einwände ihres Vaters ebenso rigoros wie barsch ab. Wenn Anhänger mit ihr Selfies machen wollen, wirkt sie irritiert, nicht selten entgleist ihr das Gesicht. Gegenüber Gleichaltrigen wird sie nicht müde zu betonen, dass sie all das für sich selbst täten, dass sie für die Sache und doch nicht ihretwegen hier wären.
Als sich dann rund um den Globus Abertausende ihrem Protest anschließen und Fridays for Future zur Bewegung wird, häufen sich auch die schulterklopfenden Politiker. Emmanuel Macron versichert sich mehrfach, dass er wirklich der erste Präsident sei, der sie einlade. Thunberg mahnt ihn, dass es die reichsten Länder seien, die etwas ändern müssten. Den Armen müsse man hingegen zugestehen, ihren Lebensstandard zu verbessern. Darauf nickt und lächelt er freundlich, Pressevertreter schießen ihre Fotos. Die junge Aktivistin merkt selbst, dass es zwecklos ist. Andere, wie Papst Franziskus, bekräftigen sie mit (groß-) väterlichem Großmut in ihrem Engagement. Bei wieder anderen schlägt die Unbeholfenheit gegenüber der steigenden Popularität der Aktivistin in Hass um: Putin, Trump und Bolsonaro nennen ihre Mahnungen „Nonsens“.
Wie könnt ihr nur?
Doch zum Verzweifeln bringen sie, auch das wird klar, eher diejenigen, die ihr zuhören und doch nichts tun. Der Frust darüber ist ihr zusehends anzumerken. Beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss verzagt sie darüber, nur als Alibi missbraucht zu werden, in Straßburg beginnt sie zu weinen, in New York angekommen ist sie wütend. Nachdem man gesehen hat, welche Tour de Force an Kongressen, Podiumsdiskussionen und Audienzen sie bereits hinter sich hatte, wundert ihr „How dare you!“ wirklich nicht mehr.
Am Ende hat sich der Film alle Mühe gegeben, Thunberg zur Heldin zu stilisieren. Doch wirklich neue Erkenntnisse zur Biografie liefert I Am Greta nicht – glücklicherweise, denn so wird die Aufmerksamkeit auf die Sache gelenkt. So kommt es, dass man den Titel nach dem Film auch ganz anders versteht. Man fühlt sich nämlich eher an die bekannte Szene aus Spartacus erinnert, in der das „Ich bin ...“ zur politischen Erklärung wird. „Ich bin Greta!“ – Fridays for Future sind längst zur Bewegung geworden, die über ihre Schirmherrin hinausgewachsen ist. Greta Thunberg wird das nur recht sein.
Info
I Am Greta Nathan Grossman Schweden 2020, 97 Minuten
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