Genozidleugnungsgesetz löst nicht die "Armenier-Frage" (Kommentar)

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Am 23. Januar oblag dem französischen Senat gewissermaßen auch die Entscheidung über die Zukunft der Beziehungen zwischen der Republik Frankreich und der Türkischen Republik. In Paris wurde über das Genozidleugnungsgesetz beschieden werden. Bereits vor fünf Jahren verabschiedete das Französische Parlament ein Genozidleugnungsgesetz. Es trat jedoch nicht in Kraft. Damals wie heute zielte und




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"Es gibt nur Eines: Stiftet Frieden!; Photo/Quelle: Dieter Schütz via Pixelio.de"

zielt dieses Genozidleugnungsgesetz (wenngleich es auch die das Leugnen jeglichen Genozids unter Strafe stelle) wesentlich auf Geschehnisse im Osmanischen Reich zu Zeiten des Ersten Weltkriegs, genauer: im Jahre 1915, ab, wo hunderttausende Armenier von türkischem Militär deportiert und andere armenischstämmige Bürgerinnen und Bürger massenweise zu Tode kamen.

Die Armenier sprechen von über einer Million Ermordeten. Für sie ist es ein Völkermord. Die Türkische Republik, Nachfolgerin des Osmanischen Reiches, bestreitet Tote, Verletzte und Vertriebene damals im Grunde nicht. Allerdings fällt die von den Türken genannte Opferzahl viel kleiner aus. Was an der Grausamkeit der damaligen Ereignisse nichts ändert: Schließlich ist jedes Opfer eines zuviel. Von einem Genzozid könne, so Ankara, jedoch keine Rede sein: Die Ursache in Ereignissen sei in den Folgen der Kämpfe im Ersten Weltkriege zu suchen.

Der erste Versuch

Zur Zeit des Versuchs der Installation des Genozidleugnungsgesetzes seitens des Französischen Parlamentes verdüsterten sich die Beziehungen der Türkei zu Frankreich immens. Darunter litt die französische Wirtschaft gewaltig. Dazu muss man wissen, dass die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern besonders für die französische Seite umfangreicher Natur sind. In der Türkei wurden damals Boykott-Aufrufe betreffs französischer Produkte erhoben.

Schon damals war das französische Genozidleugnungsgesetz so dumm wie der § 301 im türkischen Strafgesetzbuch “Beleidigung des Türkentums”. Mit letzterem bekamen es immer wieder Intellektuelle wie etwa die Schriftsteller Yasar Kemal und der spätere Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk zutun. Letzterer, weil er sich öffentlich zu dunklen Ereignissen, die Armenier betreffend, im Osmanischen Reich geäußert hatte und sein Land aufforderte, diese schlimme Geschichte endlich aufzuarbeiten.

Hrant Dink dachte vorallem mit dem Herzen

Dafür kämpfte auch der unvergessene armenisch-türkische Journalist und Schriftsteller Hrant Dink, Herausgeber und Chefredakteur der einzigen armenischsprachigen Wochenzeitung der Türkei, “Agos”. Allerdings tat er dies, indem er unermüdlich für einen offenen Dialog betreffs der Aufarbeitung der fürchterlichen Geschehnisse im Jahre 1915 eintrat. Dink zeigte sich darüber sicher, dass man mit die Meinung verbietenden Gesetzen (auf türkischer Seite) und einem Verbot (auf französischer Seite) zu keiner Entspannung kommen könne. Schon gar nicht zu einer Verbesserung auch der Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei.

Drei Monate vor seinem Tod (Hrant Dink wurde von einem türkischen Nationalisten auf offener Straße, direkt vor dem Redaktionshaus seiner Zeitung niedergeschossen) als das französische Parlament erstmalig ein Genozidleugnungsgesetz verabschiedete, äußerte sich Hrant Dink dazu gegenüber dem französischen Nachrichtenmagazin “L’ Express”. Der Journalist stellte das Genozidleugnungsgesetz auf eine Stufe mit dem türkischen Verbot vom Genozid zu sprechen. Entschlossen kündigte Hrant Dink an:

“Wenn es (das französische Genozidleugnungsgesetz; d. A.) verabschiedet wird, komme ich zu euch und werde dagegen verstossen, indem ich den Armenischen Genozid leugne.”

Hrant Dink sprach damals von “einem idiotischen Gesetz”. Denn so könne sich die Türkei abermals als Opfer, statt als Täter inszenieren. Als kluger, stets über, sozusagen den eignen Gartenzaun hinaus und vorallem: mit dem Herz denkender, war Dink der Meinung, dass das Beharren auf der Bezeichnung “Genozid” eine Versöhnung zwischen Armeniern und Türken verhindere.

Dieser Meinung sind heute auch viele armenischstämmige Bürgerinnen und Bürger der Türkei. Auch das Armenische Patriarchat in Istanbul sieht es so. Viele kritische Türken schließen sich dem an. Seit der Ermordung Hrant Dinks, zu dessen Beerdigung Tausende Türken mit Plakaten mit der Aufschrift “Wir sind Hrant Dink” strömten, hat sich bis heute (im Vergleich zu Jahrzehnten vorher) viel getan. Eine vorher nie dagewesene Freiheit und eine in Gang gekommene Debattenkultur betreffs auch der offiziellen Befassung mit einem düsteren Kapitel von Geschichte kann konstatiert werden.

Europas Verantwortung

Dink war es auch, der daran erinnerte, dass die Türkei nicht einziger Verantwortlicher für die Massaker an Armeniern von 1915. Europäische Mächte hätten vielmehr bescheid gewusst, aber nicht eingegriffen.

