Der Geist ist geil ...

Kirche ... aber der Körper auch. Nach der Aufdeckung der Missbrauchfälle in Berlin: Die Kirche muss endlich der Kreatur gerecht werden.

Die Missbrauchsfälle im Berliner Jesuiten-Kolleg beweisen, wie schwach der Körper im Angesicht einer rigiden geistigen Moral wird. Bei seinem Amtsantritt mahnte Papst Benedikt den Jesuitenorden zu bedingungsloser Treue. In einem Brief schrieb er: „Um der ganzen Gesellschaft Jesu eine klare Ausrichtung zu geben, wäre es heute wie noch nie nützlich, wenn die Generalskongregation ihr vollständiges Festhalten an der katholischen Lehre bestätigt, besonders in einigen neural­gischen Punkten [..] wie zum Beispiel […]der Sexualmoral, besonders, was die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe und die Pastoral für die homosexuellen Personen betrifft.“

Kein anderer Orden hat die katholische Kirche im Laufe der Geschichte durch Neudenken und durch seine Liberalität derart herausgefordert wie die Jesuiten. Sie haben einen wesentlichen Anteil daran, dass moderne Philosophie in den katholischen Bildungs­kanon aufgenommen wurde. Ihr dialektisch weltoffenes Denken hat selbst Kirchenkritiker dazu gezwungen, sich klüger mit der Rolle der Religion in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Umso erschreckender, was geschah. Dass erst heute herauskommt, wie Pädagogen des Jesuiten-Ordens Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin in den achtziger Jahren missbraucht haben, zeigt, wie weit Geist und Körper, Wort und Tat unter Gottes Himmel auseinanderliegen.

Der eigentliche Skandal besteht neben den Missbräuchen darin, dass sie trotz zahlreicher Hinweise nicht aufgeklärt wurden. Sowohl der Jesuitenorden als auch die katholische Kirche haben Hilferufe des Schulrektors, von Schülern und selbst die Beichte eines der Täter unverfolgt gelassen.

Jede moralische Institution hat per Definition eine Sollbruchstelle: die Verkörperung der eigenen geistigen Moral. Und es gehört zur Erfolgsgeschichte der katholischen Kirche, dass sie diese Schwachstelle ausgeschaltet hat. Früher wurden Verfehlungen durch Ablassbriefe, heute werden sie durch eine einfache Beichte vergeben. Der starke Geist siegt über den schwachen Körper. Diese jenseitige, inhärente Rechtsmoral macht es möglich, dass einer der mutmaßlichen Täter heute behaupten kann, vor Gott mit sich im Reinen zu sein.

Dass Benedikt den Jesuiten Treue ins Stammbuch schrieb und besonders auf die christliche Sexualmoral pochte, zeigt, dass eine radikale Doktrin weniger zur Treue als viel mehr zum Verrat anregt. Kirchenfonds für Priester-Kinder, der bigotte Umgang mit den Holocaust-Leugnern der Pius-Brüderschaft und das Vertuschen von Missbrauchsfällen lässt die Kirche nicht an ihrer göttlichen Mission, sondern an Gottes schwachen Kreaturen scheitern. Und der wahre Skandal ist, dass die Kirche sie in ihrer Philosophie nicht mitdenkt. Eben, Geist ist geil, doch der Körper ist geiler.

Jesus rief dem aufgebrachten Mob bei einer Steinigung zu, dass jener, der ohne Sünde sei, den ersten Stein werfen solle. Seit Jahrhunderten wirft die Kirche als moralische Instanz mit Steinen um sich. Mehr noch, sie hat vom Kindergarten bis zum Gymnasium einen Großteil der moralischen Prägung unserer Gesellschaft übernommen.

Das deutsche Strafgesetzbuch ist (ganz im christlichen Sinne) auf die Einsicht und Besserung von Sündern ausgelegt – und schließlich auf Vergebung durch die Sühne. Die Selbstjustiz der Kirche unterscheidet sich von der Moral des säkularen Rechts lediglich nur, indem sie auch die Schwäche des Körpers ahndet und ihn zum Einklang mit dem Geist bringen will. Aber selbst die Kirche darf das weltliche Recht von Sünde und Strafe nicht in Frage zu stellen oder ins Jenseits zu verschieben – erst recht nicht, indem sie die Moral des Geistes über jene des Körpers stellt.

Geist ist geil, der Körper geiler: Die Kirche muss endlich der Kreatur gerecht werdenAxel Brüggemann über die Missbrauchsfälle bei den Jesuiten

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden