Das Aus der Teilhabegesellschaft

EU Willkür, Konzeptlosigkeit und Inkompetenz in einer Dimension, die nicht mehr in Worte zu fassen ist

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Notizen aus einem Interview zwischen dem Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck und Susanne Brunner, SRF.

"Es gibt Milliarden Sparauflagen, Austeritätspolitik, kein Wachstum. Die Politik wirkt komplett konzeptlos.

Zypern ist in der Krise, weil Griechenland in der Krise ist. Giechenland ist in der Krise, weil der Euro in der Krise ist. Der Euro ist in der Krise, weil auch Deutschland in der Vergangenheit gewaltig was falsch gemacht hat. Was die Länder jetzt vor allem brauchen, ist eine Rückkehr zu Wachstum. Zu vernünftiger wirtschaftlicher Entwicklung. Denn wir sind in einer tiefen Depression und über dieses Problem wird überhaupt nicht geredet. Es ist aber das, was das ganze Problem – auch im Bankensektor – in vielen Ländern überhaupt erst erzeugt hat.


Was in Zypern passiert ist völlig grundlos und ein Vertrauensbruch. Da wird einfach reingehauen. 17 Mrd. braucht der Staat. Im Vergleich ist das noch eine überschaubare Summe … man muss das Geld einfach irgendwo her nehmen.
Es ist eine unglaubliche Willkür, das Geld jetzt von den Sparern zu nehmen. Es gibt eine Finanzblase in Zypern, die aus dem Wirtschaftsmodell heraus entstanden ist. Das ist ein Prozess, der sich über Jahre ganz offen entwickeln hat. Ähnlich wie in der Schweiz ist das Wirtschaftsmodell des kleinen Landes auf Finanzdienstleistungen und Steuermodellen aufgebaut. Das kann man gut oder schlecht finden, aber nicht über Nacht zerschlagen. Man kann also sagen, die Leute, die sich sowas ausdenken sind vollkommen inkompetent. Das ist eine Fortsetzung von Fehlentscheidungen.

Es war nie eine Staatsschuldenkrise

Eine Ursache der Fehlentscheidungen ist, dass man nie eine grundlegende Diagnose hatte. Schon bei Beginn der Eurokrise hat man den Fehler gemacht sie in eine Staatsschuldenkrise umzutaufen, was sie nie war. Das war nie eine Staatsschuldenkrise. Am Anfang war eine Finanzkrise, eine Bankenschudenkrise. Daraus hat man eine Staatsschuldenkrise gemacht und das hat man dann nahtlos auf die Eurokrise übertragen. Die eigentlich noch was anderes ist, nämlich ein Problem der auseinanderlaufenden Wettbewerbsfähigkeit. Also eine außenwirtschaftliche Krise, eine Währungskrise.

Und das wird alles durcheinander gemischt. Das ist ein vollkommen irres Vorgehen. Ohne jeden Bezug zur Diagnose des Problems schlägt man einfach drauf. Das ist ein großer Schritt Richtung Abgrund.

Der Vertrauensverlust

Jedes Land hat eine Masse an Problemen, aber die haben nichts mit unserer Währung zu tun. Das kann man nicht alles über Nacht durch Austeritätspolitik beseitigen wollen. Hier geht es um unsere gemeinsame Währung. Da kann man nicht einfach das Vertrauen in diese Währung erschüttern. Auch nicht dadurch, dass man Staaten pleite gehen lässt. Sondern man muss zunächst erstmal die Währung retten und dann in einem langwierigen Prozess darüber reden was alles sonst noch schief gegangen ist.

Wenn das Vertrauen in die Währung erstmal beschädigt ist, dann ist der Schaden da. Ab diesem Zypern-Szenario, wo die Sparer zwangsenteignet werden sollen, ist das nun immer – bei jedem Problem – eine realistische Option, die im Raum steht. Wenn der Geist erstmal aus der Flasche ist bekommt ihn auch nicht mehr rein. Wenn die Bürger nun den Eindruck haben, dass soetwas möglich ist, dann betreiben sie natürlich Vorsichtsmassnahmen. d.h. sie nehmen ihr Geld von der Bank, stecken es unter die Bettdecke, oder transferieren es in die Schweiz oder nach Deutschland. Und das ist das eigentlich katastrophale an dieser Entscheidung. Der Vertrauensverlust.



