Irgendwann, der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr auszumachen, ist die Serie Babylon Berlin zum Phänomen geworden, bevor sie auch nur ein Zuschauer gesehen hat. Nicht nur, dass man fast schon reflexhaft, sobald von Babylon Berlin die Rede ist, das Attribut „teuerste deutsche Serie aller Zeiten“ hinzusetzt. Sie gilt auch schon vor der Ausstrahlung als „einmalig“, als „Maßstäbe sprengend“ oder „neue Maßstäbe setzend“, je nachdem. Die Werbekampagne dafür war „beispiellos“. Die öffentlich-rechtlichen Mittel, die breite Beteiligung unserer Lieblingshelden aus „Film, Funk und Fernsehen“ und die Popularität des Genres Serie tun das Ihre dazu: So viel Geld und Mühe steckt darin, so vi
e steckt darin, so viel Macht und Talent wurden bewegt, dass nun das Drumherum bereits größer ist als die Serie selbst. Mit anderen Worten: Das Projekt als solches steht unter extremem Rechtfertigungsdruck.Aufwändig inszenierter MüllDer Stoff sei aktuell, ist in diesem Zusammenhang aus dem Umkreis der Macher und Projekt-Begleiter der Serie zu hören. Babylon Berlin spielt wie ihre Vorlage, die Krimi-Reihe von Volker Kutscher, im Berlin der späten 1920er Jahre. Konkret setzen die Serien-Ereignisse im Frühjahr 1929 ein, mithin vier Jahre vor der „Machtergreifung“ durch die Nazis. Die Goldenen Zwanziger gehen ihrem bitteren Ende zu; die demokratischen Verhältnisse der Weimarer Republik werden von sich radikalisierenden und militarisierenden Gruppen am Rande des politischen Spektrums bedroht; die Weltwirtschaft steht kurz vor ihrem schlimmsten Einbruch der Geschichte; die zu schnell gewachsene Metropole Berlin hat Probleme mit Infrastruktur, Wohnungsversorgung und Verbrechensbekämpfung.Das klingt bekannt, aber die Berührungspunkte verlieren sich im Vagen: von wegen „Gefahr von rechts“, Brüchigkeit der Demokratie, allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung und Berlin erneut als Zentrum von Kreativität und Sünde zugleich, oder so ähnlich. Von Brecht oder Benjamin ist jedenfalls weniger die Rede, wie überhaupt die Serie – wie schon die Vorlage – keinen Anspruch auf intellektuelle Durchdringung der Materie anmeldet.Tatsächlich kann man es ihr hoch anrechnen, dass sie diesen Vergleichen nicht wirklich nachgibt. Im Gegenteil: Die aufwändige Inszenierung der gammeligen Hinterhöfe, schmutzigen Herrentoiletten und wirren Intrigen macht schnell klar, dass das Berlin von damals sich von unseren heutigen, wohlaufgeräumten, wohlstandsgenährten und im Großen und Ganzen so wohlorganisierten Verhältnissen doch sehr unterscheidet. Wenn an einer Stelle die weibliche Heldin Charlotte (Liv Lisa Fries) sich sarkastisch über die Überzahl von Herren- im Vergleich zu Damentoiletten auslässt, funktioniert die Aktualisierung eher in die Gegenrichtung: Babylon Berlin denkt ihre Figuren ziemlich ungeniert von heute aus. Auch sie besichtigen das inszenierte 20er-Jahre-Berlin ein wenig als Besucher auf Zeitreise.Das von Kutscher in seiner Romanreihe vorgegebene Setting haben die Regisseure Henk Handloegten, Tom Tykwer und Achim von Borries ihren Serienbedürfnissen angepasst: Gereon Rath (Volker Bruch), Kutschers den „Hard-boiled“-Vorbildern nachempfundener Ermittler, kommt hier mit der Mission aus Köln nach Berlin, einer Erpressung „seines“ Oberbürgermeisters Konrad Adenauer nachzugehen. Als Mitarbeiter der Sittenpolizei hebt er in den ersten Szenen an der Seite des Berliner Ekel-Originals Wolter (Peter Kurth) einen Pornodreh aus, damit auch gleich der Titel gerechtfertigt ist: Berlin, das Sündenbabel. Wie man es aus konventionellen Serienerzählungen kennt, wird dieser Rath dann zum prototypischen Zeitzeugen für alle Handlungsstränge: Er ist mittenmang dabei, wenn am „Blutmai“ die Berliner Polizei auf die Kommunisten einprügelt und schließlich schießt; er bezieht das Zimmer des Trotzkisten, dem die Stalinschergen auf den Fersen sind; er flirtet mit der Stenotypistin, die nachts im verruchten Moka-Efti-Club als Gelegenheits-Domina anschafft und steht selbst, mit von Zeit zu Zeit auffällig zitternden Händen, fürs Kriegsheimkehrertrauma, weil er ohne Morphiumampullen nicht