Rauhnächte

Rezension Diagnose Darmkrebs. Journalist und Autor Arno Luik wollte nie Tagebuch schreiben. Der Krebs brachte ihn dazu. Er hat über das "Viech"in seinem Körper und Erinnerungen sowie Erscheinungen unsere Zeit ein interessantes Buch veröffentlicht

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Laut Destatis-Pressemitteilung Nr. N 007 vom 2. Februar 2023 ist Krebs mit einem Anteil von 8 % an allen Krankenhausaufenthalten weiterhin der vierthäufigste Behandlungsgrund.

Viele von uns hören davon und hin – dann aber auch schnell wieder weg. Man verdrängt es verständlicherweise. Man hofft, es erwischt einen nicht. Was aber, wenn man plötzlich selbst die Diagnose „Krebs“ erhält? Der Journalist Arno Luik hat ein Tagebuch vorgelegt.

„Gestern war ich noch mitten im Leben, heute bin ich draußen und mit dem konfrontiert, was wir alle wissen, die meisten irgendwie verdrängen. Doch für mich nicht mehr möglich ist, dieses Wissen auszublenden: dass wir alle sterben müssen. Das Mistviech in meinem Körper hämmert mir dieses Wissen ja ohne Unterlass in den Kopf: Ich hab‘ Dich im Griff! Und ich würde es gerne anbrüllen: Komm raus, Du blödes Viech! Ob Bestrahlung, Chemo es zermürben, erwürgen?“ Nach seiner Krebsdiagnose, die Bestseller-Autor Arno Luik im vergangenen Spätsommer bekam, macht er das, was er noch nie tat: Er schreibt ein Tagebuch. Er notiert seine Innenansichten, den Schrecken, die Albträume, seine Sehnsucht nach Leben – aber plötzlich geht es um viel mehr als das persönliche Drama: um diese zerrissene, malträtierte Welt. Die so schön sein könnte, wenn die Regierenden nicht …

Der diese Zeilen schrieb ist Arno Luik. Ihn hat das „blöde Viech“ erwischt. Luik ist 1955 geboren. Er war Reporter für Geo und den Berliner Tagesspiegel, Chefredakteur der taz, Vizechef der Münchner Abendzeitung und langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Zudem ist er ein ausgewiesener und gefragter Bahnexperte. Was er in seinem Sachbuch „Schaden in der Oberleitung“ (auch als Taschenbuch zu haben) unter Beweis stellte. Jean Ziegler über das Buch: «Ein faszinierender Wirtschaftskrimi von höchster Brisanz“.

Wie fühlt man sich also mit diesem Viech im Körper? Darmkrebs! Schmerzen hat er nicht. Als wenn alles normal – wie immer wäre. Ist es aber nicht. Luik: „Heute auf dem Weg ins Krankenhaus spricht mich ein Obdachloser an: «Hast `ne Zigarette?«. Nee. «Hast `n Joint?« Nee. «Solltest du aber haben.« Ich hab Krebs. «Würd ich auch mal gern essen!«

Man möchte lachen. Das Lachen aber bleibt einem auf halben Weg im Halse stecken.

«Die Nächte zwischen Weihnachten (25. Dezember) und dem Fest der Heiligen Drei Könige (6. Januar) sind die sogenannten 12 heiligen Nächte – je nach Region auch als Rau(h)nächte, Rauchnächte, Glöckelnächte, Innernächte bzw. Unternächte bezeichnet. Die Anzahl der Nächte ist regional sehr unterschiedlich und kann von drei bis zwölf Nächte betragen. Mancherorts wird auch die Thomasnacht (21. Dezember) zu den Rauhnächten gezählt.« […] (Auszug via Vivat! Magazin)

Daran angelehnt enthält Arno Luiks Buch „Rauhnächte“ ebenfalls zwölf Tagebucheinträge. Es beginnt mit Merkwürdige Zeiten

Aufgewacht in einer anderen Welt, denn …

plötzlich geschah etwas, mit dem ich nie gerechnet hatte – und doch immer Angst davor hatte. Wahrscheinlich auch Sie. (S.7)

Und es endet mit Merkwürdige Zeiten

Ein Nachtmahr zum Neuen Jahr, von …

dem ich so sehr hoffe, dass er nur ein vorübergehender Albtraum war (S.185)

Seiner Stimme, wenn er nach der Diagnose mit Freunden und Bekannten telefoniert, merkte man offenbar nichts an. Ein Freund sagte ihm am Telefon, du klingst so fröhlich. Luik: „Wenn ich mit Freunden und Bekannte telefoniere, agiere ich wie ein altes Zirkuspferd, das sich in die Manege schleppt, aber dort, wenn der Applaus kommt, die vertrauten Gerüche in die Nüstern steigen, losgaloppiert wie ein junges Fohlen.“

Als er aber mit einem Techniker wegen eines defekten Kochfelds spricht, habe er das Telefonat fast tränenerstickt abbrechen müssen.

