Der seltsame Abgang des Mr. Jones

Alternde Superstars Jetzt kann man mit einer Facebook-App auch selber für das neue David-Bowie-Album werben – Gedanken zum Post-Spätwerk eines Helden meiner Jugend

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Der seltsame Abgang des Mr. Jones

Cover: Uncut, iPad-Edition

David Bowie hat sich nach zehn Jahren zurückgemeldet, Krankheits- und gar Todesmeldungen zum Trotz. Die Fanschar war begeistert, die Gazetten überschlugen sich in Interpretationen. Dabei handelt es sich um einen eher irrelevanten Song und etwas völlig Antibowieeskes – eine Wendung zurück, ein Blick auf seine eigene Legende. Dagegen hat sich der Künstler bisher immer gewehrt, und zumindest nach eigener Aussage versucht, an alte Erfolge anzuknüpfen und dabei nach vorn zu schauen. Zeitschriften wie Uncut oder Rolling Stone ist Bowie regelmäßig ein Cover wert: Egal, was er macht, es verkauft sich

So richtig war ihm das seit Jahrzehnten nicht geglückt. Offenbar verträgt sich der Drang, so viel Geld wie möglich zu verdienen, den Bowie seit Anfang der 80er verstärkt verspürte, nicht mit wirklicher Kreativität und Innovation. Vielleicht ist auch bei einem Künstler, der es als Einzelperson schaffte, eine ganze Dekade zu dominieren, irgendwann mal die Luft raus. Innovativ war Bowie seitdem folgerichtig vor allem im Geld machen – ganz vorn die so genannten Bowie Bonds, Wertpapieren für Anteile am Honorar für seine künstlerische Arbeit, die der Investmentbanker David Pullman 1997, zu Hochzeiten der Internetblase, für ihn erfand. Das Konzept war so erfolgreich, dass es reichlich Nachahmer fand und ist jetzt unter dem Namen Celebrity Bonds bekannt und beruht mehr auf der Identifikation mit dem Werk eines Stars als auf dessem wirklichen ökonomischen Wert selbst. So rangieren die Bowie-Aktien seit 2004 gerade noch eine Stufe über Ramschstatus.

Das stört aber die wahren Fans nicht, die in der Liebe zu ihrem Star blind sind – so blind, dass sie es nicht mal mehr merken, wenn sie komplett verarscht werden. Genau das scheint Bowie – und der hinter ihm stehende Stab – jetzt zu machen. Wo andere auf der Suche nach einem würdevollen Ton für ihr Alterswerk sind, nimmt Bowie sich und sein eigenes Werk selbst auf die Schippe – und seine Fans gleich mit. Das Comeback mit Knall kam mit einem merkwürdigen Video zu einem uninspirierten Lied einher. Das war allein aufgrund dessen interessant, weil es voller mehr oder weniger geheimnisvoller Referenzen an die eigene Vergangenheit war, an deren Entschlüsselung sich die Bowielogen sogleich machen: Es sprach von seiner Zeit in Berlin, von der Bowie bis dato eigentlich in Interviews gar nicht mehr reden wollte, aber es gab auch Anspielungen an noch frühere Zeiten, von seiner ersten großen Liebe bis zu seinem ersten großen Hit, Space Oddity. Selbst in einem simplen Glastotenkopf sah ein Interpretierender eine Anspielung auf Gerhard Richter – das ist so weit weg, dass es schon ironisch erscheint.

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David Bowie Paper Doll vom CBC / Copyright: Heather Collett/CBC Music

Während sich die meisten an den hingeworfenen Häppchen abarbeiteten, in die offenbar mehr Mühe gesteckt wurde als in den Song, fragten sich andere, was das jetzt soll und ob da noch mehr kommt. Schon die Textzeile “You never knew/That I could do that” in Bezug darauf, dass er – oh Wunder – mit der S-Bahn vom Potsdamer Platz aus fuhr, deutet eigentlich sehr klar darauf hin, dass das alles nicht ernst gemeint ist. Die CBC, der kanadische öffentliche Rundfunk, hatte es sehr schnell und gut auf den Punkt gebracht mit seinem Bastelbogen für den David Bowie, den man haben will. Auch Fans hatten ihren Spass, indem sie das Ganze ebendso wenig Ernst nahmen.