Es bleibt absolute Willkühr

Zu sagen, weil ein Bankensystem in einem Land zu groß ist nehme ich jetzt von der Bevölkerung was weg. Teilenteignung aus nichtigem Grund. Denn es hat ja gar nicht mit den Gründen der Krise zu tun. Zypern ist in der Krise, weil Griechenland in der Krise ist. Giechenland ist in der Krise, weil der Euro in der Krise ist. Der Euro ist in der Krise, weil auch Deutschland in der Vergangenheit gewaltig was falsch gemacht hat. Und das muss behoben werden.

Was vor allem diese Länder jetzt brauchen ist eine Rückkehr zu Wachstum. Zu vernünftiger wirtschaftlicher Entwicklung.
Wir sind in einer tiefen Depression und über dieses Problem wird überhaupt nicht geredet. Es ist aber das, was das ganze Problem auch im Bankensektor in vielen Ländern erzeugt.

Es gibt Milliarden Sparauflagen, Austeritätspolitik, kein Wachstum. Die Politik wirkt komplett konzeptlos.

Kein Europa-Konzept

Es ist traurig zu sagen, dass es in Europa kein Konzept gibt. Man ist schon falsch gestartet, als man bei Gründung der EU sagte: Das eigentliche Problem sind die Staatsschulden. Das war falsch, denn in einer Währungsunion sind nicht die Staatsschulden das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem ist es die Inflationsrate auf Linie zu halten. Also die Inflationsrate der Mitgliedsländer zu vereinheitlichen. Das ist von vornherein schiefgegangen. Deutschland lag zu tief die Mitgiedsländer lagen zu hoch. Das einzige Land was richtig lag war Frankreich. Dadurch ist eine riesige Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit entstanden. Deutschland ist zu wettbewerbsfähig, die anderen sind zu wenig wettbewerbsfähig. Das müsste man jetzt ausgleichen. Dafür braucht man einen unheimlich langen Atem. Denn das Problem ist über zehn Jahre entstanden. Man kann es nur über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren wieder beseitigen.

Diesen Atem hat anscheinend niemand. Das ruhige Nachdenken ist nicht vorhanden. Man stürzt sich immer wieder auf das Staatsschuldenproblem. Und dann macht man etwas völlig Verrücktes. Man verordnet den Ländern – mitten in der Krise, mitten in der Depression – Austeritätsmaßnahmen. Restriktive Fiskalpolitik. Rezession und Depression heisst ja die Leute geben zu wenig aus. Es kommt zu wenig Geld an den Markt. Und was sagt man jetzt ist die Rettung dafür? Dass der Staat auch noch weniger ausgibt, damit noch weniger Geld an der Markt kommt. Und dass sei dann die Lösung dieses Problems. Dass ist so absurd, es wird international auch als Absurdität diskutiert.


Nur, die entscheidenden Leute in Europa haben sich irgendwie eingemauert.

Die erreicht man nicht mehr, die sind nicht mehr diskussionsfähig. Die behaupten einfach das sei schon immer das einzig Richtige gewesen. Das ist brüningsche Politik, die wir hier jetzt in Europa machen. Und jeder vernünftige Mensch weiss, dass die immer scheitern muss und sie scheitert ja auch. Sie ist ja schon gescheitert. Griechenland hat versucht sein Defizit zu reduzieren, Spanien hat es versucht und dass funktioniert nicht, weil die Wirtschaft immer wieder einbricht.

Es gibt eine völlige Abschottung der Regierung Merkel. Man redet nicht mit alternativen Ökonomen. Man redet nicht mit kritischen Ökonomen. Sondern man hat seine zwei, drei Würdenträger, die alle streng gläubig in der Herrschenden Lehre sind. Und man redet nicht mit anderen Leuten. Das ist in der Tat ungeheuerlich, unglaublich. Und auch Brüssel hat sich ziemlich eingemauert. So werden dann solche Entscheidungen über Nacht getroffen. Die Leute sind natürlich auch übermüdet. Sie haben alle ihre Vorurteile im Kopf und dann werden solche irrsinnigen Entscheidungen getroffen. Das hat nichts mehr mit rationalem Vorgehen zu tun. Und wir können nur in aller Interesse hoffen, dass diese grandiose Fehlentscheidung jetzt mit Zypern vielleicht mal ein Umdenken bewirkt.

