Etwas als „guilty pleasure“ zu bezeichnen, hat schon lange nichts Subversives mehr an sich. Im Gegenteil, man kann sich kaum besser gegen Konflikte und Widersprüche absichern, als mit Verweis auf „guilty pleasure“ zu signalisieren, dass man an etwas Freude hat, von dem man gleichzeitig weiß, dass andere davon nichts halten. Mit echten Schuldgefühlen aber hat das nichts mehr zu tun. Baz Luhrmann setzt in seinem Elvis-Biopic nun genau dort wieder an, wo Popkultur und Sünde noch zur Aufregung aller aufeinandertrafen: bei Elvis und seinen Hüftbewegungen.
So erzählt es zu Beginn des Films die Stimme von „Colonel“ Tom Parker (Tom Hanks), des legendären Elvis-Managers. Als Country-Musik-Impresario streift Parker Mitte der 1950e
der 1950er auf der Suche nach Talenten durch den amerikanischen Süden. Irgendwann hört er im Radio Elvis’ ersten Hit, die Blues-Nummer That’s all right. Für die Ohren der Country-Musiker um ihn herum klingt die Musik „schwarz“. Dann sagt jemand: „But that’s the thing: he’s white!“ In den Augen des Colonels blitzen förmlich die Dollarzeichen auf. Er schleicht sich zu einem Elvis-Auftritt, und was er sieht, überzeugt ihn sofort. Weniger die Bühnen- und Sangeskünste des jungen Mannes mit „öligem Haar und weibischem Make-up“, sondern vor allem die Wirkung, die sein Auftritt auf das Publikum hat. „Sie fühlte Dinge, von denen sie nicht sicher war, ob sie sie genießen sollte“, beschreibt Parker während die Kamera auf eine Frau einzoomt, die sich in jener Art Ekstase befindet, wie sie Popmusik eben auslösen kann: Die Musik reißt sie vom Sitz, und der Anblick von Elvis spricht etwas in ihr an, das mit „Sexualität“ allzu klinisch beschrieben wäre.Sollte man Elvis' Musik noch genießenNun sind bereits 45 Jahre seit Elvis’ Tod vergangen, und man weiß nicht, ob man Mann und Musik noch genießen könnte, geschweige denn genießen sollte. Ist nicht schon alles gesagt? Seine Gesten, seine Koteletten, seine strassbesetzten Kostüme – tausendfach imitiert? Jeder Aspekt, von den Songs bis zum Graceland-Anwesen – zu Geld gemacht und musealisiert? Selbst die unschönen Seiten, die Fast-Food-Sucht, die Drogen, die Frauen und die Frage seiner „Appropriation“ von schwarzer Musik scheinen durchgekaut und abgelegt. Umso erfrischender wirkt es, dass Luhrmann in seinem Biopic mitnichten aufs Faktische aus ist. Nein, was ihn beschäftigt, ist die Legende, der Mythos.Einen Mythos erzählt man nicht in erster Person, sondern besser über Bande. Deshalb also die Stimme von Colonel Tom Parker, genauer gesagt die von Tom Hanks, den man unter vielen Schichten von Silikon kaum erkennt, als er zum ersten Mal ins Bild kommt. Während man über Elvis alles weiß, weiß man über Parker so gut wie nichts. Dass er in Wahrheit Andreas Cornelis van Kuijk hieß und um 1930 aus den Niederlanden illegal in die USA einreiste, wo er lange seine wahre Identität leugnete und sich nie richtig einbürgerte, kommt als der vielleicht einzig schockierende Fakt in Elvis daher.Mephisto für den „King“Aus Parker macht Luhrmann mithin den Erzähler der Elvis-Legende. Einerseits Apologie – vom eigenen Totenbett 1997 aus wehrt Parker sich gegen den Vorwurf, er habe Elvis umgebracht –, andererseits Schöpfungsmythos, markiert der „Colonel“ leider auch die Schwachstelle des Films. Das Konzept leuchtet zwar ein: Parker ist der Mephisto, der stets das Böse will, nämlich den eigenen Gewinn, und dabei das Gute schafft, die Popmusik-Ikone des „King“. Die historischen Fakten schiebt Luhrmann zur Seite und kreiert daraus Konflikte, die Elvis als die rohe, kreative Kraft zeigen, die von Parker wieder und wieder gezähmt und eingeschränkt wird. Aus der Geschichte des Comebacks per Christmas Special 1968 wird so ein epischer Kampf, bei dem Elvis sich der Konvention des Weihnachtspullis verweigert und in enger schwarzer Lederkluft seine wahre, sexy Rocker-Identität wiederfindet. Leider bleibt Parker als Figur trotz aller Bizarrerien zu uninteressant, um einen echten Antagonisten abzugeben. Aber vielleicht wird der Film hier auch Opfer seines eigenen Mythos. Denn Austin Butler als Elvis tritt so jung, schön und charismatisch auf, dass neben ihm alle Figuren notwendig verblassen.Was Luhrmann in Elvis macht, ist mehr als offensichtlich: Er inszeniert ein opulentes Musical, Elvis’ Leben von Entdeckung bis zum Tod als Nummernrevue, mit viel Glitzer und perfekt geschnittenen Kostümen, mit Lust an Mode und Musik und großem Hang zur romantisch-theatralen Geste. Im Zusammenspiel mit dem packenden Soundtrack, der die Musik von vor 50 Jahren elektrifizierend neu präsentiert, vergehen die 160 Minuten wie im Flug.Eingebetteter MedieninhaltWas sein Hauptdarsteller macht, ist dagegen wie unsichtbar: Austin Butler legt seine Elvis-Imitation mit so viel Fingerspitzengefühl an, dass sie als Nachahmung gar nicht erkennbar wird. Butler, bislang nur als Disney-Serien-Star bekannt, hat nicht nur die einschlägigen Gesten studiert, den Gang, den Hüftschwung, das Lächeln, sondern auch die Stimmlage – seine Stimme wurde für den Soundtrack mit der von Elvis gemischt –, aber zugleich kommt er wie ein Original daher. Sicher, die Elvis-Kenner werden Unterschiede wahrnehmen, nicht zuletzt in der sexuellen Ausstrahlung, aber das, was den Mythos Elvis ausmacht, bringt Butler hier regelrecht zum Leuchten.An einer Stelle bekommt er Konkurrenz: Alton Mason spielt Little Richard, der mit Tutti Frutti den 20-jährigen Truck-Driver auf Inspirationssuche beeindruckt. Bei der Premiere in Cannes gab es Szenenapplaus, so mitreißend-exzentrisch und frisch stellt Mason den abgenudelten Oldie vor. Es ist bedauerlich, dass Luhrmann den schwarzen Rhythm-&-Blues-Vorbildern seines Idols nicht mehr Platz einräumt. Gleichzeitig ist sein Film eine einzige Liebeserklärung an ihr musikalisches Erbe.Placeholder infobox-1