"Atomenergie und Atomwaffen sind zwei Seiten derselben Medaille"

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Ein Jahr nach der schrecklichen japanischen Tsunami-Katastrophe und dem Atomunglück in Fukushima demonstrierten gestern wieder Zehntausende an europäischen Atomanlagen. Nach Angaben des BUND versammelten sich am AKW Gundremmingen 4000 Menschen. In Hannover gingen 7000 Menschen gegen Atomenergie auf die Straße. Eine 75 Kilometer lange Lichterkette formierte sich in der Region um die Atommülllager Asse und Schacht Konrad am Sonntagabend. In Nordrhein-Westfalen hatten sich 4000 gegen Atomernergie engagierte Menschen nach Gronau, zur dortigen Uran-Anreicherungs-Anlage (UAA), auf den Weg gemacht. Vom Bahnhof der Stadt zogen sie bis vor die Tore der UAA.

Die Stärke der Proteste, der Zulauf an Menschen welche die diversten Aufrufe dazu generierten, scheint Einigen suspekt: Ist nicht alles gut jetzt, da die deutsche Bundesregierung den Austieg aus der Atomenergie beschloss? Ein Moderator von Funkhaus Europa sprach heute vormittag davon, dass sich die Proteste doch "eigentlich" erledigt haben müssten. Sind sie also nicht mehr zeitgemäß? Ist das wirklich so? Die Anti-Atom-Bewegung sieht dies zum Glück nicht so. Und der Zulauf zu den Proteste stimmt hoffnungsfroh. Denn die Menschen, welche dort aufliefen, waren bei weiten keine irgendwie nostalgisch veranlagten Protest-Rentnerinnen und Rentner - vielmehr setzten sich die Protestgruppen sowohl aus gestandenen Recken der Antiatom-Bewegung als auch aus vielen - durch die fürchterliche Atom-Katastrophe von Fukushima aufgewachten Vertreterinnen und Vertretern der jüngeren Generationen - zusammen, die so Seit an Seit für eine Gesellschaft ohne Atomkraft Flagge zeigten.

Vor einem Jahr gingen deutschlandweit noch 250.000 Menschen für die selbe Sache auf die Straße. Damals pressierte es. Die Menschen waren tief besorgt und auch wütend. Allein in Köln versammelten sich gegenüber dem altehrwürdigen Dom in Deutz am Fusse der Deutzer Brücke um 40.000 Menschen.

Damals, als Berichterstatter selbst dabei, erinnerte ich mich gestern an die eindrucksvolle Protestkundgebung am Rhein:

14.15 Uhr: Schweigeminute

Zwischenzeitlich war der Demozug vom Neumarkt an der Deutzer Werft eingetroffen. Irgendwo quäkte das Martinshorn eines Notarztwagens. Dann trat eine Dame der Katholikinnenvereinigung ans Mikrofon, um der Toten, der Verletzten und nun der von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen in Japan zu gedenken. Es war 14.15 Uhr: Zeit für eine Schweigeminute. Eine beeindruckende Stille breitete sich aus. Sie legte sich schwer auch auf die Gemüter der Anwesenden. Nicht einmal die Wasser des nahen Rheins hörte man glucksen. Nicht wenigen Menschen gingen die Bilder der vergangenen zwei Wochen durch den Kopf: Die zerstörten japanischen Orte, die apokalyptisch anmutende Aufnahmen, der vor sich hin rauchenden Fukoshima-AKWs oder Kinder, die mit Geigerzählern auf Strahlung untersucht werden… Die Katholikin erinnerte: “Tausende Menschen sind tot.