Dann ruft der Arzt an. Man habe den Krebs früh erwischt. Es könne jedoch sich, dass der bösartige Krebs schon in die Leber austrahlt.

Arno Luik (S.12): „Wenn ich nicht wüsste, dass ich krank bin, wäre ich gesund – so fühle ich mich.“

Vor Bekannten auf der Straße versteckt er sich so gut er kann.

Am Abend des 20. September 2022 hätte er eine Videokonferenz gehabt, angefragt als Bahnexperte. Er sagt per Mail wegen der Erkrankung ab. Schon „Sekunden später kommt die Antwortmail: Macht nichts, wir haben einen Ersatz für Sie. Kein Wort des Mitgefühls. Noch nie habe ich so direkt erlebt, wie ersetzbar man ist. Wie überflüssig“, schreibt Arno Luik in sein Tagebuch. Nicht die letzte Ent-täuschung die er erleben muss.

Als Rentner war er froh, «keine blöden Konferenzen« mehr zu erleben zu müssen. Und nun hat er plötzlich am 22. September 2022 zur „allerblödesten“ Konferenz, zur Tumorkonferenz gemusst.

Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Luik hat aufgeschrieben: „Ich hier mit meinem persönlichen Drama und da eine Ankündigung, die – fast absehbar – im ganz großen Drama enden kann.“

„Ergebnis dieser Tumorkonferenz: Der Krebs hat nicht in die anderen Organe ausgestrahlt. Ich komme wahrscheinlich, na, vielleicht an der gefährlichen OP vorbei!“

Aber Bestrahlung und Chemo sind angesagt. Immerhin, so versichert man ihm: die Haare wird er bei dieser Art der Chemo nicht verlieren. Eine Perücke braucht er also nicht. Arno hatte bereits darüber nachgedacht. Vielleicht eine, die an den Afro-Look von Angela Davis erinnert?

Hut ab, sagt man sich als Leser schon sehr bald: Über die eigene Krankheit – noch dazu über d i e s e zu schreiben – noch dazu so schonungslos!

Zunächst skeptisch war Arno Luik schon. Ein Kollege riet ab: „Dann werden Sie für die Öffentlichkeit immer der Krebskranke sein.“

Arno Luik fährt in seine Heimat nach Königsbronn. Und er erinnert dort Erlebtes, die Familie und die gestorbene Schwester, für die er eine Grabrede geschrieben und auf dem Friedhof gehalten hatte und andere Begebenheiten.

Auch fällt ihm der in Hermaringen geborene Georg Elser, der später mit den Eltern nach Königsbronn gezogen war und als Schreiner arbeitete – der Attentäter, welcher Hitler im Bürgerbräukeller in München mit einer selbstgebauten Bombe hatte in die Luft sprengen wollen, ein. Und der fragwürdige, verschämte Umgang mit dem im KZ Dachau ermordeten Elser nach 1945 freilich auch. Warum ist Elser keiner Rede wert, während Stauffenberg immer hervorgehoben wird? (S.97/98)

Sehr empfehlenswert und äußerst informativ betreffs der Person Elser ist das sich anschließende Kapitel «Ich sprenge die Regierung in die Luft« (S.99)

Ein Text von Arno Luik und Kollegen Norbert Thomma, in welchem die Geschichte des Georg Elser erzählt wird.

Das garstig Vieh“, der Krebs, ist Luik immer gegenwärtig

Natürlich ist Luik der Krebs („Das garstig Vieh in mir“) tagtäglich und allnächtlich immer gegenwärtig. Wenn er hilflos vorm Computer sitzt, weil in seinem Kopf so viele Gedanken herumtollen, passend zu seiner Stimmung der Regen und die Düsternis draußen. Luik (S.36): „Ich mache keine Kompromisse mehr!“

Luiks Kommentar zur Weltfinanzkrise verboten. Zensur? Ach, wo!

Er erinnert: „Ein Kommentar zur Weltfinanzkrise 2008, der mir überaus wichtig war, durfte nicht erscheinen, das machte die Chefredaktion sekundenschnell klar: das Verbot habe nichts mit Politik zu tun, ich solle ja nicht von Zensur reden, es stimme einfach nicht, was ich behaupte.“

Der verbotene Kommentar trug den Titel „Die Diktatur des Kapitals“.

