In eigener Sache II - Organ der Sehnsucht

Meeres Rauschen - ein Ort ohne Ort, der aus sich selber lebt, der in sich geschlossen ist und gleichzeitig dem Unendlichen des Meeres ausgeliefert ist

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Rückblick in den frühen März 2007: Der Harz entlässt eine letzte bescheidene Schneeschmelze, die Wilde Bode rauscht durch den Quedlinburger Brühlpark.....die Kollegen sind gegangen, allein sitze ich im Büro im Alten Wasserwerk: ein neues Projekt will ich angehen, diesmal kein Haus, kein Platz, eine andere Idee treibt mich. Die Telefonnummer habe ich von Woche zu Woche übergetragen.

Schließlich fasse ich mich: konzentrier Dich, kein Wort zuviel, wähl die Nummer nach Hamburg: ob ich wohl Herrn Gelpke sprechen kann? Zögern in der Stimme gegenüber, jetzt weiterreden, weiter...ob man sich in der nächsten Woche bei der Leipziger Buchmesse vielleicht treffen könnte für ein kurzes Gespräch? Mein Gegenüber bittet um eine e-mail an Herrn Gelpke.

Erobert hatte mich „mare - Die Zeitschrift der Meere“ bereits mit der ersten Ausgabe 1997, auch wenn ich nur einzelne Titel gekauft habe (gewöhn Dich nie an etwas, was Dich fasziniert), wunderbarerweise erinnerte der Titel der erste Ausgabe „Transatlantik“ auch noch an das unvergessene „TransAtlantik - Journal des Luxus und der Moden“ von Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore..... und so schreibe ich im März 2007 eine mail an Nikolaus Gelpke, den Gründer und Chef von mare.

Ich hätte da eine Idee, zu der ich gern seine Meinung hören würde.

Er ruft tatsächlich zurück, nicht viel später, dabei liegt Quedlinburg so weit weg von der See. Nein, er komme nicht nach Leipzig, sei aber neugierig, was ich mit ihm besprechen wolle.

Der Schweizer Stimmklang weckt Vertrauen, aber ich zögere noch.... das verstehe er gut, sagt Gelpke, er selbst kenne auch diese paranoide Angst, eine gute Idee zu verlieren. Aber wenn ich gerne seine Meinung hören wolle......

Gibt es ein Wort für einen Liebhaber der See – Maritimist vielleicht? Nirgends ist dieses Wort zu finden.... ist das der Grund, warum mare über einen einfachen Leitgedanken ein uferloses Universum an Themen, Motiven, Informationen und Emotionen erschließen kann? Mein Vorschlag soll aus einer vergleichbar virulenten Quelle gespeist werden. Wie soll ich das erklären?

Ich habe da einen Gedanken für eine Zeitschrift, sage ich jetzt in’s Telefon, so einfach wie für die Zeitschrift der Meere.....

Nikolaus Gelpke erwidert, dass für Entwicklung und Markteinführung einer Zeitschrift sehr, sehr viel Geld nötig sei.

Ich bin still, dass auch zu meiner Arbeit als Architekt ein kräftiger Geldverbrauch gehört, sage ich nicht.

So eine Entwicklungszeit müsse man durchstehen, aber meine Idee soll ich doch gerne äußern, meint der Verleger in Hamburg.

Es gibt noch keine Zeitschrift für die Sehnsucht, sage ich.

Im Angebot ist Kultur, Politik oder Sport, gerne in spezifischer Mischung, es gibt Blätter für Frauen, für Finanzen, für viele Gruppen und jegliche Interessen, Autoverbraucher, Haus- und/oder Gartenbesitzer, Kochrezepte in einer Auswahl, dass kein Freundeskreis reichen kann um alle zu probieren.

Aber es gibt kein Organ der Sehnsucht.

Die ganz private Sehnsucht, das geheime Mantra.

Die Sehnsucht nach Schönheit oder Wahrheit zum Beispiel.

Nach Poesie oder Drama.

Nach Gerechtigkeit.

Nach Frieden.

Nach Solidarität.

Nach Verbundenheit.

Nach Heimat vielleicht.

Die Blaue Blume eben.

Heft für Heft eine neue Facette.


Es sei extrem schwierig, mit einer Neuentwicklung ein frisches Thema zu besetzen. Gelegentlich werde ihm ein Konzept vorgeschlagen, aber nur ein einziges habe ihn überzeugt in letzter Zeit: ein Magazin bestückt allein mit Interviews. Eigentlich schade, dass jemand anders es jetzt rausbringt, sagt er.

Aber ich setze noch mal an: Der erste „Playboy“ wurde bestimmt nicht nach einer Marktanalyse konstruiert.......

Sehnsucht ist wichtiger als Sex, denke ich.

Nikolaus Gelpke gibt mir schließlich den Rat, mich an ein bekanntes, umsatzstarkes Hamburger Druck- und Verlagshaus zu wenden. Er nennt mir sogar einen Kontakt, das finde ich sehr freundlich.

Ich habe es später mal probiert, bin aber nicht durchgekommen, sondern in den telefonischen Vorzimmern gestrandet.

Nach dem Telefonat habe ich einen frischen Kaffee in die Leuchtturm-Tasse geschüttet und lange auf die Wilde Bode in das Rauschen gestarrt, das vom Harz herabfällt und zur Nordsee treibt.

Vor meinem inneren Auge verdämmert der Schreibtisch mit Elbblick im Dunst des frühmärzlichen Brühlparks.

Ist hier die richtige Stelle, mein Lieblingszitat einzuflechten? Es spricht von „Heterotopien“, Räumen mit eigenen Regeln:


„.... und wenn man daran denkt, dass das Schiff ein schaukelndes Stück Raum ist, ein Ort ohne Ort, der aus sich selber lebt, der in sich geschlossen ist und gleichzeitig dem Unendlichen des Meeres ausgeliefert ist und der, von Hafen zu Hafen, von Ladung zu Ladung, von Bordell zu Bordell, bis zu den Kolonien suchen fährt, was sie an Kostbarstem in ihren Gärten bergen, dann versteht man, warum das Schiff für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis in unsere Tage nicht nur das größte Instrument der wirtschaftlichen Entwicklung gewesen ist (nicht davon spreche ich heute), sondern auch das größte Imaginationsarsenal. Das Schiff, das ist die Heterotopie schlechthin. In den Zivilisationen ohne Schiff versiegen die Träume, die Spionage ersetzt das Abenteuer und die Polizei die Freibeuter.“ (Michel Foucault, „Andere Räume“).

Was für eine glückbringende Sprache muss Französisch sein, wenn noch in der Übersetzung so viel zärtliche Neugier klingt........

Hier endet der 16. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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