durch den Tag kommt.Es passiert ungeheuer viel in den ersten paar Folgen; nicht weniger als vier oder fünf Intrigen werden gleichzeitig ausgelegt – ein rätselhafter Mordfall, eine Goldschmuggelgeschichte, der Pornoring, dessen Verbindung zu Adenauer, die Rivalität zwischen Rath und Wolter – und derart viele Figuren haben ihren ersten Auftritt, dass einem der Kopf schwirrt. Ernst Stötzner als General, Lars Eidinger als adlig-asiger Unternehmer, Karl Markovics als schnöseliger Wiener Journalist, Mišel Matičević als Verbrecherkönig, Matthias Brandt (dem es sichtlich Spaß macht, von Adenauer als Kölner Bürgermeister zu sprechen) als Polizeichef – es beschleicht einen der Verdacht, dass alle übrigen deutschen Film- und Fernsehprojekte auf Eis liegen müssen, so viel Darsteller-Power ist hier gebunden worden.Womit wir beim Preis wären, 40 Millionen, und dem Prädikat „teuerste deutsche Serie“. Eigentlich weiß man, dass es nur ein durchlaufender Titel ist, weil es demnächst schon überboten werden wird. Die teuerste französische Serie bislang ist übrigens Versailles, in der sich alles um Ludwig XIV. dreht. Historische Settings sind immer teuer; zugleich kommt natürlich mit der Investition von so viel Geld, gerade da es im Fall von Babylon Berlin ja auch zum größeren Teil öffentlich-rechtliches Geld ist, eine Art Repräsentationsverpflichtung. Die Serie soll den deutschen Zuschauer angehen, und er soll sich in ihr wiederfinden. So ergibt es Sinn, dass Babylon Berlin im Herzen ein Krimi bleibt, und zwar ein Fernsehkrimi der typisch deutschen Art, wie er das Programm seit Jahren dominiert. Und diesem Repräsentationssinn entspricht dann auch, dass Babylon Berlin weniger die Weimarer Zeit als Epoche der gefährdeten Demokratie verhandelt, als Nährboden des kommenden Faschismus, sondern dass die Inszenierung vielmehr Anschluss sucht an die großen kulturellen Mythen von damals, an das Berlin von Doktor Mabuse und M – Eine Stadt sucht einen Mörder, an Caligari und Cabaret mit ein bisschen Viktor und Viktoria mit drin.Die eindrücklichen Tanzclubszenen, in denen eine russische Gräfin in Frack und Schnauzbart mit rauchiger Stimme von Asche und Staub singt, während ihr Publikum im Rhythmus synchron mittanzt und -jubelt, schließen wiederum die Berliner Technoepoche mit ein. In diesem Verschnitt von Filmgeschichte, Historie und Gegenwartsgefühl wird jenes „Arm, aber sexy“ als zeitlos gefeiert, dem ein vormals beliebter Berliner Bürgermeister endgültig den Sexappeal geraubt hat.Weltmarkt, wir kommen!Mit Babylon Berlin soll Deutschland nun „endlich!“ auch Anschluss finden an den weltweiten Serienmarkt. Ein bisschen hört sich das an, als sei Letzterer eine Art Weltmeisterschaft mit vorgeschaltetem Qualifikationsturnier. Teilgenommen haben daran bislang: die Serie Deutschland 83, die im Ausland besser ankam als an den heimischen Bildschirmen; You Are Wanted, die erste Amazon-Produktion, die im Grunde alles richtig machte, außer eine überzeugende Geschichte zu erfinden. Auch erwies sich die Taktik, die Serie als deutsche Version von Mr. Robot anzupreisen, als eher kontraproduktiv. Ähnliches gilt für 4 Blocks, die Serie über Einwanderungsfamilien und Drogenhandel in Berlin, in der Neukölln gefilmt wurde, als handle es sich um die South Side von L. A. In der Aufbereitung von Milieu und ambivalenten Figuren sah es durchaus so aus, als orientiere man sich an hehren Vorbildern wie The Wire, aber dann enttäuschte die Serie doch durch einen Plot, der wie ein Remix aus Fernsehkrimi und Migrantenklischees wirkte.Babylon Berlin lässt sich am ehesten mit Mad Men vergleichen, Matthew Weiners Zeitreise-Serie, die in die 1960er Jahre zurückführte und deren Mythen einer Neuuntersuchung unterzog. Dort fesselten stets jene Szenen, die eben nicht die bekannten Ereignisse für ihre Figuren neu inszenierten. Und auch in Babylon Berlin sind es genau die Momente, die frei sind von der Überdeterminierung durch Historie, Mythos oder Filmgeschichte, in denen man die Serie zu genießen beginnt. Sie ist übrigens sehr unterhaltsam.Placeholder infobox-1
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