Die ausgefallene Lesung

Lisa Eckhart Bei der Eröffnung des Harbour Front Literatur Festivals in der Elbphilharmonie lässt es sich Navid Kermani nicht nehmen, Kritik an der Ausladung Lisa Eckharts zu äußern.

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Dabei nimmt er sich zwei Jungautoren vor, die sich nach Angaben der Festivalmacher um Nikolaus Hansen geweigert haben sollen, mit Lisa Eckhart eine Bühne zu teilen. Nun hat besagter Hansen auch schon den schwarzen Block ante portas vor dem Nochtspeicher erfunden, statt einfach einen anderen Auftrittsort festzulegen, wie dies vom Nochtspeicher und vom Management Lisa Eckharts unabhängig voneinander vorgeschlagen worden war.

Die eigene Intoleranz an den schwarzen Block zu delegieren, war wohl zu verlockend und in der Hinterhand hielt man sich dann noch eben diese zwei anonymen Autoren literarischer Erstlingswerke. Eben jenen widmete sich Kermani und sprach diese Debütant:innen, oder vielleicht doch Nikolaus Hansen & Cons. an.

Er vermutete, „dass Ihnen ein Auftritt Lisa Eckharts vor zwei Jahren in der Kabarettsendung Mitternachtsspitzen missfallen hat. Ich habe mir das Video angeschaut, und ja, ich halte Frau Eckharts Versuch ebenfalls für gescheitert, sich ausgerechnet im Gewand und Gestus einer Marlene Dietrich, die vor den Nazis geflohen ist, antisemitische und rassistische Stereotype zu eigen zu machen, um sie zu entlarven. Denn so, wie ich den Auftritt wahrgenommen habe, als ungelenk und ziemlich naiv, bleiben vor allem die Stereotype hängen“. Dieses Vorlaufes bedarf es offensichtlich, um die Anlaufstrecke für Kritik am einladenden Veranstalter zu bekommen.

Allein, Lisa Eckhart ist nicht aufgrund ihrer kabarettistischen Fähigkeiten zum Harbour Front Literaturfestival eingeladen worden. Sie ist eingeladen worden, weil eine unabhängige Jury ihren Debütroman Omama für literarisch so bemerkenswert hielt, dass sie ihn für die Endrunde des Klaus-Michael-Kühne-Preises nominiert hat“. Und er fügt an, dass bislang „niemand den Roman für politisch untragbar oder menschenfeindlich befunden“ hätte und kritisiert den „fatale(n) Wechsel von der Sache zur Person“ die für verächtlich erklärt wird.

Er gibt zu bedenken: „Wir mögen politische Gegner sein, aber – wir sind keine Feinde“. Weil „Feindschaft macht es unmöglich, zu verstehen, warum der andere anders denkt, fühlt, glaubt, liebt als ich...Aber Lisa Eckhart, Sie, ich, die Anwesenden hier im Saal, die Gäste und Zuschauer des Festivals, das heute eröffnet wird, die Bürgerinnen und Bürger dieses Staates mitsamt den Anhängern rechter Parteien, wir Europäerinnen und Europäer – wir sind keine Feinde mehr und sollten uns dagegen verwahren, uns als solche zu betrachten, denn wir riskierten Zustände wie in einem Bürgerkrieg“.

Die klugen Worte von Navid Kermani erkennen den Mechanismus von fürsorglicher Zensur sehr genau. Das Bewusstsein der zwei Schriftsteller:innen, die – so es sie denn tatsächlich geben sollte – durch ihre Verweigerung eines gemeinsamen Auftritt mit Lisa Eckhart zur Ausladung der Künstlerin vorm Harbour Front Literaturfestival beitrugen, geht ungefähr so: wenn ich Unsäglichem beiwohne oder mit jemandem, der bereits Unsägliches von sich gab, einen Raum oder eine Bühne teile, so erwecke ich den Eindruck, dass es akzeptabel sei, sich so geäußert zu haben.

Deswegen muss Distanz erzwungen werden. Wer sich unmoralisch oder politisch fragwürdig äußert oder verhält, wird geächtet. Nicht weil man über ihn Macht ausüben möchte, sondern weil es das Gewissen verlangt. Sie können sich ja äußern. Wäre man ansonsten gezwungen sich von ihnen zu distanzieren?

