Die Formel „Was bisher geschah“ war mal eine Art Synonym für das Serienformat. Man zitierte es mit dem gleichen unterschwelligen Spott, mit dem man Shows wie Dallas und Denver Clan betrachtete, in denen stets ungeheuer viel passierte, ohne dass sich je wirklich was veränderte. Spätestens mit dem Netflix-Binge-Modus haben sich Zusammenfassungen dieser Art erledigt. Die Serien, die heute noch im Wochenrhythmus ausgestrahlt werden, verweisen oft mit absichtlich abrupten Ausschnitten aus vorherigen Folgen auf Zusammenhänge, die man sich als Zuschauer dann selbst erschließen muss. In Succession, das ganz ähnlich wie Dallas eine Familie und ihr Business ins Zentrum der Erzählung setzt, passiert längst nicht so viel wie bei J. R. und Sue Ellen.
t so viel wie bei J. R. und Sue Ellen. Und trotzdem wird kaum jemand Vergnügen an der nun bei uns anlaufenden Staffel drei finden, ohne die vorherigen zwanzig Folgen gesehen zu haben. Und das im Übrigen am besten mehrfach und mit höchster Konzentration.Der Patriarch als EkelWas bisher in Succession geschah, ist schnell erzählt: Der 80-jährige Logan Roy (Brian Cox), eine dem Medienmogul Rupert Murdoch nachempfundene Figur, sieht sich vor die Frage gestellt, wer ihm als „Herrscher“ über sein rechtskonservatives Medien- und Entertainment-Konglomerat – die fiktive Entsprechung von Fox heißt hier ATN – nachfolgen könnte. Die erste Staffel breitete 2018 mit fast maliziöser Häme aus, wie untalentiert und ungeeignet für den Job seine vier erwachsenen Kinder dafür sind: der Älteste, Connor (Alan Ruck), einziger Sohn aus Logans erster Ehe, ist ein Außenseiter in der eigenen Familie, nachsichtig belächelt und grausam ignoriert. Sein Ansinnen, als Präsident der USA kandidieren zu wollen, erschien seinen jüngeren Geschwister so absurd, dass sie erst gar nicht ernsthaft versuchten, es ihm auszureden.Als Kronprinz bot sich Kendall (Jeremy Strong) an, ältester Sohn aus Logans zweiter Ehe. Im Unterschied zu seinen Geschwistern kann Kendall Geschäftsgrafiken interpretieren und verfügt über echte Arbeitserfahrung im Unternehmen. Aber hat er das Zeug zum CEO? Die erste Staffel zeigte nicht weniger als drei seiner vergeblichen Versuche, die Zügel am Willen des Vaters vorbei zu übernehmen. An den Folgen seines letzten gescheiterten Versuchs laboriert die Familie in Form eines „Proxy Fights“ noch jetzt in Staffel drei.In der zweiten Staffel 2019 versprach Vater Logan dann seiner Tochter Shiv (Sarah Snook) den CEO-Posten. Es war offenbar ein reines Lockmittel, um Shiv, die sich als Beraterin von liberalen Politikern selbstständig gemacht hatte, zurück in die eigene Kontrolle zu bekommen. Shiv kämpft seither um ihren Platz in der Firma und um die Achtung ihres Vaters – mit schwindendem Erfolg. Stattdessen hat sich hinter den Rücken seiner älteren Geschwister der jüngere Sohn Roman (Kieran Culkin) beim Patriarchen zunehmend beliebt gemacht. Eine Wendung, die so in Staffel eins nicht absehbar war, hatte Roman da noch sein Büro als „Chief Operating Officer“ mit einem keineswegs diskreten Masturbationsakt angetreten. Man versetzt sich ja nur ungern in die Schuhe eines Patriarchenekels wie Logan Roy, muss aber zugeben, dass aus seiner Sicht die Nachfolgerwahl nicht leicht fallen kann: Egal wem von diesen verzogenen Gestalten er das von eigener Hand mühsam Aufgebaute überlässt, scheint dessen Untergang damit besiegelt.Lediglich einer der großen Reize von Succession ist mit dieser Inhaltsangabe beschrieben: das Familiendrama, in dem nach Buddenbrooks-Manier eine erfolgreiche, wenn auch brutalisierte Gründergeneration gegen den durch Wohlstand verweichlichten Nachwuchs ausgespielt wird. Als die Serie 2018 Premiere feierte, konnte vor allem das amerikanische Publikum kaum anders, als in den Roys eine Anspielung auf Trump und seinen sich permanent blamierenden Nachwuchs zu erkennen. Das war im Übrigen so gar nicht gedacht: Kendall-Darsteller Jeremy Strong erzählt in Interviews immer wieder, dass seine erste Leseprobe für den Tag nach der Präsidentschaftswahl 2016 angesetzt war und alle noch mit Hillary Clintons Wahlsieg rechneten. Jetzt, wo Trumps Dominanz über die mediale Aufmerksamkeit der Welt