Aber jeder dieser ungezählten Toten ist ein Mensch mit einem eigenem Gesicht, einer eigenen Persönlichkeit und einer eigenen Geschichte (…) Die Reaktorkatastrophe zwingt uns zum Innehalten und Umdenken! (…) Voller Schmerz müssen wir erkennen, dass es keine umfassende Sicherheit geben kann und das Restrisiko nicht nur eine theoretische Größe, sondern für viele Menschen in Japan eine lange Zeit des Leidens und für viele den Tod bedeutet.” Sie rief desweiteren dazu auf nicht alles technisch mögliche auch umzusetzen. Statt einem grenzenlosen Wachstum nachzulaufen, ginge es viel mehr darum, Grenzen anzuerkennen. Ein Wort von Max Frisch aufnehmend, erinnerte sie:

“Anders als durch Umdenken ist Hoffnung nicht begründet. Ein Aufruf zur Hoffnung ist ein Aufruf zum Widerstand.” Und sie schloss: “Halten wir inne. Ob Juden, Christen, oder Muslime. Ob Hinduisten oder Buddhisten. Ob Gläubige oder nicht Glaubende. Im Mitgefühl mit den Menschen in Japan.”

Alex Rosen: “Empört Euch!”

Alex Rosen (IPPNW), von Beruf Kinderarzt, hielt anschließend ein flammendes Plädoyer für die Abkehr von der Atomkraft. Rosen nannte auf der Deutzer Bühne seinen ganz persönlichen Grund für sein Kommen:

“Ich bin hier, weil ich empört bin. Ich empöre mich über die Atompolitik hier in diesem Lande! Ich empöre mich über die Tatsache, dass wir aus Tschernobyl anscheinend nichts gelernt haben. Ich empöre mich über die Regierung und über die Stromkonzerne, den das Profitstreben über unsere Gesundheit geht. Ich bin empört!”, erhebt Rosen noch einmal seine Stimme um einiges mehr.

Stephane Hessel (“Empört Euch!”) wäre begeistert von dieser ganz persönlichen Empörung: nichts anderes will dieser Mann, als dass wir die Stimme erheben gegen Mißstände unserer Zeit. Alex Rosen sagte, er werde oft gefragt, warum die IPPNW-Leute nicht nur gegen Atomkrieg, sondern auch gegen AKW's seien. Da würde doch die Atomkraft “friedlich” genutzt.

Rosen entgegnet solchen fragwürdigen Argumenten:

”Atomenergie und Atomwaffen sind zwei Seiten derselben Medaille. Atomernergie ist die Basis für die Entwickung von Atomwaffen!”

Rosen wird noch eine Spur deutlicher: “Atomkraftwerke sind nichts anderes als in Zement gegossene Atombomben!” Die Meldungen aus Japan, da ist sich der Kinderarzt sicher, geben nicht die Wahrheit wider: “Was in Japan derzeit passiert ist ein Super-GAU, eine atomare Katastrophe sondergleichen!” Zum Ende seines engagiert vorgetragenen Wortbeitrages rief Rosen noch einmal alle zur Demo gekommenen mit der Inbrunst eines Überzeugten dazu auf: “Empört Euch!, Empört Euch! Informiert Euch, schreibt Leserbriefe, macht Druck auf die Politiker, boykottiert E.on, EnBW, RWE und Vattenfall. Wechselt den Stromanbieter!”

Die Rede des zu Recht empörten Kinderarztes Alex Rosen als Audiodatei:



Die eindringliche, flammend gehaltene, mahnende und fordernde Rede des Kinderarztes Dr. Alex Rosen (IPPNW) von vor einem Jahr zur Atomkatastrophe in Japan- bzw. zur Gefahr der Atomkraft an sich - halte ich nach wie vor für aktuell. Diese Rede ist es – wie ich finde – wert, über die Demo hinaus beachtet zu werden.

Hier der Link zu einer Audiodatei, welche die Rede von Dr. Rosen von vor einem Jahr enthält. Der gestrige Tag und die Proteste der Zehntausend vor diversen deutschen und ausländischen Atomanlagen zeigten deutlich: Gegen Atomkraft einzutreten hat nichts aber auch gar nichts mit Nostalgie zu tun. Es ist vielmehr eine Frage der Sicherheit für unser aller Leben und den Erhalt unserer Natur. Die Antwort darauf kann also nur lauten: Nein zu Atomkraft, nein zu Atomwaffen. Weder das Eine noch das Andere sind so oder so beherrschbar, sondern eine unmittelbare Bedrohung für unseren Planenten.

Sind also Antiatom-Proteste noch zeitgemäß? Man höre sich die Rede des Kinderarztes Dr. Alex Rosen an und entscheide selbst.


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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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