Luik empörte sich darüber, wie seitens Kanzler Schröder noch getönt wurde, man müsse unbeirrt an den alternativlosen „Agenda-2010-Reformen“ festhalten.

Der Sozialstaat sei zu teuer etc. etc.

Und dann war plötzlich noch und nöcher Kohle da, um den Finanzkrach nicht zu einer katastrophalen Wirtschaftskrise ausarten zu lassen?

Luik (S.40) im Kommentar, der nicht erscheinen durfte: „Und nun – so etwas gab es in der bundesdeutschen Geschichte noch nie – wurde der Finanzminister ermächtigt, 100 Milliarden auszugeben – ohne jemals das Parlament zu befragen, ohne sich zu rechtfertigen. So viel Macht hatte noch nie ein einzelner Minister. Anders ausgedrückt: Es herrscht nun, verblüffend offen, die Diktatur des Kapitals.“

„Es gibt keine Zensur. Es gibt Pressefreiheit. Ein hohes Gut. So heißt es in den Sonntagsreden der führenden Journalisten, der Chefredakteure – die oft eng miteinander verbandelt sind.

Das ist keine Polemik, nein. Es kommt ständig vor, dass Vertreter der sogenannten vierten Gewalt – die also Politik und Kapital auf die Finger klopfen, hauen sollen – zu Regierungssprechern mutieren, in die Propagandaabteilungen von DAX-Firmen wechseln, oft auch zur Deutschen Bahn.“

Journalismus, auf den Hund gekommen

Schon damals fing es an, dass der Journalismus auf den Hund zu kommen begann.

Arno Luik flicht ein (S.40): „Haben Sie das Gefühl, umfassend über den Ukrainekrieg informiert zu werden? Seine Geschichte? Seine Vorgeschichte? Die Rolle der USA? Der Nato?“

Luik lese vier überregionale Zeitungen und mehrere Wochenzeitungen, schreibt er. „Aber“, konstatiert er, „ich höre – bis auf sehr wenige Ausnahmen – das Gleiche.“

Und Luik notierte: „Uniformität. Einheitsdenken. Herdenverhalten. Diese «Konformität unserer Medien«, klagte mal Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, «ist riesig, so riesig, dass sie «uns auch schadet«.

Gut, dass Arno Luik daran erinnert: „Es war ein CDUler, Paul Sethe, der am 5. März 1965 in einem Leserbrief an den Spiegel schrieb: «Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.«

„Heute sind es vielleicht noch 20 Leute“, so Arno Luik.

Noch Fragen?

Das böse Viech in ihm hält trotz alledem seine Stellung

Luik muss viel Zeit in Wartezimmern von Krankenhäuser sowie hauptsächlich in denen von Radiologie und Onkologie zubringen.

Sein so gewonnener Eindruck: „Es ist dort still. Traurig die Gesichter der Wartenden. Der Kranken. Haben sie Angehörige dabei, kann man unmöglich sagen, wer krank, wer gesund ist.“

Dagegen die so ganz andere Stimmung den Wartezimmern der Chirurgie. Da säßen Patienten mit Gipsbein oder Gipsarm. Da sei Lachen. Da sei Geschrei. „Das ganz normale Leben.“

In der Folge berichtet Luik – sich und uns Leser nicht schonend – über aufkommende Beschwerlichkeiten, die sich nun auch körperlich bemerkbar machende Schmerzen. Durchfall.

„Noch nie habe ich so intensiv gespürt, dass ich nicht mehr Herr in meinem Körper bin. Das garstige Viech in meinem Körper mit mir macht, was es will. Dass mein Gehirn machtlos gegen sein unheilvoll-quälendes Treiben. Dass ich hilflos dasitze, gekrümmt daliege.

Am 14. November 2022 dann die erste Chemo. Sein Spiegel zeigt ihm an, dass sein Gesicht hager geworden ist. Eine Nachbarin sagt ihm, er sehe gut aus. Arno Luik dazu: „Wenn das stimmt – die schöne Hülle täuscht, in mir ist ja dieses garstig Viech, das an mir nagt, Tag und Nacht.

Keine Entschuldigung von Kanzler Scholz an die Adresse Vietnams

Nachrichten im Radio: Bundeskanzler Olaf Scholz, der früher „leicht-marxistisch“ angehauchte Juso-Vize-Chef mit großem Wirtschaftsgefolge in Vietnam.