Wobei ich das schon nach dem griechischen Schuldenschnitt gehofft hatte. Da hat man ja nach einer Zeit erkannt das war gewaltig falsch und der Schuldenschnitt hat überhaupt nichts gebracht.

Das ganze Konzept Europa ist momentan fundamental infrage gestellt. Mit 25% Arbeitslosigkeit in allen südeuropäischen Ländern. Mit 60% Jugendarbeitslosigkeit sind wir in einer Situation, wo man das Schimmste fürchten muss. Man sieht es ja schon. Die Leute wählen ja schon in ihrer Verzweiflung alles mögliche. Die italienische Wahl ist eine Verzweiflungswahl, weil alle Angst haben vor dem, was noch kommen könnte.



Die Lohnsenkungen haben in Spanien und Italien und Frankreich ja auch noch nicht einmal begonnen.

Dann wird das Problem doch noch viel größer. Und Deutschland ist ja auch nicht in einer super Situation. Sie stehen zwar etwas besser da, weil sie zu Lasten der anderen so massiv exportiert haben in den vergangenen zehn Jahren. Aber dass Deutschland auch in eine Rezession geht, das Problem wird überhaupt nicht angesprochen. Das muss man sich mal vorstellen. Der deutsche Außenminister hat letzte Woche gerade wieder verkündet, "Austerität ist die einzige Lösung". Das ist Brüningsche Politik. Sogar eine Verschärfung davon, weil sie diesmal für einen ganzen Kontinent angewendet wird. Für Europa.

Das Schlimmste wäre, wenn jetzt Leute anfangen zu sagen: "Die Globalisierung war schon nicht toll, hat uns nur unter Druck gesetzt. Die Europäisierung ist gescheitert." Ja was ist die Antwort dann? Jeder vernünftige Mensch weiss, das ist irgendeine Form von Nationalismus. Und das ist das, was ich am meisten fürchte, dass aus dem Scheitern Europas nun Nationalismus rauskommt. Wenn sich die Bürger das in den Kopf setzen, dann wird es kritisch. Und davon sind wir nicht mehr weit entfernt. Und an der Verzweiflung der Wähler sieht man schon wie dringend es ist. Irgendwann kommt dann jemand, der sagt, "ich bringe euch da raus". Und dann wird es kritisch.

Das ist das Ende der Idee eines Vereinigten Europa.

Europa ist auf Wohlstand gebaut, auf die Idee, dass – wenn wir uns zusammen tun – alles besser wird.

Die Währungsunion war auf die Idee gebaut, dass wenn wir eine einheitliche Geldpolitik haben, dann werden wir mehr Wachstum haben. Dann wird alles funktionieren. Das wird jetzt alles zerdeppert, innerhalb von wenigen Monaten und Jahren. Und das zerdeppert natürlich auch all das Porzellan, das mühsam gekittet worden ist, nach dem Krieg. Und da kann man eigentlich nur noch hoffen.

Die Umkehr muss von Deutschland kommen. Die anderen Länder können nicht mehr in diese Richtung. Das kann auch nicht funktionieren. Man kann nicht die Löhne um 30% kürzen. Und dann hoffen diese Länder steigen wie Phoenix aus der Asche. Aber in Deutschland diskutiert niemand diese Umkehr. Im Gegenteil, man sagt, Deutschland steht wunderbar da. Steinmeier hat gesagt: "Deutschland steht in der ersten Reihe, die anderen stehen in der zweiten Reihe". Dass ist genau das falsche Europa. Es darf nicht einer in der ersten und die anderen alle in der zweiten Reihe stehen. Alle müssen auf gleicher Augenhöhe stehen. Ein Herr Kohl hätte ein Gefühlt dafür gehabt, der hätte das intuitiv gemerkt, dass man nicht in der ersten Reihe stehen darf.


Die SPD hat ohne jedes Konzept auf Lohnzurückhaltung gemacht.

Sie feiern jetzt die Agenda. Da sieht man alles dran. Dadurch haben sie einen Wettbewerbsvorteil erzielt, der nicht mehr zu beheben ist. Früher konnten die anderen Länder dann als Antwort auch einfach abwerten. Dann war die Welt wieder in Ordnung. Das können sie jetzt aber nicht mehr. Jetzt müssen sie die Löhne senken. Und Löhne senken ist ganz fürchterlich, weil man die Löhne so stark senken müsste, dass die Inlandsnachfrage völlig zerdeppert wird. Und wenn die dann zerstört ist, dann wäre man irgendwann vielleicht mal wieder wettbewerbsfähig. Aber dann gibt es das Land als Demokratie wahrscheinlich nicht mehr. Dann herrscht vermutlich Chaos.