nachgelassen hat, wird sichtbar, wie gut Succession auch ohne diesen aktuellen Bezug funktioniert.Zeit der StagnationAnders als House of Cards oder eine Plot-verbrennende Serie wie Scandal fesselt Succession seine Zuschauer nicht über Handlung. Wer aus der dritten Staffel den Blick zurück zu den allerersten Folgen wirft, entdeckt ein überraschendes Ausmaß an Stagnation: Auch da schon liegen sich Roman und Shiv in den Haaren und tauschen Kendall und Roman zwanghaft wie Vorschulkinder hasserfüllte Beleidigungen aus, während an den Rändern der schleimende Tom Wamsgans (Matthew MacFadyen) und der stotternde, stolpernde Cousin Greg (Nicholas Braun) mit jeweils eigener Agenda agieren. Drum herum nehmen die „Profis“ des Unternehmens, Justiziarin Gerri (J. Smith-Cameron), COO Frank (Peter Friedman), CFO Karl (David Rasche) und Pressesprecherin Karolina (Dagmara Domińczyk) mit stiller Verächtlichkeit die Privilegiertheit der „Königskinder“ in den Blick und stellen eigene Kalkulationen an.Die meisten Szenen bestehen aus einer raffinierten Abfolge von Gruppenbildern; die Figuren kommen zur Geburtstagsfeier, bei Board-Meetings oder Unternehmensausflügen zusammen. Die immer ähnlichen Konstellationen verleihen Succession etwas Theaterhaftes, das auf den ersten Blick auch fade und flach wirken kann. Hinzu kommen Dialoge, die so dicht geschrieben sind, dass sie fast unverständlich wirken, die Autoren reduzieren das, was üblicherweise „Exposition“ genannt wird, auf eine Weise, die es manchmal schwer macht, mitzukommen. Was ein „bear hug“ für ein aktiennotiertes Unternehmen bedeutet, was eine „poison pill“ ist und wie ein „Board“ funktioniert, muss man sich anderswo erklären lassen.Ähnliches gilt für den Umgang mit den realen Vorbildern, die Chefautor Jesse Armstrong einfließen lässt. Succession betreibt kein seifenopernartiges Nachstellen von Dingen, die man aus den Schlagzeilen kennt, sondern spielt glaubhaft in der Welt, in der sich die Murdochs und Redstones in Davos begegnen, in der Ölscheiche die eigene Familie in einem Luxushotel internieren, ein reicher Erbe mit Fahrerflucht davonkommt und ein ganzes Unternehmen durch einen Weinstein-artigen Sexskandal erschüttert wird.Ausgerechnet Kendall hatte sich am Ende der zweiten Staffel als Chefaufklärer dieses Skandals positioniert – in einem Akt, der einem Vatermord gleichkam und in vielen Zuschauern die Hoffnung einer Charakterentwicklung weckte. Diese wird nun in der dritten Stafel erneut gründlich enttäuscht: Statt persönlich zu wachsen, gefällt Kendall sich in der Inszenierung als „Wokahontas“ – wie Roman es auf den Punkt bringt – und versucht sich durch „Fuck the patriarchy!“-Rufe bei den Feinden seines Vaters beliebt zu machen. Während er nach vorne große Reden schwingt, scheut er erneut den wahren Bruch mit Familie, Erbe und Privileg. Er ist und bleibt der zögerliche Prinz. Wir müssen uns Hamlet als Arschloch vorstellen.Wo der Geschwisterkampf der Roys „enttäuscht“, weil er sich so realistisch gleich bleibt, tritt umso deutlicher das Hauptthema der Serie heraus: Was bedeutet Reichtum heute? Auf der Ebene der Roys verlieren Zahlen ihre Bedeutung – Billionär-Schmilljonär. Ungeheuer wichtig dagegen werden in diesem Universum die kleinen Gesten der Dominanz: Wer zuerst mit dem Privatjet wo ankommt, wer auf wen auf dem Flugplatz warten muss und wer als Erster wieder abfliegen darf.Ähnlich wie jeder Kriegsfilm mit der Ambivalenz zu kämpfen hat, das, was er darstellt, gleichzeitig zu verteufeln, muss sich eine intelligente Serie über Reichtum davor hüten, bei der Abbildung von Luxus ins Schwelgen zu geraten. Succession gelingt es, den Reichtum als Selbstverständlichkeit für seine Hauptakteure, aber als Abart für seine Randfiguren zu zeigen. Immer wieder beginnen die Szenen mit den „gesichtslosen“ Angestellten, die das Essen auspacken, die Gläser polieren, die Räume präparieren, und immer wieder begleitet die Kamera die Hauptpersonen im Transit ihrer Privatjets und Chauffeur-gesteuerten Limousinen – zwei Welten, die permanent interagieren, ohne sich je zu begegnen. Ungleichheit in Aktion.Placeholder infobox-1
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