Wir können vom Fußball nicht mehr erwarten als von anderen Sozialgemeinschaften. Letztlich ist er wie das Leben: spannend zuweilen, oft ein Geschäft, und am Ende, wenn es um Leben und Tod geht, doch ziemlich klein.
Als Robert Enke sich vor fünf Jahren das Leben nahm, schwor man: weniger Druck, mehr Therapie. Weniger Kommerz, mehr Offenheit und Verständnis. Versprechen im Schockzustand – wie die Ansage von Hannover 96, nie mehr die Nummer 1 für einen Torwart zu vergeben. Heute trägt Ron-Robert Zieler dort wieder diese Zahl auf dem Rücken. Der Schatten der Toten verblasst, um den Lebenden Raum zu geben. Die Offenbarung der eigenen Hilflosigkeit wird durch den Alltag verwischt.
Nun hat auch Fußballprofi Andreas Biermann den Kampf gegen seine Depression verloren. Mit dem Buch Rote Karte Depression hatte er sich geoutet, er erzählte seine Geschichte in Talkshows und veröffentlichte sogar seine Telefonnummer, denn am liebsten hätte er allen vier Millionen Deutschen, die ebenfalls an Depressionen leiden, geholfen. Wir haben ihm dabei zugeschaut und gehofft, dass dieser absurde Kraftakt wenigstens als Eigentherapie nützt. Letztlich konnte er sich selbst aber nicht helfen.
Fußball als Spiegel der Arbeitsgesellschaft
Der Krebs tötet unsere Zellen, die Depression verwirrt unser Gehirn und bringt uns dazu, uns selbst aufzulösen. Wie aber soll ein Sportverein etwas schaffen, was selbst Angehörigen und Spezialärzten unmöglich ist? Der Fußball zeigt nur, was für jeden unserer Arbeitsplätze zutrifft: Bei transfermarkt.de stand Biermanns Profil auch zwei Tage später noch online, inklusive seiner „Marktentwicklung“. Zu Hochzeiten, bei Union Berlin, war er 225.000 Euro wert, dann folgten der Sturz auf null Euro bei Tennis Borussia und das Comeback mit 150.000 Euro bei St. Pauli. Heute baumelt dort am Ende seiner Transferhistorie ein Paar Turnschuhe: „Karriereende“.
Union Berlin erklärte: „Andreas hat sich lange und mutig gegen seine Krankheit gestemmt – aber er konnte den Kampf nicht gewinnen.“ Auf St. Pauli hieß es: „Wir sind betroffen, was diese grauenvolle Krankheit anrichten kann.“ Mal wieder hält der Fußball inne. Davon kann der Alltagsboulevard nur lernen, etwa die Bunte, die sofort titelte: „Wer trocknet die Tränen seiner Kinder?“
Für den Betroffenen mag der Tod eine Erlösung sein, für die Hinterbliebenen beginnen Schock und Schuldgefühle. Biermanns Familie und die Fußballwelt trauern respektvoll, weil sie die eigene Hilflosigkeit akzeptieren. Unser öffentlicher Umgang mit dem Unvorstellbaren kann davon lernen.
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