Dass das nicht in die Köpfe geht, dass kann ich nicht verstehen.


Das Aussteigen aus einer solchen Gemeinschaftswährung ist unglaublich schwer.

Ich war immer ein Anhänger dieser Gemeinschaftswährung, aber wenn sie so schlecht gemanaged worden ist, dann muss man sagen, es geht halt nicht. Es funktioniert einfach nicht. Aber wenn nun ein einzelnes Land versucht auszusteigen, dann gibt es dort Chaos. Wie man ja an Zypern sieht. Weil nämlich die Leute versuchen würden ihre Sparguthaben abzuheben, weil sie fürchten, dass alles entwertet wird. Ein Chaos, das mit dem was in Zypern jetzt passiert nicht zu vergleichen wäre. Deshalb wird der Ausstieg wahrscheinlich in einer chaotischen Situation passieren. Die Politik wird Verzweiflungstaten begehen. Deutschland verliert dann über Nacht seine Exportmärkte.

Man hat durch die EZB immer nur Zeit gekauft. Aber das eigentliche Problem ist nicht gelöst worden. Irgendwo müssen positive Impulse herkommen, damit die Wirtschaft sich wieder berappelt. Nur wenn die Wirtschaft sich wieder berappelt kann man überhaupt über die Lösung aller anderen Probleme reden.

Alle klügeren Ökonomen wissen, dass man immer die Stromgrößenprobleme vor den Bestandsgrößenproblemen lösen muss. Also sich mit gegenwärtigen Schulden und Guthaben zu beschäftigen ist relativ unwichtig. Wichtig ist, die Schulden der Zukunft in den Griff zu bekommen. Und das passiert nur durch eine wachsende Wirtschaft. Denn nur dann können die Leute ihre Schulden in den Griff bekommen. Wenn es aber mit immer mehr Arbeitslosen immer tiefer in die Rezession geht, dann kommt man da nie raus.

Eine extrem kritische Phase des gesamten markwirtschaftlichen kapitalistischen Systems.

Was wir sehen ist eine Willkür der Maßnahmen und zu wenig Menschen in Brüssel, die verstehen was eine Währungsunion ist und wie man sie handhaben muss. Was das alles impliziert? Schauen wir nur nach Amerika. Was dort mit den Zinsen gemacht wird ist noch viel irrer. Aber das wird alles gemacht, um dieses System zu retten. Aus vielen Gründen, die jetzt hier zu weit führen sind wir in einer Systemkrise. In einer extrem kritischen Phase des gesamten markwirtschaftlichen kapitalistischen Systems. Weil wir bestimmte Dinge zu weit getrieben haben und zu große Ungleichheit haben. Aber in Europa haben wir das doppelte Problem. Ein Zusatzproblem. Und die Kapazitäten der Politiker reichen nicht aus damit zurecht zu kommen.

Sparen ist nicht hilfreich für die Wirtschaft. Die Sparversuche schaden der Wirtschaft. Wir haben eine so ungleiche Gesellschaft geschaffen, dass viele Menschen arm sind, alles ausgeben was sie haben, aber das nicht ausreicht, um die Wirtschaft anzukurbeln. Weil diese Menschen keine Einkommenszuwächse haben. Das ist das ganz große Problem dieser Welt. Dass wir am Arbeitsmarkt hohe Arbeitslosigkeit haben, die Druck auf die Löhne ausübt. Die Löhne steigen nicht. Die Einkommenserwartungen der Menschen sind schlecht. Wir brauchen positive Erwartungen und das geht nur wenn wir wieder zurückkommen zu einer Teilhabegesellschaft. Eine Teilhabegesellschaft, wo alle am Fortschritt partizipieren und wo nicht das Geld in die Taschen einiger weniger fliesst."


Notizen aus einem Interview: Heiner Flassbeck zur Eurokrise. SFR, 19.03.2013

Sparer zu enteignen, sei kein Weg zur Lösung der Eurokrise, findet Heiner Flassbeck im Interview mit Susanne Brunner, SRF 19.03.2013

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden