Volle Kraft! Rotgrün voraus

Hamburg Nicht nur der Frühling naht mit großen Schritten, auch eine neue Regierung steht vor der Tür und sie wird diesmal auch grüne Senatoren enthalten.

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Knapp 14 Jahren nach der letzten, gibt es ab 2015 wieder eine rotgrüne Regierung.

Man weiß das bereits jetzt, obwohl die Verhandlungen zur Regierungsbildung noch laufen, weil in zwei wesentlichen Punkten Einigkeit erzielt werden konnte.
Es wird – vorbehaltlich eines Obsiegens über nörgelnde Umweltverbände vor Gericht – eine Vertiefung der Elbe zwischen 0,5 und 1,5 Meter gegenüber der jetzigen maximalen Tiefe von 16,8 m unter Normalnull (NN) geben und die Grünen bestehen nicht weiter auf die Einführung eines modernen Metropolenverkehrsmittel. Die Stadtbahn in Hamburg bleibt Geschichte, die am 1. Oktober 1978 mit der letzten Fahrt der Linie 2 in den Betriebsbahnhof in Lokstedt (heute Bauhaus in der Alten Kollaustraße/Nedderfeld) endete.

Im Gegenzug soll den Grünen die Bitte gewährt werden, die Fahrradwege auszubauen, um in 15 Jahren die Verdoppelung des Fahrradverkehrs von zurzeit 12 Prozent auf 25 Prozent erreicht zu haben. Da spricht der ADFC von einer bloßen Fortschreibung bisheriger Planungen. Also auch hier mag noch kein Jubel aufbranden.


Man kann die Sache abkürzen. Olaf Scholz hat die freie Auswahl. Sieht man von den rein rechnerischen Möglichkeiten ab, die faktisch ausgeschlossen sind, so hat Scholz drei mögliche Koalitionspartner. Wenn sich also die Grünen einer Fortschreibung des scholzen Pragmatismus verweigerten, blieben FDP und CDU, um die Politik des Primates der Hafenwirtschaft fortzuführen.

Da aber die Grünen, wie fast alle Parteien wissen, dass ihr Laden nicht mit der Intonierung ideologischer Wohlkänge, sondern dem Heranschaffen von Teilhabemöglichkeiten am Leben gehalten werden, ziehen sie es vor, sich als Mehrheitsbeschaffer verpflichten zu lassen.

Den Preis, den Scholz dafür verlangt ist hoch. Die Grünen müssen vor Parteibasis und Öffentlichkeit treten und die ausgesprochenen SPD-Projekte, als vernünftigen Kompromiss verkaufen.
Im Gegensatz zu manch politischen Beobachter, der generell die Folklore abzieht und nüchtern analysiert was drin war und daher überhaupt keine anderen Erwartungen an die Koalitionsgespräche hatte, sehen es Öffentlichkeit und Parteibasis der Grünen naturgemäß etwas anders. Hier wird die Enttäuschung erst einmal groß sein.
Bei den Grünen könnte Wehmut und Sehnsucht nach einer Beust-CDU aufkommen. Diese hatte es nämlich in den Verhandlungen verstanden, dass man den Grünen sichtbare Erfolge gönnen muss. Das es später durch die von den Grünen selbst angestoßenen Partizipationsmöglichkeiten des Volkes anders kam, ist eine andere Geschichte und eine, die ganz bestimmt nicht der CDU angelastet werden kann.

Zurück zur aktuellen Situation. Die SPD hat ihre Chance zum Beweis politischer Größe und Weitsicht gründlich verspielt, zugunsten von „Lösungen entlang der Mehrheitsverhältnisse", wie Wolfgang Rose, SPD und MdBü das beschreibt.
Statt den kleinen Partner großzügigst zu kreditieren und ihm weit sichtbare Erfolge zu gönnen, setzt man auf den Abbau von Ängsten bei solchen Vertretern der Wirtschaft, deren Denken am eigenen Gartenzaun endet.

