Streaming Was ist so toll an „Succession“? Eine Unmenge an Podcasts, Blogs und Artikeln geben mehr Antworten darauf, als man einem Neueinsteiger so schnell erklären könnte. Eines ist dafür sicher: Die Serie hält das Überanalysieren aus
Auch Tochter Shiv (Sarah Snook) erwies sich als unfähig für die Nachfolge des Medienmoguls Logan Roy. Aber ist die entscheidende Frage, wer gewinnt?
Foto: HBO
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit waren Serien das, was man nebenbei schaute. Nicht nur in dem Sinn, dass man gleichzeitig etwas anderes tat – das Klischeebild der bügelnden Hausfrau als Zielpublikum der Seifenopern –, sondern vor allem als Form der inneren Einstellung: Sie forderten keine echte Beschäftigung mit sich. Sicher, man konnte über den einen oder anderen Cliffhanger nachdenken, bei gewissen Intrigen mitfiebern und über den Fortgang spekulieren, aber weiter musste man als Zuschauer nichts leisten. Wenn ein narrativer Verlauf es nötig machte, wurde man in „Was bisher geschah ...“-Sektionen auf Stand gebracht. Öfter noch konnte man sich einfach darauf verlassen, dass wichtige Dinge wiederholt wurden. Und überhaupt, was w
s war schon wichtig? Selbst sehr gut erzählte Serien wie Emergency Room benötigten weder Vor- noch Nachbereitung, um sie genießen zu können, und man musste dazu noch nicht mal lückenlos alle Folgen schauen.Irgendwann in den vergangenen Jahren hat sich das radikal verändert. Ohne jetzt den langen Vortrag über das Goldene Zeitalter der TV-Serien und die Genese des „horizontalen Erzählens“ beginnen zu wollen, sei festgehalten, dass heute die meiste Aufmerksamkeit genau den Serien zukommt, die ihrem Publikum einiges abverlangen. Als die Mystery-Serie Lost in den Nullerjahren zum Online-Phänomen wurde, mit Reddit-Foren, Recap-Blogs und Erklärvideos auf Youtube, galt diese Art der intensiven Rezeption noch als randständiges Nerd-Verhalten. Mit Game of Thrones aber wurde sie in den Zehnerjahren gewissermaßen zum Mainstream.Ein einfacher Einstieg in spätere Staffeln ist bei diesen Serien kaum mehr möglich, ohne vorher zumindest einschlägige Wikipedia-Einträge konsultiert zu haben. Und ein Bescheidwissen über das, was bisher geschah, ist dabei noch das Geringste. Vielmehr gehört auch bei Serien wie Stranger Things, The Last of Us oder aktuell Yellowjackets ein Miträtseln, Mitspekulieren, ein allgemeines Mitschwingen dazu, das denjenigen, die noch nicht „auf den Zug“ aufgesprungen sind, oft bizarr erscheint. „Ich hab jetzt mal die erste Folge von Succession geschaut. Kann mir jemand erklären, was daran so toll sein soll?“, wiederholt sich deshalb dieser Tage als Standard-Post auf Twitter.Was bitte ist so toll an Succession?Der Witz dabei ist, dass wer diese Frage ernsthaft stellt: „Was bitte ist so toll an Succession?“ – sich Antworten in Überfülle holen kann. Abgesehen von speziellen Fanportalen und den üblichen Blogs, von Clickbait-Artikeln im Stil von „Was wir aus der letzten Folge von Succession gelernt haben“ oder „Wie geht es nun weiter mit Succession?“, setzt sich nicht erst seit dem Start der vierten und finalen Staffel Ende März ein Chor von Podcasts akribisch mit jeder einzelnen Folge auseinander. Für jemanden, der tatsächlich den „Einstieg“ sucht, sind all diese Antworten viel zu detailliert, sie können sprichwörtlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr begreiflich machen. Aber sie sind für sich genommen ein Phänomen, das sowohl etwas über die Serie Succession selbst aussagt als auch über den Stand der Serienkritik.Vielen dieser Podcasts meint man ihre Herkunft aus der Lost- und Game-of-Thrones-Phase der Serienrezeption unmittelbar anzumerken: Genau wie bei der Spekulation darüber, wer am Ende auf dem Eisernen Thron sitzen werde, stellen die Succession-Podcaster unter sich gerne die Frage, wer am Ende gewinnen wird. Gewinnen heißt in diesem Fall, die Nachfolge des Patriarchen Logan Roy antreten und dessen Medienkonglomerat leiten. Nachdem in drei Staffeln Logan Roys vier erwachsene Kinder, drei Söhne und eine Tochter, sämtlich in wechselnden Graden als unfähig enttarnt wurden, fällt die Wahl meist auf einen Joker wie den liebedienerisch-intriganten Schwager/Schwiegersohn Tom Wambsgans oder die kühl-berechnende Nochehefrau Marcia oder, wildeste aller