Tinariwen – Neues Album Tassili / Live

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Die Tuareg-Rocker aus Mali nahmen in der südalgerischen Wüste ein neues Album auf, was sie im Herbst auch in Deutschland vorstellen. Schon heute sind sie im Rahmen des Wassermusikfestivals im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

Mit ihrem sechsten Album Tassili sind die Tuareg-Bluesrocker Tinariwen einerseits zurück zu den Wurzeln gegangen – sie haben in Zelten in der Wüste aufgenommen – andererseits haben sie zum ersten Mal westliche Gäste auf ein Album eingeladen: Tunde Adebimpe und Kyp Malone von TV On The Radio reisten nach Südalgerien, um mit den wahren Wüstenrockern zu musizieren.

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Aufnahmen mit TV On The Radio in der algerischen Wüste / Foto: Screenshot

Kennengelernt hatte man sich bei einem Konzert in den USA, um dann bei einem Konzert in Dubai zum ersten Mal gemeinsam zu spielen. Die US-Amerikaner seien zunächst derart von der fremden Landschaft erschlagen gewesen, dass an den ersten Tagen ihres Besuchs in Algerien, meint Eyadou Ag Leche, Bassist bei Tinariwen im Popkontext-Interview. Eyagou meint, der Grund, warum man in Algerien aufgenommen habe, sei, dass man einfach eine andere inspirierende Wüstenlandschaft gesucht habe, und die Tuareg sich sowieso im Dreieck Mali / Niger / Algerien grenzüberschreitend bewegten. Ein weiteres Stück Wahrheit wird allerdings sein, wenn der US-Übersetzer der Band, Andy Morgan im WNYC-Interview berichtet, dass es für US-Amerikaner fast unmöglich sei, sich in Nordmali, dem Stammgebiet der Tinariwen-Mitglieder, zu bewegen. Hier habe sich eine Al-Qaida-nahe Organisation festgesetzt, die aus seiner Sicht eher eine Art Mafia sei. So war die Zusammenarbeit mit den neuen Freunden aus Brooklyn in Algerien sicher auch entspannter.

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Cover

Die Urbesetzung von Tinariwen, von der nur Bandgründer Ibrahim Ag Alhabib übrig geblieben ist, fand sich vor 30 Jahren in Flüchtlingslagern in Libyen und Algerien zusammen, nachdem sie vor einer schweren Dürreaktastrophe geflüchtet waren. Hier hörten sie rebellische marokkanische Chaabi-Musik, Algerischen Rai-Pop, aber auch westliche Musik von Led Zeppelin bis Santana, die auf Kassetten kursierten. Auch die neu gegründete Band vertrieb ihre hybride Musik fast 20 Jahre lang lokal über Kassetten, während sie mit der Waffe in der Hand für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Volkes kämpften. Nachdem der Tuareg-Aufstand in Mali in den 60ern brutal niedergeschlagen wurde, konnte man 1990 einen Waffenstillstand erreichen. Seitdem konnten sie sich mehr auf ihre Musik konzentrieren und wurden überregional bekannter. 2001 veröffentlichten sie ihre erste CD, The Radio Tisdas Sessions, und wurden zudem durch einen Auftritt bei Festival Au Désert in Mali, bei dem sich regelmäßig westliche Musikfreund/innen und Talentscouts einfinden, auch jenseits Afrikas bemerkt.

Seitdem sind sie fast das halbe Jahr über zumeist in den USA und Europa auf Tour und fanden vor allem in – durchaus modernen – britischen “Weltmusik”-Kreisen um Damon Albarn & Co. viel Unterstützung. Wie der kanadische Journalist David Dacks vor wenigen Jahren richtig anmerkte, hatten sie irgendwann die “gläserne Decke” des Weltmusikmarktes erreicht. Hier waren sie Stars, und hatten auch mit ihren Idolen Santana und Robert Plant auf der Bühne gestanden. Auch in Indie-Kreisen wurden sie bemerkt. Aber sie blieben im Weltmusik-Ghetto stecken. Auch sie leiden wie alle anderen zudem unter rückgängigen CD-Verkaufszahlen und verstärkter Konkurrenz auf dem Tourmarkt.

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Ibrahim Ag Alhabib / Foto: Barbara Mürdter


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Eyadou Ag Leche / Foto: Barbara Mürdter

Mit Tassili versucht man sich verstärkt auf einem Indie-Markt zu etablieren: Nicht nur über die Zusammenarbeit mit TV On The Radio, sondern auch mit dem neuen Label Anti- Records, einem musikalisch breiter aufgestellten Unterlabel des Punklabels Epitaph, mit illustren Kollegen wie Tom Waits, Wilco (deren Gitarrist Nels Cline ebenfalls auf dem Album zu hören ist) oder William Elliot Whitmore, welches in Deutschland von Cooperative Music repräsentiert wird.

Inhaltlich will die Band weiter ihr Volk repräsentieren, wie die beiden Mitglieder, mit denen ich sprach, betonen. Sie seien jedoch keine explizit politische Band, als die sie im Westen oft verkauft werden. Sich direkt politisch zu äußern sei “viel zu gefährlich”, wie der langjährige französische Tourbegleiter Bastien Gsell sagt. Zudem seinen die Tuareg inzwischen anerkannt, zumindest soweit, dass man sie in Ruhe ließe – auch weil man bemerkt habe, dass sich das kleine Volk in der Wüste sehr gut auskenne und sich zu wehren wüßte. Die Kehrseite sei jedoch, dass es auch keinerlei regionale Forderung gäbe. Das einzige, was die jeweiligen Nationalstaaten interessiere, sein der Reichtum unter den Tuareg-Gebieten, unter anderem Erdöl und Uran. Man müsse endlich erkennen, dass das Wichtigere die Menschen seinen, die auf diesem Boden leben, nicht was darunter sei.

Tourdaten:
29. Juli Haus der Kulturen der Welt Berlin
6. September Fabrik Hamburg
7. September WUK Wien
6. Oktober Philharmonie Köln
15. Oktober Kaufleuten Zürich
21. Oktober Berlin Kesselhaus











Website
Tinariwen bei Anti-
Fotos vom letzten Berlin-Konzert von Tinariwen
Live in Studio at WNYC

Originaltext auf Popkontext.de

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Geschrieben von

Popkontext

Journalistin, Bloggerin, DJ, Fotografin - Kultur, Medien, Politik, Sprache // Websites: popkontext.de / wortbetrieb.de

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