In den jetzigen Verhandlungen und den bekannten Zwischenergebnissen ist bislang nicht der Hauch einer strategischen Idee zu spüren, die auf Überwindung der schwarzroten Koalition in Berlin setzte.
Kein Hinweis darauf, dass man der zunehmenden Interessenslosigkeit an Parteipolitik dadurch etwas entgegensetzen wollte, dass man mehr als Verwaltung und olympische Spiele möchte.
Stattdessen setzt man weiterhin auf Mehrheitsfähigkeit, ohne dass es einer eigenen Bemühung bedürfte. Dafür ist man dann auch gerne bereit, einen breiten Geldstrom in zu bauenden U-Bahnröhren verschwinden zu lassen. Geld soll keine Rolle spielen, in der Zelebrierung ordentlichen Regierens.

Das war bei Hapag Lloyd so, 2012 erhöhte die Stadt noch einmal ihren Anteil am Konzern und kaufte in der tiefsten Krise der Containerschifffahrt diese Anteile zum Buchwert(!), mit der Schuldenbremse (2020) in Sichtweite. Auch bei der Ausräumung von Problemen bei der Elbphilharmonie ging man mit dem Geldsack vor. 195 Mio. EUR Mehrkosten wurden akzeptiert, um die Fertigstellung 2017 sicher zu stellen. Mit der U 5 – der geplanten U-Bahn von Steilshop nach Osdorf wird es genauso laufen. Erhebliche Kosten, deren Umfang die Hamburger noch erschüttern werden. Hauptsache Akzeptanz, weil die Arbeiten im Wesentlichen unter der Erden stattfinden und was man nicht sieht löst keine Volksinitiativen aus.

Letztendlich wird auch die nächste Regierung in Hamburg ein seltsam selbstreferentielles System bilden, wonach die eigene Regierung schon deswegen gut ist, weil es die anderen außen vor lässt. Gleiches gilt für die zu erwartenden politischen Akzentsetzungen. Wir würden es doch nicht machen, wenn es nicht gut wäre.
Das dies gegenüber den Wahlen im Dezember 1982 und heute 300.000 WählerInnen offenbar anders sehen, interessiert offenbar niemand. Um 27,5 Prozent ist gegenüber dieser Wahl die Beteiligung zurück gegangen und insbesondere in den finanziell schwächeren Stadtteilen wählen die Menschen kaum noch.

Die Wahlbeteiligung in den zehn Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung lag bei durchschnittlich 38,9 Prozent. Mit der erneut geringeren Wahlbeteiligung ist die Bürgerschaftswahl 2015 bereits die sechste Bürgerschaftswahl in Folge mit abnehmender Wahlbeteiligung! Spitzenreiter in diesem auf den Kopf gestellten Ranking ist Billbrook, mit einer Wahlbeteiligung von 26,3 Prozent.
Dem gegenüber betrug sie in Wohldorf-Ohlstedt 50,4 Prozent mehr, was auch der These widerspricht, dass der Wahlenthaltung die Intention nicht angemerkt werden kann.

Es lässt sich festhalten, dass arme Menschen überproportional in dieser Bürgerschaft unterrepräsentiert sind. Damit wird ein allgemeiner Trend verstärkt. Die politische Repräsentation steht sowieso in umgekehrter Proportion zur Zusammensetzung der Bevölkerung. Zwei Arbeiter gab es im letzten deutschen Bundestag. In der 17. Wahlperiode (2009 -2013) gab 12 Abgeordnete mit Hauptschulabschluss, 57 hatten mittlere Reife aber 496 hatten einen höheren Schulabschluss als jeweils höchsten Schulabschluss. Nun aber nimmt diese Diskrepanz von Wählern und Gewählten bezüglich der gesellschaftlichen Stellung ab. 1978 trat in Hamburg die Bunte Liste unter dem Slogan an: jetzt wählen wir uns selbst, 37 Jahre später droht seine Verwirklichung. Den armen und wenig begüterten Menschen fehlt die Repräsentation, weil sie Wählen mittlerweile für sich für sinnlos halten.
Die kommende Regierung und ihr Programm wird diese Haltung bestätigen und verstärken. Damit einhergehen wird dann auch die Fortschreitung des Prozesses der Delegetimierung von traditioneller Politik.

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