Im Weserstadion erprobt

Porträt Kristina Vogt war Kneipenwirtin und Elternbeirätin. Jetzt kann sie die Linke in Bremen zur Regierungspartei machen
Ausgabe 18/2019

Ins Weserstadion darf der Fraktionschef aus dem Bundestag wieder kommen, auch wenn Kristina Vogt wegen ihres Begleiters Dietmar Bartsch „Abzüge in der Street-Credibility“ befürchtet hatte: Doch Werder Bremen gewann das Spiel gegen Freiburg, und etliche Fans in Bremen dürften wissen, dass Vogt nicht nur aus Wahlkampfgründen da war – sie geht seit vielen Jahren ins Stadion und hat eine Dauerkarte.

Vogt ist Spitzenkandidatin der Linken für die Bürgerschaftswahl am 26. Mai, und gerade besuchen sie die Genossen gerne, zuletzt war Gregor Gysi da. Denn die 53-Jährige scheint ein Erfolgsrezept für die Linke im Westen gefunden zu haben; elf bis 13 Prozent stehen in den jüngsten Umfragen zu Buche. Von einem Termin wollten Mitstreiter sie aus Gründen der Street-Credibility eigentlich abhalten, Vogt zog dennoch Rock und Bluse an und ging zum Mittagessen mit dem niederländischen König Willem-Alexander und Königin Máxima ins Bremer Rathaus, Mitte März war das. „Ach, eine echte Königin zu sehen, das muss man doch auch mal gemacht haben“, sagt sie.

Unkonventioneller Pragmatismus, Neugier und unverhohlener Spaß an Politik, damit hat Vogt Bremens Linke in eine ernstzunehmende Kraft verwandelt. Als sie die Partei übernommen hatte, legte sie zunächst eine Bauchlandung hin: sechs Prozent bei den Wahlen 2011. Dann machte sie Klarschiff.

Die Rechtsanwaltsfachangestellte und alleinerziehende Mutter eines Sohnes stand jahrelang hinter der Theke der Kneipe „Horizont“ im Stadtteil Walle. Vielleicht half ihr das dabei, die überwiegend männlichen Streithähne in ihrer Partei zu vereinen, Posten paritätisch zwischen Radikalen und Gemäßigten zu verteilen und reale Politik einzufordern. Schluss mit Ideologie-Träumereien, stattdessen Opposition mit konkreten, konstruktiven Vorschlägen für das klamme Bundesland mit der größten Armutsgefährdungsquote.

2015 reichte das für 9,5 Prozent. Die SPD mit Bürgermeister Carsten Sieling ist auf 24 Prozent abgestürzt, die CDU (25) hat unter Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder zu neuer Stärke gefunden, die Grünen stehen bei 18 Prozent – die Regierungsbildung könnte spannend werden: Jamaika oder Rot-Rot-Grün, das sind die Alternativen. „Zum ersten Mal spürt man in Bremen wieder so etwas wie Nervosität“, sagt Vogt, „und das ist sehr belebend.“

Jahrelang saß sie als Mutter im Elternbeirat einer Grundschule im Stadtteil Gröpelingen. „Ich habe erfahren, wie machtlos man ist, wenn man an der Basis kämpft.“ Vogt organisierte Demos, ging dann selber in die Politik, 2008 trat sie in die Linke ein. Bürgernähe ist für sie dabei das A und O geblieben. „Ich glaube, dass es verdammt wichtig ist, Menschen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen“, sagt sie, „nur so lässt sich die AfD verhindern.“

Den aktuellen Wahlkampf organisiert sie aber nicht um das Thema Bildung. Die Bremer Linke will sich als Wirtschaftspartei präsentieren. Dass die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert der Schuldenbremse zugestimmt hat, um den Länderfinanzausgleich 2020 neu aufzustellen und mehr Gelder für Bremen herauszuholen, hält Vogt für einen Fehler. Ebenso falsch findet sie, dass die CDU den Großteil der 400 Millionen Euro, die vom Bund kommen, für Schuldentilgung ausgeben will. Vogt will den Standort Bremen neu denken: „Während Bremen den letzten Strukturwandel versemmelt hat und Städte wie Leipzig die Kreativwirtschaft anlocken konnten, muss uns der nächste Strukturwandel gelingen“, sagt sie. Dafür setzt sie auf neue Arbeitsplätze, fernab des Billiglohnsegments. In den vergangenen Jahren haben etwa der Frühstücksflocken-Hersteller Kellogg’s, der Schokoladenfabrikant Hachez und Coca-Cola in Bremen Stellen abgebaut. Für Vogt ist die Branche dennoch eine Schlüsselwirtschaft. Sie will neben der Luft- und Raumfahrt auf eine Cluster-Neubildung setzen. Mehr als 3.000 Arbeitsplätze in der Nahrungsmittelindustrie seien seit 2015 in der Region entstanden. Dieser Trend soll weitergehen. Vogt denkt vor allem an Bremerhaven: „Hier haben wir mit Frosta einen großen Unternehmer; denkbar ist, die Lebensmittelindustrie mit der Forschung an der Universität zu verbinden und ein innovativer Standort mit Zukunftsperspektive zu werden.“

Dass die rot-grüne Stadtstaatregierung die Wohnungsbaugesellschaft Brebau gekauft hat, findet Vogt gut. Auch weil sie das Wohnungsbau-Unternehmen in Zukunft auf Bundesebene als Sicherheit einsetzen will, um kreditfinanziert bauen zu können.

Vogt, die aus Münster kommt und seit 1984 in Bremen lebt, hat die Linke realpolitisch ausgerichtet, jenseits marxistischer Ideologie. Viele Bremer, die mit der Bundespartei nichts anfangen können, scheinen davon angetan, wie die Umfragewerte zeigen. „Bei meiner Mutter ist das genau andersherum“, lacht sie, „die wählt die Bundeslinken, kann aber mit der ideologischen NRW-Linken nichts anfangen.“ Koalitionsverhandlungen in der Hansestadt hat sie insgeheim schon durchgespielt, auch wenn es „natürlich schwer“ sei, „sich in das Bett einer zerrütteten Ehe zwischen SPD und Grüne zu legen“. Doch „Wohnungsbau, ÖPNV und Arbeitsmarkt, das könnten Punkte sein, auf die wir uns schnell einigen.“ Würde eine rot-rot-grüne Koalition auch mit Bürgermeister Sieling funktionieren, der den Posten vor vier Jahren übernahm, bei noch 32,8 Prozent für die SPD? „Ach, der Carsten“, seufzt Vogt, „man braucht einen Bürgermeister, der den Leuten ein gutes Gefühl gibt.“

Die neue Machtperspektive sorgt auch in Vogts Partei für Nervosität. „Das ist ein kultureller Wandel“, sagt sie. „Viele Linke leben davon, dass sie ihr Dasein eher negativ darstellen. Nun werden wir mit einer positiven Selbstwahrnehmung konfrontiert, und das ist für manche von uns vollkommen neu. Daher ist das Wichtigste, jetzt Ruhe zu bewahren.“

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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