Ist es ein Kompliment, als „Salinger für die Snapchat-Generation“ bezeichnet zu werden? Es ist eines der Embleme, die man der 29-jährigen irischen Schriftstellerin Sally Rooney anhängte, nachdem ihr 2017 mit Gespräche mit Freunden (2019 in Deutschland erschienen) ein gefeiertes Roman-Debüt gelang und sie dann mit Normal People 2018 in den Rang eines Phänomens aufstieg. Das Phänomen war interessant, weil Attribute wie Unsicherheit und Scheu Bestandteile eines Images bildeten: Sally Rooney, die rehäugige Autorin, und ihre Helden, unsichere junge Menschen, die ihren Platz in der Welt suchen und von allerlei Malaisen geplagt werden, Depression, Zwangsvorstellungen, schlechtes Selbstwertgefühl. Zusammen mit einem Prosastil, der völlig uneitel, weil quasi unambitioniert simpel daherkam, ergab sich daraus ein Werk mit großer zeitgenössischer Wirkungskraft und fesselnder Widersprüchlichkeit: Der Neid auf den kometenhaften Ruhm (Vergleich mit Salinger! Lobende Tweets von Prominenten wie Sarah Jessica Parker und Zadie Smith!) mischte sich mit einer Art Beschützerinstinkt: Man wollte Rooney bzw. ihr Werk gleich schon retten vor dem Hype, besitzen die Bücher doch eine Qualität, die sie über den „Next Big Thing“-Moment hinaus lesbar macht.
Wie es sich für ein gehyptes Werk gehört, gibt es nun bereits eine Serien-Bearbeitung von Normal People, und das noch bevor die deutsche Übersetzung (August 2020) auf dem Markt ist. Die übliche Frage, ob es nun besser ist, die Vorlage davor oder danach zu lesen, ist schnell beantwortet: Egal wann, Hauptsache lesen. Denn eines macht die zwölfteilige Serienfassung schnell deutlich: Sie will dem Roman gar nichts Wesentliches hinzufügen.
Die Romankenner sind zu Beginn ein bisschen im Vorteil: Sie wissen, dass die Liebesgeschichte zwischen dem freundlich-schüchternen Connell (Paul Mescal) und seiner schwierigen Mitschülerin Marianne (Daisy Edgar-Jones) keine harmonische wird. Die Inszenierung sowohl der jeweiligen Elternhäuser als auch des Schulsettings in der Serie ist nämlich so zurückhaltend, dass dem Serien-Gucker die im Roman geschilderten Differenzen und Konfliktlagen fast entgehen könnten. Connells Mutter arbeitet als Putzfrau für Mariannes Mutter, ein sozialer Unterschied, der natürlich, wir sind ja nicht mehr bei den Brontë-Schwestern, keinen Barriere mehr für die Liebe darstellt, Grund für Missverständnisse aber schon. Während die Annäherung der beiden außerhalb ihrer Schule von ein paar intensiven Blicken über ein paar aufgeladene Sätze bis hin zum Sex erstaunlich zielgeführt verläuft, zeigen die Szenen, die in der Schule spielen, dass ihr jeweiliger Status dort nicht kompatibel ist. Connell ist ein allseits beliebter Athlet, Marianne dagegen eine Außenseiterin, die mit streitsüchtiger Kratzbürstigkeit dafür sorgt, dass ihr keiner zu nahe kommt. Im Buch spielt eine große Rolle, dass sie sich hässlich und unansehnlich fühlt; in der Serie werden daraus Behauptungen, die aus dem Mund von Daisy Edgar-Jones unnötig kokett klingen. Nicht, weil Edgar-Jones „zu schön“ ist für die Rolle der Marianne, sondern weil die Inszenierung keine überzeugende Darstellung findet für dieses Gefühl von „Hässlichkeit“, das das Leben von jungen Frauen oft für lange Zeit und sehr wesentlich mitbestimmt.
Ganz viel Sex
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Schönheit, in die sich die studierende Marianne verwandelt haben soll, als Connell ihr im College in Dublin dann wiederbegegnet: sie bleibt behauptet. Aber bis dahin hat man als Zuschauer längst akzeptiert, dass die Serie, anders als der Roman, sich mehr für Connell interessiert als für Marianne. Während ihr Studium kaum erwähnt wird, zeigt die Serie genau, was es für jemanden wie Connell bedeutet, sich unter Geisteswissenschaftlern an der Universität wiederzufinden. Seines sicheren sozialen Status als arm, aber populär beraubt, gerät er in den Seminaren ins Schwimmen. Alle anderen scheinen es besser zu können, das Sprechen, das Leben. Manche wie Marianne scheinen regelrecht aufzublühen.
Die Folgen, die von Connells zunehmender Verunsicherung in Dublin erzählen, sind die besten der Serie. In ihnen gelingt die Übersetzung von dem, was die Stärke von Rooneys Vorlage ausmacht: die Beschreibung von Empfindlichkeiten, die zwar mit Klasse, Geschlecht, sozialem Status und Bildung zu tun haben, aber nie allein durch sie erklärbar sind, weil Rooney ihren Helden auf diskrete Weise eine jeweils ganz eigene Persönlichkeit zugesteht. Übersetzt auf die Leinwand bekommt jedoch vieles eine Eindeutigkeit, die falsch wirkt: Ist Mariannes Hang zu SM wirklich Ausdruck von schlechter Selbstachtung und durch Lösung aus toxischen Familienverhältnissen zu „heilen“? Und wo Rooneys geschilderte Sexszenen voller widersprüchlicher, ja kontraproduktiver Gedanken waren, wird in der ausführlichen Umsetzung (die Sexszenen dauern lange und es gibt viele davon) eine fast kitschige Behauptung von Natürlichkeit und Ehrlichkeit, die Rooneys Komplexität den Garaus macht.
Info
Normal People Lenny Abrahamson, Hettie Macdonald GB / USA 2020, 12 Folgen, Starz
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