An dieser Stelle sei eingeflochten: Auch das Deutsche Reich wusste davon, wenn es nicht sogar in Einzelfällen (zumindest durch Wegsehen) in die an Armeniern begangenen Verbrechen involviert gewesen ist. Dazu muss man wissen: Zu Zeit der Massaker gab es sehr gute Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich. Deutsches Militär war zur Ausbildung im Land. Die Verbrechen an den Armeniern konnten also kaum an den Augen der Deutschen (auch denen des Botschaftspersonals) vorbei geschehen.

Dink weiter: Heute könne die EU das Unrecht (und die Unterlassungen) von damals nicht durch Genozidgesetze wiedergutmachen. Vielmehr solle sie Demokratisierung der Türkei und wirtschaftliche Projekte im Grenzbereich fördern. Wodurch ebenfalls eine Annäherung der Türkei an den armenischen Staat ins Werk gesetzt werden könne.

Untersuchung durch unabhängige Historiker statt politische Instrumentalisierung

Ebenso kann das Ansinnen der Regierung Erdogan nur begrüßt werden die geschichtlichen Ereignisse von 1915 durch eine unabhängige Historikerkommission, der armenische, türkische – aber auch Geschichtsforscher aus anderen Nationen – angehören sollten, untersuchen zu lassen.

Kontraproduktiv dürften hingegen jegliche Versuche zwecks einer politischen Intstrumentalisierung des Themas wirken. Sei es nun vonseiten Frankreichs oder der Türkei. Gefragt ist unbedingt ein senibles Herangehen. Als – um es vorsichtig auszudrücken – wenig einfühlsam muss dagegen der erneute Vorstoß Frankreichs betreffs der Installierung eines Genozidleugnungsgesetzes bezeichnet werden. Selbst französicher Politiker wie Alain Juppé nennen es unglücklich.

Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, müsste die Instrumentalisierung eines grausigen Kapitels Geschichte seitens Frankreichs, um politsches Kapital für sich dabei herauszuschlagen, sogar als widerwärtig und abstoßend bezeichnet werden. Geht es doch wohl – kaum zu verschleiern – in erster Linie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy mittels der Einbringung dieses Gesetzes darum, die kommenden Präsidentschaftswahlen abermals zu gewinnen. Und da kämen ihm die Wählerstimmen von ca. 500 000 in Frankreich in der Diaspora lebenden armenischstämmigen Landsleuten wohl ganz gelegen. Ein ganz schöner Klumpen Gewicht brächten die auf die Wagschaale! Ein Schelm wer Arges dabei denkt …

Zurück blieben nur Verlierer

Ob’s Sarkozy gelingt? Der Schaden wäre groß. Auf der Strecke blieb dagegen die geschichtliche Aufarbeitung eines blutigen Kapitels europäischer Geschichte. Niemand wäre im Grunde genommen gedient. Die wirtschaftlichen Beziehungen, die Beziehungen überhaupt, zwischen der Türkei und Frankreich dürften sich durch ein In-Kraft-Treten des französichen Genozidleugnungsgesetzes abermals rapide verschlechtern. Auch dürfte in der Türkei selbst wieder nationalistischer Töne die Oberhand gewinnen. Das in den vergangenen Jahren vorsichtig möglich gewordene Diskutieren der "Armenische Frage" in der türkischen Öffentlichkeit könnte einen herben Rückschlag erleiden. Zurückblieben – seine wir doch ehrlich! – eigentlich nur Verlierer. Ist’s das wert?

Und überhaupt: Wer werfe den ersten Stein? Sitzen wir nicht alle in Europa in einem Glashaus? Und Leichen hat so mancher im Keller der (eignen) Geschichte . Sollten wir da auf Konfrontation setzen? Sarkozy fordert genau dies heraus. Nur um die Wahlen zu gewinnen!

Schon grollt der türkische Premier Erdogan: Auch die Franzosen hätten sich in Algerien schuldig gemacht, als sie gegen die Befreiungsbewegung des algerischen Volkes vorgingen. Waren da nicht auch Massaker geschehen? Und, so sei hinzugefügt, meuchelte die französische Polizei nicht zahlreiche Algerier in Paris, die seinerzeit gegen die französischen Kolonialherren in ihrer Heimat und deren Unabhängigkeit protestierten? Augenzeugen von damals berichten: Die Seine sei damals vom Blut der Massakrierten, deren Leichen in ihrem Wasser trieben, tagelang rot gefärbt gewesen …

Herr wirf Hirn herab! Dialog statt Kontrontation! Lernen wir aus Geschichte? Der französische Senat entschied am 23. Januar auch über den künftigen Zustand der Beziehungen zwischen der Türkei und Frankreich. Und nicht zuletzt: Über den Umgang mit dunkler Geschichte in Europa. Er entschied auch darüber, ob Vernunft und Dialog Vorrang gegeben wird oder Verhärtung und Egoismen zukünftige Politik bestimmen werden.

Den Armeniern – den Toten, wie ihren heute lebenden Nachfahren – dürfte das Genozidleugnungsgesetz - in Konsequenz zuendegedacht - einen Bärendienst erweisen. Viele Armenier in der Türkei haben das offenbar längst begriffen. Hrant Dink hat es seinerzeit sofort erkannt: Das Genozidleugnungsgesetz ist “idiotisch”.

Lesen Sie in meinem nächsten Blogbeitrag einen älteren Beitrag von mir zum Thema aus der Internetausgabe der "Istanbul Post"/Druckausgabe des Taximagazins (Schweiz).

Ebenfalls empfehlen möchte ich einen Artikel betreffs historischer Hintergründe der "Armenier-Frage" von Sahin Ali Söylemezoglu und Umut Uzuner mit dem Titel "Armenien von Meer zu Meer - Die armenische Nationalbewegung 1914-1923". Erschienen ist der Aufsatz in der "Istanbul Post".

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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