Die Hasch-Kuchen werden woanders gegessen

Woodstock Auch zum 50. Jubiläum schlägt ein Wiederbelebungsversuch des legendären Festivals katastrophal fehl. Das sagt viel über die einstigen Protagonisten aus
Ausgabe 32/2019
Der Geist von 1969 liegt bunt umhüllt darnieder
Der Geist von 1969 liegt bunt umhüllt darnieder

Foto: Mario Tama/Getty Images

Mit dem guten Geist ist das so eine Sache. Wer glaubt, dass Geister ein Leben lang die gleichen Klamotten tragen – etwa ein weißes Bettlaken –, irrt. Nehmen wir den Geist der grünen Bewegung: Der formierte sich aus der Hippie-Bewegung, der hörte Joan Baez, Janis Joplin, Jimi Hendrix oder Santana und trug lila Latzhose und Batik-T-Shirt. Als er an der Macht war, passte er sich an und wechselte zum Dreiteiler. Inzwischen spukt er in Jeans und lässigem Hemd durch die Opposition. Wandlungen, die nicht jedem Geist gelingen. Zum Beispiel dem Geist von Woodstock. Einst bester Kumpel des Geistes der Grünen. Er endet gerade als Gespenst – und die einzige Band, die noch auf ihn setzt, sind ausgerechnet The Zombies!

Als Michael Lang das legendäre Festival vor 50 Jahren veranstaltete, war alles ziemlich chaotisch: Die Anwohner des Festivalgeländes wehrten sich gegen den Ansturm der Hippies, erst vier Wochen vor der Veranstaltung stellte Bauer Max Yasgur im Dorf Bethel, 70 Meilen von Woodstock entfernt, sein Weideland zur Verfügung. Was dann passierte, ist Legende: Vom 15. bis zum 17. August trafen sich Hunderttausende Jugendliche, tanzten, nahmen Drogen, liebten sich und versanken in Matsch und Chaos. Für viele war Woodstock der Beweis, dass es ein neues Lebensgefühl geben kann: Vögeln, Frieden und Hasch-Kuchen.

Als dieser Geist 30 Jahre später wiederbelebt werden sollte, zeigte er bereits seine hässliche Fratze: Massenvergewaltigungen, Plünderungen und eine brennende Bühne. Nun, zum 50. Jubiläum, sollte alles wieder besser werden, gleichsam auf Anfang gestellt. Der mittlerweile 74-jährige Lang beauftragte die millionenschwere Agentur Superfly, das Chaos sollte kommerzialisiert werden. Doch der Geist wehrte sich: Die Veranstaltungsorte erweisen sich als unpraktisch, Genehmigungen fehlten, Bands wie The Black Keys sagten ab. Bis dahin waren bereits 30 Millionen Dollar versenkt. Ein japanischer Unternehmer soll Bands abgeworben und ihnen versprochen haben, bei den Olympischen Spielen in Tokio auftreten zu können. Ein neuer Sponsor scheiterte ebenfalls, der Bezirkssheriff wollte das Jubiläum verschieben, und als Jay-Z, Miley Cyrus und Santana ebenfalls absagten, musste auch Michael Lang einsehen, dass Woodstock 2019 keine Chance hat, auch wenn die Zombies (größter Hit: She’s Not There) weiter ihre Bereitschaft bekundeten. Der olle Geist bestand unter seinem schlammbedeckten Bettlaken nur noch aus klapprigen Knochen.

Mythen und Geister sind komplexe Gestalten: Seit zweitausendundneunzehn Jahren schaffen wir es jedes Jahr, das Jubiläum der Geburt Jesu zu feiern, dem Geist der Bayreuther Festspiele gelingt es seit 143 Jahren, sich den jeweiligen Moden der Zeit anzupassen: dem monarchischen Operetten-Gewand, der nazibraunen Uniform, dem demokratischen Hosenanzug und inzwischen sogar den Regenbogen-Klamotten. Dass Woodstock diese Wandlungen nicht gelingen (nicht einmal als Zeichen gegen Trumps rote Ami-Cap), sagt viel über seine Protagonisten aus: Viele 68er sind Ewiggestrige geworden, unflexibel, nicht mehr in der Lage, neue gesellschaftliche Visionen zu entwickeln und sie einfach – gegen jeden Mainstream – zu leben. Und so wird Woodstock inzwischen konserviert wie die Mona Lisa im Louvre. Neben dem einstigen Festivalgelände steht ein kleines Museum. Eintritt 13 Dollar, im Devotionalien-Shop gibt es Batik-T-Shirts mit Woodstock-Logo für 24,95 Dollar. Der Geist aber ist hier längst ausgezogen.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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