Diese Lesart hatte Bowie selbst noch einmal unterstrichen, in dem er sich mit dessen Hut vor dem Foto ablichten ließ, dass in den frühen 70er Jahren von ihm und William S. Burroughs gemacht wurde. Damals hatte sich Bowie im Kokainrausch ernsthaft mit dessen Cut-Up-Technik beschäftigt, wie man sehr schön in der wirklich sehenswerten BBC-Doku Cracked Actor sehen kann. Heute bietet er es kindgerecht als Cut-Out an. Das Plattencover zeigt sein Heroes-Album aus seiner künstlerisch fruchtbarsten Zeit – mit dilettantisch durchgestrichenem Titel und einem weißen Quadrat über seinem Gesicht. Das kann man, muss man eigentlich, deutlich interpretieren als: Ich will nicht mehr, laßt mich zufrieden – oder auch nicht.

Für alle, die noch nach Ernsthaftigkeit suchen, hat das Bowie-Facebook-Team gestern eine Facebook-App veröffentlicht, mit der man dieses Cover nachgestalten kann (nicht das das auch ganz einfach mit Paint oder einem anderen kostenlosen Programm ginge, wenn einem danach ist). Man sollte kreativ sein (Ironie???) und ein Cover des Backkatalogs von Bowie nehmen und sein Avatarbild entsprechend gestalten. Und es gab auch genügend Fans, die sich nicht zu schade waren, kostenlos Promotion für das Album zu machen – pünktlich zur Veröffentlichung der zweiten Single, die bei jenen, die sie schon gehört haben, nicht wirklich gut wegkam. Während andere ihr Facebook-Avatar ändern, um gegen Atomkraft oder Genfood zu protestieren, wollten sie Teil einer “Bewegung” (O-Ton Bowie-Team) sein, die nichts weiter tut als einem alternden Rocksuperstar zu huldigen und ihm weiter Geld in die Taschen zu stopfen, der seit über 30 Jahren keine wirklich relevante Musik mehr veröffentlicht hat – und darauf auch offenbar keinen Wert mehr legt.

Natürlich kann man nicht in David Bowies Kopf gucken, ob er nicht vielleicht tatsächlich senil geworden ist und diese ganze Selbstmusealisierung doch völlig ernst meint. Ich glaube aber, er tut das, was ich von Anfang an gedacht habe: Er macht sich einen Riesenspaß, oder wie man auf Ausländisch sagen würde: He is having a big laugh. Ein bisschen irre ist dieses Lachen schon, schließlich ist es eine Kapitulation vor den längst unerfüllbaren Erwartungshaltungen, die an ihn herangetragen werden, und sicher gleichzeitig auch eine finale Befreiung vom Druck, der damit einhergeht. Es ist vielleicht auch ein wenig Exozismus des Alten, das Bowie lange nicht mehr ist und lange nicht mehr sein will. Er sagt einfach: Ihr wollt den und den Bowie? Hier habt ihr ihn. Soll mir recht sein. Und Geld kann ich damit verdienen, egal, was ich mache. Oder wie Billy Bragg sagt: Bowie ist inzwischen schon jenseits von einem Konzept wie “peinlich”, und es ist ihm wahrscheinlich auch egal.

Trotz allem ist es ein sehr bizarrer Abgang für einen Mann, der die ganzen 60er mit allem, was er geben konnte, darum gekämpft hat, berühmt zu werden, um dann die 70er Jahren mit einer handvoll wegweisender Alben zu bestimmen, mit Musik und einem Image, die der Nerd und Kulturfanatiker Bowie aus diversen Undergroundtraditionen zusammentrug und sie an die Massen vermittelte und damit die weitere Entwicklung der Rockmusik entscheidend beeinflusste, bis er in den 80ern zu Dagobert Duck mutierte. Hin und wieder hatte er danach Reue gezeigt, dass er die Kunst dem Geld geopfert hatte – aber der Zug war abgefahren und jetzt hat er offensichtlich aufgegeben zu versuchen, was eh hoffnungslos zu spät ist. Die Mehrheit der Fans bleibt ihm offenbar trotzdem treu – oder rekuriert auf seine besseren Zeiten. Dahin weist nun auch der (einstige) Meister selbst, wenn auch auf so irritierende Art und Weise. Sein Ruf scheint so gefestigt, dass ihm alles verziehen und gar noch künstlerische Bedeutung darin gesucht wird – er könnte auch nackt über den Ku’damm hüpfen, das weltweit übertragen lassen und die Rechte verkaufen. Dem Kaiser würde auch niemand sagen, dass er keine Kleider trägt – es bleibt zu hoffen, er weiß es selbst.

P.S. Es gibt auch schon Alternativvorschläge für Bowies weitere Betätigungsmöglichkeiten – wenn er jenseits der Musik ist, ist er vielleicht auch jenseits der Sexualität und fit für den Job. Da kann er dann wieder komische Klamotten tragen und muss in seinem Lebenslauf nur ein “e” an das anhängen, was er bisher gemacht hat.

Zuerst veröffentlicht auf Popkontext.de

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Popkontext

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