Arno Luik ist enttäuscht. Denn Scholz entschuldigt sich nicht für die BRD, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA in Vietnam diplomatisch unterstützte und US-Deserteuren politisches Asyl verweigerte.

Auch nicht dafür, was der westdeutsche Konzern Boeringer unter dessen damaligen Geschäftsführer Richard von Weizsäcker (später Bundespräsident) der US-Armee massenhaft T-Säure verkaufte. Ein Bestandteil von «Agent Orange«, ein schreckliches Gift, das benutzt wurde um den Dschungel zu entlauben. Unzählige Menschen wurden verseucht, das Hautgeschwüre, Leberschäden, das Krebs hervorrief und fürchterlich Missbildungen bei Babys verursachte.

Statt Entschuldigungen ist von Scholz lediglich zu erfahren, wie er Vietnam, Opfer eines Angriffskriegs der USA, belehrt über den Bruch des Völkerrechts durch Russland wegen des Einmarschs in die Ukraine.

Arno Luik fragt sich: „Fällt diesem Kanzler nicht auf, wie diese Belehrungen auf Vietnamesen, die nur dank der Sowjetunion überlebt haben, wirken müssen? Hat dieser Mann, ein wenig klischeehaft gefragt, ein Herz aus Stein?“

Krebs, aber auch eine Chemotherapie ist nicht vergnügungsteuerpflichtig

Die Nebenwirkungen je nachdem ebenso wenig. Klar, da mag Hoffnung aufkommen – was auch sonst?! Aber im Nacken sitzt doch gewiss weiter die Angst. Arno Luik berichtet nach einer sechsstündigen Chemo-Sitzung (S.117): „Neben mir hing eine sehr junge Frau am Tropf. Dem Arzt erzählte sie von heftigen Problemen mit ihrer Chemo. Als ich gehen kann, sage ich zu ihr: «Ich wünsche Ihnen alles Gute!«. Sie: «Ich Ihnen auch.« Und dann weinte sie.“

Luik erinnert ein langes Gespräch mit Boris Becker

Als Journalist hat Arno Luik viele Interviews geführt. Aus der Zeitung erfährt er, dass Boris Becker noch vor Weihnachten aus dem Gefängnis entlassen wird.

Er erinnert sich, Ende 1989 ein langes und intensives – sich über eine Woche erstreckendes – Gespräch mit der Tennis-Legende gehabt zu haben.

Das Ende jenes Gesprächs ist auf den Seiten 118 und 119 im Buch abgedruckt. Interessant. Es zeichnet ein ganz anderes Bild von Boris Becker, wie wir es für gewöhnlich verinnerlicht (bekommen) haben.

Wir erfahren aus diesem aus traurigem Anlass geschriebenem Buch, dank eines Tagebuchs, das er nie hatte schreiben wollen,sehr vieles aus der Zeitgeschichte und von interessanten Zeitgenossen. Immer wieder stellt Luik Bezüge zum Heute her.

Parteilichkeit im Journalismus wie einst in der DDR auch im Journalismus des neuen Deutschland?

Er erinnert an den verstorbenen „Sprachpapst“ Wolf Schneider, „der so unbarmherzig wie großartige Sprachkritiker, Gründer der Henri-Nannen-Schule – für ein gutes Jahrzehnt die Kaderschmiede des guten Journalismus“.

Arno Luik fragt sich, ob Schneider, (…) „der ein «kriegerisches Verhältnis (O-Ton Schneider) zur scheinbar unaufhaltsam um sich greifenden Gender-Sprache hatte, da sie zu einer «lächerlichen Verumständlichung« des Deutschen führe – ob er verbittert, enttäuscht gestorben ist?“ (S.124)

Luik hebt Schneiders Standartwerk «Deutsch für Profis« hervor und findet, es müsste sofort Zwangslektüre für viele Journalisten hierzulande werden. Darin finde sich folgenes Zitat aus dem «Journalistischen Handbuch der untergegangen DDR: «Die Wortwahl wird parteilich vorgenommen.«

Dazu notierte Arno Luik: „Gilt diese Parteilichkeit, also : Staatsaffinität, seit zu vielen Jahren nicht auch für den Journalismus des neuen Deutschlands, das aus DDR und BRD entstanden ist?

Vor allem bei systemischen Fragen, etwa: Agenda 2010, Finanzkrise 2007/2008, Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Aufrüstung der Bundeswehr. Hat sich da nicht längst ein abgehobener politisch-medialer Komplex gebildet – mit Akteuren, die sich gut finden, sich gegenseitig bestätigen? Eine, in meiner Sorge gehe ich nun vielleicht zu weit, demokratiegefährdende Komplizenschaft?“

Das schimpft sich heute Haltungsjournalismus.

