Hart rocken und trotzdem blöd schunkeln

Das Prinzip Heino Mit seinem neuen Cover-Album "Mit freundlichen Grüßen" stürmt der 74-Jährige die Charts

Sein Schopf war schon immer etwas blonder als blond, seine Brille schon immer ein bisschen brauner als braun. Aber erst mit 74 Jahren dreht Heino so richtig auf. Er sei, sagt er, „hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie ein Windhund.“ Bild kürte den Schlager-Barden von gestern heute gar zum schwarz-rot-blonden „King of Rock“, zum coolsten Alten der verlotterten deutschen Jugend. Und die Nation ist enzianblau und gröhlt im allgemeinen Albumglühn gleichsam ein kollektives Heil Heino! Sein Cover-Album Mit freundlichen Grüßen steht auf Platz eins der Albumcharts – das ist Heino mit keiner Platte seiner 51-jährigen Musik-Karriere gelungen. Die Ärzte, Rammstein und Co. sollen ihm, glaubt man der Platten-Propaganda, für seinen geistigen Diebstahl verflucht haben.

Aber eigentlich lehnen sich inzwischen alle entspannt zurück. Was ist schon passiert? Eine Zeitung, die Heino oft im Fahrstuhl nach unten begleitet hat (Liebeskummer? Pleite? Drei-Millionen-Klage wegen abgesagter Konzerte?), drückt nun noch einmal den Knopf nach ganz oben. Und jeder haselnussbraunblütige Musikwissenschaftler, der sich mit der germanischen Schlager-Hochkultur beschäftigt hat, weiß, dass Heinos aktueller Erfolg zu den Wurzeln seiner Karriere führt. Bereits sein erster 100.000er-Erfolg „Jenseits des Tales“ war schließlich nur auf der B-Seite einer Platte zu hören. Auf der A-Seite hat Heino ein Cover von Freddy Quinns „13 Mann und ein Kapitän“ eingespielt, mit diesem Titel erhoffte er sich größere Chancen.

Nichts seit Wagner war je so deutsch wie Heino – auch deshalb ist er sein Leben lang von jedem, der die deutsche Seele offenlegen wollte, plagiiert worden: Von Otto Waalkes bis zu Tote Hosen-Gastsänger Norbert Hähnel, dem Heino sogar eine Unterlassungsklage zustellen ließ; mehr zu diesem traurigen Kapitel steht in Wolfgang Müllers Buch Subkultur Westberlin 1979-1989.

Pünktlich zum Wagner-Jahr, quasi als Richards tauber Heino, könnte der Barde in seinem nächsten Album ja gleich „Ach du glatter glitschiger Glimmer“ aus dem Rheingold covern. Der Zahnarztsohn und Bäckergesell, das Kind aus Düsseldorf-Oberbilk, dessen Vater im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, dieser Heinz Georg Kramm war als Heino ein Meister deutscher Mythologie, ein nationales Symbol, eine Ikone der schunkelnden Bürgerlichkeit.

Als nur die RAF Sonnenbrillen trug und die sexuelle Revolution mit Rainer Langhans verbunden wurde, schmetterte er in der Schlagerparade subversive Texte wie „In der ersten Hütte haben wir gesessen, in der zweiten Hütte haben wir gegessen. In der dritten Hütte haben wir geküsst – niemand weiß, was dann geschehen ist ...“ Er hat die Nation blau, blau, blau gesungen. Gemeinsam mit irgendeinem „Schweizer Madel“ und seiner Linzer Göttergattin Hannelore.

Die hätte, wenn sie Karl Kaus gelesen hätte, das Prinzip Heino längst erfassen können. Kraus schrieb einst: „Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.“ Neudeutsch kann man das so formulieren: Heinos Geheimnis ist, Rammstein und Co. so dumm klingen zu lassen, dass seine Zuhörer glauben, Rock zu hören und trotzdem schunkeln können. Damit keine Missverständnisse aufkommen, Heino ist – harter Kruppstahl hin und zähes Leder her – kein verkappter Nazi. Er ist mehr als das: Er ist einer von uns. Ein deutscher Chartstürmer.

Axel Brüggemann ist Musikfachmann

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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