Linkspolitiker-"Beobachtung" schadet unserer Demokratie

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Offiziell werden 27 Bundestagsabgeordnete vom Verfassungschutz "beobachtet"



CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wird vor Freude quäkend bis in den Bayerischen Wald hineingetrötet haben! Hatte er nicht immer schon vor den gefährlichen Maderln und Buam von der Partei DIE LINKE gewarnt? Schließlich war ihm schon gleich klar wie Kloßbrühe, dass, wer sich mit “Wege zum Kommunismus” – wie vor etwa einem Jahr LINKE-Vorsitzende Gesine Lötzsch- beschäftigt, ein Verfassungsfeind sein muss.





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"Leiden Verfangschutzschlapphüte an einem Tunnelblick auf Links?; Photo/Quelle:sokaeiko via Pixelio.de"

Nun, mit einem von Dobrindt ins Spiel gebrachtem Verbotsverfahren gegen DIE LINKE hat es zwar noch nicht geklappt, aber immerhin: Mindestens 27 Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion im Deutschen Bundestag werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) “beobachtet”. Hinzu kommen noch elf Fraktionsmitglieder der Linkspartei in verschiedenen Länderparlamenten. Es kann davon ausgegangen werden, dass darüber hinaus noch weitere “Beobachtungen” anderer Linker getätigt wurden und werden …

Besorgte Bürger

Ein ziemlicher Skandal ist das! Jedenfalls für wirkliche Demokraten. Immerhin handelt es sich bei den bisher bekannt gewordenen vom Verfassungsschutz (VS) “Beobachteten” um frei und demokratische gewählte Mandatsträger. Werden sich Bürgerinnen und Bürger in persönlichen Angelegenheiten und um Rat zu erhalten an ihre Abgeordneten wenden, ohne ein ungutes Gefühl dabei empfinden? Die ebenfalls vom VS beäugte Vizepräsidentin Petra Pau bekundete gestern bereits eine besorgte Anfrage einer Bürgerin erhalten zu haben.

Abgeordnete werden keineswegs “überwacht”

Alles halb so schlimm, alles harmlos, winkt das BfV ab: Die Abgeordneten würden ja nicht “überwacht”, sondern “beobachtet”. Nettes Wort! Bisher dachte ich bei dem Wort “beobachten” immer zuerst an Ornithologen. Möglich, dass die Schlapphüte vom VS auch Ähnliches im Sinn hatten. Man hatte ihnen wohl von interessierter Seite gesteckt, dass die von der Linkspartei ziemlich schräge Vögel sind, die man am Besten im Auge behalten müsse.

390 000 Euro Steuergeld um die LINKE zu “bearbeiten”

Angeblich setzen vorgeblichen Schützer der Verfassung keinerlei “nachrichtendienstlichen Mittel” ein. Soll heißen, man lauscht und liest alles nach und mit was Linkspolitiker so mündlich oder schriftlich von sich geben. Alles, wohlbemerkt, was sich öffentlichen Raum abspielt und demzufolge auch öffentlich zugänglich ist. Zu diesem Behufe lesen die Kölner Schlapphüte auch Zeitung. Hoffentlich nicht nur “Bild”? Wozu braucht man da eigentlich einen Geheimdienst? Laut “Spiegel” vorliegender Aufstellung des Bundesinnenministeriums vom 4. Januar 2012 seien sieben sogenannte Verfassungsschützer über die “Bearbeitung” der Partei DIE LINKE in Lohn und Brot. Man könnte über diese “Beobachtungen” eigentlich lauthals lachen, wenn es erstens nicht so teuer wäre – jährliche Kosten für Personal etwa 390 000 Euro (Steuergeld, nebenbei bemerkt!) laufen dabei auf – und zweitens eine Schande ist, demokratisch und frei gewählte Abgeordnete verdachtsunabhängig geheimdienstlich zu “bearbeiten”.