Schneider, so beurteilt ihn Luik, sei eher ein Typ konservativer Herrenreiter und kein Systemlinker gewesen.

Wolf Schneider habe im ersten Kapitel seines Standartwerks konstatiert: «Die gute Sache: für Journalisten ist dies, den Bürger zu informieren und den Mächtigen auf die Finger zu sehen. Die Mehrzahl der in Deutschland gedruckten und gesendeten Informationen erfüllt diesen Auftrag nicht. Millionen Bürger werden durch den Hochmut oder die Gleichgültigkeit einiger tausend Journalisten vom Gros jener Informationen abgeschnitten, die sie wahrlich brauchen könnten, um ein aufgeklärter Volkssouverän zu sein.« (S. 124/125)

Ein hochspannendes und immer wieder berührendes Buch

Das Buch ist hochspannend, informativ und wieder und wieder tief berührend. Arno Luik erinnert sich, dass er in seinem Berufsleben viele Gespräche mit Kranken und Sterbenden geführt hat – das helfe ihm nun.

So viele alte und neue Themen finden darin Erwähnung, werden analysiert und bewertet.

Auch die unsägliche Bundesregierung aller Zeiten und deren unsägliche Politik kommt zur Sprache. Nebst den anderen derzeitigen Politdarstellern in anderen Ländern, die jegliches Format fehlen lassen und alles andere als intelligente Führungspersönlichkeiten sind. Luik hatte sich spontan gedacht, dass sich diese Riege (Putin, Selenskyi, Biden, Scholz, Baerbock, Lukaschenko, Habeck, Melnyk, Sunak, Macron, die Klitschkos usw.) eigendlich gemeinsam „die irre, anarchisch-wunderbare Komödie «Wasser«“ ansehen müsste. Sie sollten diesen Film vorgeführt bekommen (alle zusammen auf Tuchfühlung im dunklen Kinosaal), damit sie ihre letztendliche Lächerlichkeit vor der Geschichte erkennen. (…)

Wobei – man möge mich nicht steinigen dafür - mir allerdings unter den von Luik aufgeführten Personen aufstößt, dass m.E. Putin, die einzig intelligente von ihnen ist. Obwohl er für den völkerrechtswidrigen Ukraine-Krieg freilich – wie es Dr. Daniele Ganser kürzlich in seinem Ukraine-Vortrag in Dortmund beschied – freilich die Rote Karte verdient.

Am 11. Dezember schreibt er auf: „Diese verdammten Nächte, so lang, so quälend, so dunkel. (…) Gedanken können so brutal wehtun“

Unter dem 31. Dezember 2022 (S.181): „Die schlimmste Nacht bisher. Kein Schlaf. Schmerzen im Bauch. Ich fühle mich kotzelend. Sitze gekrümmt au einem Stuhl. Minuten später liege ich gekrümmt auf der Couch. Dann tigere ich durch die Wohnung, schreie leise auf.“

„In drei Monaten ist meine Chemo vorbei. Dann wird mein Körper durchgecheckt, es wird wieder eine Tumorkonferenz geben, dann weiß ich – wahrscheinlich, hoffentlich, vielleicht -, wie es um mich geht. Wie es mit mir weitergeht.

Es soll wieder so werden wie früher.

Es soll so sein wie früher.

Wiefrüherwiefrüherwiefrüherwie … „ (S.183

Das Buch läuft so aus: „Für mich, alter Träumer, vom Nachtmahr geplagt, ist diese neue Humanität die uralte Brutalität. Die unmenschlich bleibt, wenn auch viele Menschen, die gestern noch Friedensfahnen durch die Gegend trugen, mit der gleichen moralischen Inbrunst jetzt auf Panzer und Granaten setzen.“

Alles Gute, Arno Luik!

Zum Autor

Arno Luik, geboren 1955, war Reporter für Geo und den Berliner Tagesspiegel, Chefredakteur der taz, Vizechef der Münchner Abendzeitung und langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Gespräche von „Deutschlands führendem Interviewer“ (taz, Peter Unfried) sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden; für sein Gespräch mit Inge und Walter Jens wurde Luik 2008 als „Kulturjournalist des Jahres“ ausgezeichnet. Für seine Enthüllungen in Sachen Stuttgart 21 erhielt er den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche. Zuletzt erschienen von ihm im Westend Verlag der Bestseller „Schaden in der Oberleitung – Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ (2019) und das Interview-Buch „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna – Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit“ (2022).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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