Deutschlands neue Realpolitik im Westsaharakonflikt?

Autonomielösung für Westsahara Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Marokko liegen seit Monaten auf Eis. Das könnte sich nun ändern.

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Nach monatelanger diplomatischer Eiszeit könnten sich Deutschland und Marokko wieder einander annähern. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Marokko sind durch die jüngste Vergangenheit stark belastet. Hintergrund war Deutschlands Haltung im Westsaharakonflikt.

Vor fast genau einem Jahr haben die Vereinigten Staaten unter Donald Trump die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt.

Deutschland kritisierte die Position der USA und ließ unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen. Deutschlands Vorpreschen im UN-Sicherheitsrat kam in Rabat nicht gut an und belastete die deutsch-marokkanischen Beziehungen über lange Zeit schwer.

Die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara findet in den USA auch parteiübergreifend Zustimmung. Joe Biden hält nämlich an die Entscheidung seines Vorgängers fest. Nur Deutschlands bisherige Position scheint nunmehr zu wackeln. Seit dem 13.12.2021 gibt es überraschenderweise ganz neue Töne aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Zum ersten Mal erfährt der von Marokko vorgelegte Autonomieplan eine offizielle deutsche Unterstützung. Auf der offiziellen Internetseite des Ministeriums heißt es:

„Marokko hat im Jahr 2007 mit einem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag für eine solche Einigung eingebracht.“

Die neue Außenministerin ist gut beraten, sich ernsthaft für den Autonomieplan einzusetzen. Das Ende des Westsaharakonflikts kann tatsächlich nur in einer Autonomie zu finden sein. Dieser pragmatische und interessensgerechter Lösungsansatz steht auch im Einklang mit den Zielen des Völkerrechts, da dieses immer bestrebt ist, einen Ausgleich zwischen territorialer Integrität der Staaten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu suchen.

Im Rahmen der Dezentralisierung können Entscheidungen sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten einer Region besser Rechnung tragen. Bei dem Autonomieplan erhält das Gebiet der Westsahara einen Sonderstatus, durch den verschiedene kulturelle und administrative Rechte eigenverantwortlich geregelt werden. Die Autonomie bietet einen weitreichenden Gestaltungsrahmen und sichert daher der Bevölkerung die alleinige Entscheidung in den für sie identitätswahrenden Fragen. Gerade konfliktträchtige Bereiche wie Kultur und Sprache, die die Identität der Minderheiten zu bewahren helfen, können vor staatlicher Einmischung, insbesondere vor dem Diktat der Zentralregierung geschützt werden.

Regionalisierung und Autonomie für die Westsaharagebiete werden zukünftig Bürgernähe, politische Beteiligung und Pflege der kulturellen Eigenarten ermöglichen; während das Königreich dafür sorgen kann, dass Marokko ein Beispiel an Sicherheit, Fortschritt, Zusammenarbeit und Frieden in der ganzen arabischen und islamischen Welt wird. Nur in einem Klima der Ruhe kann Nordafrika als Markt für ausländische Investoren gedeihen. Es wird allmählich ein gemeinsamer regionaler Rahmen wachsen, der die Gestalt der Region verändern wird, und zwar zu allererst im Bewusstsein der Völker Nordafrikas.

Es ist Zeit, dass die Bevölkerung der Westsahara im Rahmen der ihr gewährten Autonomie ihr Recht auf das aktive und passive Wahlrecht in echten periodischen allgemeinen, freien und geheimen Wahlen verwirklichen und mit dem Rest des marokkanischen Volkes eine gefestigte pluralistische Demokratie aufbaut. Wenn jene, die unter den Folgen eines Krieges unmittelbar und am meisten leiden, nämlich das „einfache Volk“, über Krieg und Frieden mitzuentscheiden haben, werden sie – so erwartete es schon Immanuel Kant – wohl den Frieden wählen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Azzadine Karioh

Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht, Buchautor

Azzadine Karioh

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