Klar, dass es irgendwann auch Herbert von Karajan treffen würde. Naheliegend, dass es nun das Theater Aachen ist, das dem Dirigenten in Zeiten des Nationalsozialismus zum Sprungbrett für eine Weltkarriere wurde. Und nicht überraschend, dass das eigene Narrativ des Dirigenten irgendwann durch historische Fakten abgelöst werden musste. Schon vor einigen Jahren hat der österreichische Historiker Oliver Rathkolb Herbert von Karajans Verdrängungs-Masche seiner Nazi-Verflechtungen nach dem Krieg ziemlich minutiös aufgedröselt.
Der Dirigent hatte stets den Fakt bestritten, dass er der NSDAP gleich dreimal Mal beigetreten war (1933 in Österreich und wenig später in Ulm, während seiner Zeit als Generalmusikdirektor später dann in Aachen). R
al beigetreten war (1933 in Österreich und wenig später in Ulm, während seiner Zeit als Generalmusikdirektor später dann in Aachen). Rathkolb legte auch dar, dass Karajans Jugend und Adoleszenz bereits von nationalen Ideen begleitet wurden und dass er ziemlich gut darin war, die dramatische Nazi-Geschichte in harmlose, persönliche Geschichten zu verharmlosen.Seine Nähe zu Nazi-Größen verkaufte Karajan als musikalischen WiderstandNoch heute ist auf YouTube zu hören, wie der Dirigent – befragt zu seiner Nähe zum Führungsstab der Nazis – erklärte, dass Hitler ihm nach einer etwas verunglückten Meistersinger-Aufführung geraten habe, in Zukunft mit Partitur zu dirigieren. Karajan erzählt, er habe beim nächsten Mal Noten mitgenommen, sie aber verkehrt herum auf das Pult gelegt und das Orchester weiterhin auswendig geleitet. Mit solchen Räuberpistolen gelang es ihm, selbst seine Small-Talk-Verbundenheit zu den Nazi-Größen als musikalischen Widerstand zu verkaufen: „Ich wollte mit nichts zu tun haben, was nichts mit meiner Profession zu tun hatte.“ Damals fragte bei solchen Geschichten niemand nach. Heute zum Glück schon.Angeblich soll es nun weitere aktuelle Forschungen geben, die Karajan, besonders in seiner Zeit in Aachen, belasten. Das jedenfalls erklärte die dortige Generalintendantin Elena Tzavara und ließ die Bronze-Büste des ehemaligen Musikchefs kurzerhand in den Theaterkeller verfrachten. Karajans Kopf soll später dem örtlichen Stadtmuseum Centre Charlemagne übergeben werden, wo sie in der für 2025 geplanten Ausstellung 200 Jahre Stadttheater Aachen gezeigt werde. Die Klassik-Szene tobtSeither tobt die Klassik-Szene. „Verrat am Genie!“ Schreien die einen, „längst überfällig!“ die anderen. Das wirklich Absurde an der Aachener Aktion ist, dass Intendantin Tzavara (die Konwitschny-Schülerin ist auch als Künstlerin durchaus politisch unterwegs) mit wahrscheinlich gutem Vorsatz das Gegenteil ihrer Ziele erreicht hat. Geschichte lässt sich nicht in Kästchen packen, in den Keller stellen und zu irgendwelchen Jubiläen wieder entstauben. Gerade Kulturinstitutionen sollten sich tagtäglich in ihrem Alltag der eigenen Vergangenheit stellen! Gerade das Erbe Karajans gehört gut ausgeleuchtet und mit grellem Spot bestrahlt ins Foyer unserer Gegenwart. In der Musik gehört die „historisch informierte Aufführungspraxis“ längst zum guten Ton. Karajan-Kontrahenten wie Nikolaus Harnoncourt haben gezeigt, dass das nicht bedeutet, Mozart mit Puderperücke zu spielen, sondern den historischen Aussagekern seiner Musik ins Jetzt zu katapultieren. Quasi eine „Übersetzung“ der alten Partitur in unsere Zeit. Stets im vollen Bewusstsein, dass Geschichtsforschung in der Regel mehr über die Zeit, in der sie aufgeschrieben wird, erzählt als über die Zeit, über die sie berichtet. Unser Blick auf Friedrich den Großen, auf Adolf Hitler oder eben auf Herbert von Karajan verschiebt sich immer wieder. Und am Ende verrät es mehr über uns als über sie, wie wir mit ihnen umgehen.Ausgetauscht gegen MozartKarajan in den Keller zu stellen, ist nicht die klügste aller Ideen. Vor allen Dingen wird das Verstecken nicht der kritischen Bewältigung seiner Rolle in der NS-Diktatur gerecht, und auch nicht seinem Versuch, sie später – als Chef der Berliner Philharmoniker – schönzureden. Vielleicht wäre es klüger gewesen, die Karajan-Büste um eine erklärende Tafel zu bereichern, oder – ganz im Sinne der Kunst – eine Künstlerin oder einen Künstler zu beauftragen, der Skulptur einen neuen „Rahmen“, ein dialogisches Umfeld mit unserer Gegenwart zu geben. Möglich wäre auch eine Dauerausstellung über das Theater Aachen in der Zeit des Nationalsozialismus zu installieren, ähnliche wie die der Bayreuther Festspiele zu vertriebenen und ermordeten Künstlerinnen und Künstlern auf dem Grünen Hügel tun. Dass Karajan jetzt gegen Mozart ausgetauscht wird, könnte für die Intendantin zum noch Bumerang werden. Was, wenn Historiker noch mal genau nachschauen, wie das der Wolferl, der gern mit „Sauschwanz“ unterschrieb, mit seiner Frau Constanze umgegangen ist, und welches Bild er von Muslimen oder PoC hatte … Eingebetteter Medieninhalt