Wurden jemals auch Politiker von Union und FDP “beobachtet”? Gründe hätte es gegeben

Schließlich kann der Staat, sollten Linkspolitiker die Verfassung bedrohende Dinge ins Werk setzen, jederzeit mit rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen. In diesem Zusammenhang wäre es eigentlich einmal interessant zu erfahren, ob in der Geschichte der Bundesrepublik jemals auch Politker von Parteien wie der Union oder der FDP vom Verfassungsschutz “beobachtet” worden sind? Solche etwa, die Kampagnen gegen Ausländer schürten, weil sie vom Boot redeten, das voll sei oder solche, die Literaten mit Worten wie “Ratten” und “Schmeissfliegen” (Franz-Josef Strauß “A Hund war er scho!”) bedachten.

Linkspolitiker traten nicht selten für das Grundgesetz ein

Es sei noch erwähnt, dass es sich gar nicht einmal selten in den verflossenen Jahren zutrug, dass gerade die PDS und später DIE LINKE gewesen waren, die das Grundgesetz gegen Angriffe von Regierungspolitikern aus anderen Parteien, in Schutz nahm und verteidigte. Wo war das Auge des Verfassungsschutzes?

Soll die “Beobachtung” LINKE-Wähler verunsichern?

Offenbar ist DIE LINKE so manchem ein Dorn im Auge. In diesem Falle sollte dem politischen Gegner mit politischen Mitteln beizukommen sein. Ein Staat bzw. seine geheimdienstlichen Organe sollte sich, indem er “Beobachtungen” über ihn anstellen, nicht dazu missbrauchen lassen den parteipolitschen Gegner – und sei er ihnen auch noch so verhasst – damit ins Licht der Verfassungsfeindschaft rückt. Will man so Wählerinnen und Wähler – in diesem Fall – der Partei DIE LINKE verunsichern, sie so davon abhalten ihr das nächste Mal wieder die Stimme zu geben?

Kann das klappen? Ich denke, ganz so dumm sind die Wähler nun doch (noch) nicht. Dennoch: allein schon der Versuch sich verbieten, solches im Schilde zu führen. Es schadet nämlich der Demokratie, die in vielerlei Hinsicht jetzt schon bedenkliche Anzeichen postdemokratischer Zustände trägt. So wird unter Umständen auch Zwietracht und Hass gesäht. Letzten Endes dürften sogar diejenigen Parteien selbst einen Schaden davon tragen, die jetzt noch glauben, über die “Beobachtung” der Partei DIE LINKE selbst Profit für sich herausschlagen zu können. Der Verlierer ist die Demokratie.

Innerminister Hans-Peter Friedrich kann Kritik an LINKEN-”Beobachtung” nicht verstehen und kontert mit einer hanebüchenen Erklärung

Erfreulich ist es, dass gestern immerhin auch Vertreter anderer Parteien Kritik an der “Beobachtung” von Linksparteipolitikern übten. Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) tat dies. Ihr Kabinettskollege Hans-Peter Friedrich (CSU) hingegen gelang es indessen nicht die Kritik der Ministerin an der Beobachtung der Linksparteipolitiker nachzuvollziehen. Dafür fehlt ihm offenbar jegliches demokratisches Verständnis und der normale Menschenverstand.

Ja, wo kämen wir denn da hin, tönte es sinngemäß aus dem strammen CSUler, wenn wir dem Verfassungsschutz verböten, Linkspolitiker zu beobachten, dann wäre es ja gleichermaßen unmöglich auch in deutschen Parlamenten sitzende NPD-Politiker zu beäugen. Wirklich hanebüchen, diese Erklärung!

Wen schützt der Verfassungsschutz?

Diesen gewagten Schlenker nun hätte sich der Verfassungsschutzminister Friedrich wirklich schenken können. Wo doch die Beobachtung der NPD bislang auch so toll was gebracht hat! Ein paar Schlapphüte nur waren mit der “Beobachtung” dieser braunen Szene betraut. Rechtsterroristen konnten schalten und walten wie so wollten. So konnten sie ungestört Bomben bauen und blutige Pläne schmieden. Und umsetzen! Über fast zehn lange Jahre hinweg. Wo die Polizei auf deren Spur war, wurde ihnen dazwischen gefunkt. Ermittlungen wurden behindert und umgeleitet. Absichtliche Irreführung? Seitens des Verfassungschutzes? Wen eigentlich schützt der Verfassungsschutz wirklich? NPD-Aussteiger wissen davon zu berichten, wie über V-Leute des Verfassungsschutzes NPD-Parteistrukturen, Kreisverbände, erst aufgebaut werden konnten. Mit Steuergeld, dass der VS seinen V-Leuten zahlte? Dass ist ja aberwitzig! Ein Skandal der zum Himmel stinkt.

Skandalöser Angriff auf die Demokratie. Gysi schrieb einen erbosten Brief

Die “Bearbeitung” der LINKEN durch den Verfassungsschutz ist ein nicht hinzunehmender skandalöser Angriff auf unsere Demokratie und ein Schlag ins Gesicht derjenigen Wählerinnen und Wähler die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben. Linksfraktionsvorsitzender Gregor Gysi ist zu Recht erbost. Er hat einen Brief an Bundestagspräsident, Bundespräsident und die Bundeskanzlerin geschrieben. Auf deren Antworten darf man gespannt sein. Ihm ist zuzustimmen: Die fortwährende Beobachtung der Linkspartei ist durch nichts zu rechtfertigen. Ein unglaubliches Vorgehen, dass ein gesellschaftliches Aufbrausen hervorrufen müsste.

Der Verfassungsschutz als Wiederholungstäter

Der Verfasssungsschutz ist offenbar (ein Geburtsfehler) nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern auch unbelehrbar. Und ein Wiederholungstäter. Schließlich hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages Ende 2011 festgestellt, dass “aufgrund der besonderen Aufgabenstellung des Vertrauensgremiums ( … ) nur ganz außergewöhnliche Umstände die Beobachtung eines ( … ) Mitgliedes rechtfertigen”.

Und eine Klage des ebenfalls “beobachteten” Thüringer Linksfraktionschefs Bodo Ramelow (dessen Klage steht beim Bundesverfassungsgericht an) hält die offiziellen Angaben über die Zahl der “Beobachteten” ohnehin für eine Verharmlosung. Ihm war 2006 bereits mitgeteilt worden, dass alle Bundestagsabgeordneten der LINKEN erfasst worden seien.

Ende der Fahnenstange ist erreicht

Hier läuft etwas ziemlich aus dem Ruder. Ist betreffs des Verfassungsschutzes nicht längst das Ende der Fahnenstange erreicht? Selbst Linkspolitiker Steffen Bockhahn als Mitglied im Vertrauensgremium des Deutschen Bundestages hat er die Aufgabe die Haushalte der Geheimdienste zu überwachen. Aber verkehrte Welt: Er wird selbst vom VS überwacht!

Die Maß ist allmählich voll. Die Schlapphüte vom Verfassungsschutz laufen nicht das erste Mal gehörig neben der Kapp’ her. Die Rufe nach einer Abschaffung des Verfassungsschutzes werden lauter werden. Ein Geheimdienst der selbst offenbar demokratisch nicht zu kontrollieren ist, seinerseits jedoch unbescholtene demokratisch gewählte Abgeordnete durch seine “Beobachtungen” auf Steuerzahlerkosten in negatives Licht rückt, gleichzeitig aber nicht in der Lage oder nicht willens dazu ist, den hierzulande jahrelang vor seinen “beobachtenden”? Augen operierenden Rechtsterrorismus zu stoppen stellt sich mehr und mehr in Frage. Wer schützt uns vorm Verfassungsschutz?

Dass nun womöglich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt vor Freude aushäusig über die vom VS “bearbeitete” LINKE laut herumtrötet, sollte echte Demokraten unter uns nachdenklich machen. Niemand muss deswegen ein LINKE-Freund oder Wähler werden. Niemand muss die LINKE lieben. Aber Demokratie-Freunde (und deren Verteidiger) sollten wir schon sein. Und deshalb auch die LINKE gegen den ungerechtfertigten Angriff der Schlappphüte verteidigen. Sonst ist nämlich irgendwann alles nichts mehr …

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei Readers Edition

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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