Vielleicht ist der eine oder andere von den fiktiven Zweien sogar ein freundlicher Mensch, dem die Forderung: „die oder ich“, richtig schwer gefallen ist. Was mutet Lisa Eckhart diesen sensiblen Gemütern eigentlich zu? Man merkt es doch ihrem Sprechen an, dass sie frei von jeder Gefühlswallung ihre ekelhaften Texte vorträgt, in dem sie *uden und *eger beleidigt, um hieraus billigen Applaus eines moralisch ebenso fragwürdigen Publikums zu erlangen und um die Diskriminierungserfahrung von Black, Indigenous and People of Color und Holocaust-Überlebenden und deren Nachfahren verlachen zu lassen.

Man macht es sich nicht leicht, aber an der Verhöhnung von Opfern wird man sich auch nicht passiv beteiligen usw. usf.

So oder ähnlich reden sich die guten Menschen ein, einem Auftrag zu folgen, der aus dem Imperativ folgt, unsensibles Sprechen nicht zuzulassen, weil es für die Opfer unerträglich sein muss, dass es so etwas überhaupt gibt. Solange man dieses Ärgernis nicht mit Stumpf und Stil ausgerottet hat, wird man wenigstens dafür eintreten, dass es sich nicht im eigenem Beisein verbreiten kann. Blöd ist an der Sache nur, dass das Objekt des beklagten Programms von Lisa Eckhart nicht Juden und Schwarze waren, sondern gerade diese Menschen, die sich als das Fußvolk des moralischen Weltgewissens aufführen.

Bei ihnen heißt es: Gefangene werden nicht gemacht. Entweder oder. Die Moral duldet kein Falsches und dieser Anspruch verwirklicht sich entweder in dessen Unterbindung, oder auch sehr gerne im Empört- und Beleidigtsein. Stellvertretend für die Opfer, die sich ja nicht wehren können und deswegen ihrer Anwaltschaft durch maßloses Empörtseins bedürfen.

Ihr Markenkern ist die Machtausübung aus der Pose: mein Gewissen spricht zu mir. Dabei wird grundsätzlich bestritten, dass es um Machtausübung geht. Das Selbstbewusstsein ist eine Mischung aus omnipotent und marginalisiert. Man ist sich der Macht bewusst und zugleich streitet man sie gegenüber den Opfern, die ja Täter sind ab.

Der Goliath inszeniert sich als David. Seine Militanz ist grundsätzlich Notwehr. Die Gegner Feinde und ja, es droht was Navid Kermani angesprochen hat. Das tut es immer, wenn der Kinderglaube nach Klarheit und Reinheit, die bitteschön herrschen möge, sich verzweifelt an der Pluralität und Vielfalt abarbeitet. Die Sache ist niedlich, solange es vom Rand der Gesellschaft schallt: seid korrekt und moralisch untadelig, weil wir Schmutz und Lachen über den edlen Wilden bzw. Minderheiten nicht dulden können, weil wir aufgerufen sind, keine Verhältnisse zuzulassen, in denen sich das Falsche inszenieren kann. Die Sache wird ungemütlich und gefährlich, wenn sich dieser Religionsersatz anheischig macht, Hegemonie in dem Teil der Gesellschaft auszuüben, der die bemerkbaren Debatten inwichtigen Teilen bestimmt. Wenn die totalitäre Vorstellung politischer Reinheit und Hygiene Reichweite und Wirkungsmacht generiert, ist es an der Zeit alle Instinkte und vor allem das Denken zu schärfen, um den Sieg des Gefühls über das Argument zu verhindern.

Freiheit ist stets nur dann Freiheit, wenn sie das Falsche zulässt. Meinungsfreiheit für die richtige Meinung ist keine. Erst wenn sich auch die verachtete Positionierung aufbauen und begründen darf, haben wir es mit Freiheit zu tun.

Aber is tes nicht so, dass der verruchten Tat stets Gedanken und Worte vorausgingen? Das sind so Fragen und diese und andere werden auch auf der Veranstaltung

„Cancel Culture“ und „Political Correctness”

vom und im Nochtspeicher diskutiert werden.

Mittwoch, den 30. September um 20:00 Uhr ist es soweit. Wo: Bernhard-Nocht-Straße 69, 20359 Hamburg

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