Wetten, den ungeschickt sich überall ranwanzenden Cousin Greg.Wer sich in Succession auskennt, wird wissen, dass diese Antworten immer nur halbernst gemeint sind. Denn ganz anders als im Mystery- oder Fantasy-Universum einer Erzählung wie Game of Thrones zeichnet sich die Familiengeschichte in Succession gerade dadurch aus, dass sie sich an die Einschränkungen des Realismus hält. Es wird den Schreibern um Chef-Autor Jesse Armstrong weniger darum gehen, das überraschendste aller Enden zu finden, sondern vielmehr darum, es plausibel erscheinen zu lassen – ohne langweilig zu wirken, versteht sich.Eingebetteter MedieninhaltIn ähnlicher Weise als müßig stellt sich eine andere Lieblingsbeschäftigung der klassischen Serienbesprechungs-Podcasts heraus: die Schnitzeljagd, soll heißen das Analysieren von Details im Hintergrund, die vermeintlich Aufschluss darüber geben können, wie es weitergeht. Serien wie Westworld haben mit solchen Erzählstrategien ihr Publikum zunächst gefesselt und dann durch Überforderung abgeschreckt; in Stranger Things und Co sind es bewährte Methoden, Fans bei der Stange zu halten. Doch im Fall von Succession hat sich bislang immer wieder erwiesen, dass die einzigen Momente, die Verfahren wie Szenen-Einfrieren und -Vergrößern lohnen, die eingeblendeten Nachrichten des fiktiven ATN-Senders sind. Diese laufen meist auf eine Satirisierung des Daueraufreger-Tons von Realweltentsprechung Fox News hinaus. Im Vorspann der neuesten Staffel ist das zum Beispiel die Schlagzeile „China hack could see 40m Americans entombed in their electric cars“, die Fox’sches China-Bashing und Öko-Ressentiment aufs Korn nimmt. Über den etwaigen Fortgang der Handlung lässt sich daraus jedoch genauso wenig ableiten wie aus Soap-Opera-Vermutungen à la „Kerri ist schwanger!“.Die meiste Zeit geht es im Reden über Succession bezeichnenderweise gar nicht um die Handlung, sondern allein um die Figuren: Man redet über Kendall, Shiv, Roman und Logan, über Gerri, Karl, Frank und Hugo wie über reale Personen. Man outet sich als Fan des einen oder anderen, fiebert mit ihnen mit – und vor allem, verliert sich in Ausdeutungen ihrer erlittenen Traumata und Charakterfehler eben nicht wie über Figuren, die ein Kollektiv von Profi-Schreibern mehr oder weniger konsistent zum Leben erweckt, sondern als wären es Nachbarn, Freunde oder gar Familienangehörige. Das frei flottierende Psychologisieren lässt mitunter die „Gemachtheit“ der Serie völlig in Vergessenheit geraten.Der reale Rupert Murdoch als Einfluss, aber nicht als VorlageAls gutes Gegenmittel erweisen sich dafür immer wieder die Kommentare der Wirtschaftsjounalisten. Sie staunen oft darüber, wie tatsächlich akribisch recherchiert die Autoren sich an realen Medienmogulen wie Rupert Murdoch oder Sumner Redstone orientieren – ohne sie als 1:1-Vorbilder einzusetzen. Der Deal, um den es in der finalen Staffel geht, besitzt zum Beispiel strukturelle Ähnlichkeiten mit Murdochs Verkauf von Teilen seines Fox-Imperiums an den Disney-Konzern. Vaulter, das hippe Internet-Nachrichten-Portal, das Kendall in der ersten Staffel erwerben wollte, war dem Phänomen Gawker nachgebildet. Die Beispiele sind endlos. Und wie oft scheint es inzwischen schon zur Gegenkontamination gekommen zu sein: Nicht nur, dass eine Reportage über Rupert Murdoch in Vanity Fair aktuell davon berichtet, dass Murdochs Rechtsanwälte in den Scheidungsunterlagen Exfrau Jerry Hall explizit verbieten wollten, mit den Autoren von Succession zu sprechen. Über die Frage, was nach Murdoch mit Fox News passieren könnte, wird darin spürbar durch die Succession-Brille spekuliert.Was also ist so toll an Succession? Vielleicht gerade das, was sich trotz all dieser heftigen Bemühungen der Beschreibung entzieht. Die Serie hat eine Qualität, die all diese Analysen „aushält“. Weshalb die größte Freude übrigens von den Podcasts und Artikeln ausgeht, die schlicht Zeile für Zeile die Dialoge und Szenen durchgehen, um am Ende die Lieblingzitate einer Folge zu bestimmen.Einer der heißen Kandidaten auf „Lieblingszitat der ganzen Serie“ gab es in der ersten Folge dieser vierten Staffel. Medienboss Logan Roy schreitet da mit dunkler Sonnenbrille den eigenen Newsroom ab und schaut den Mitarbeitern über die Schultern. Cousin Greg beschrieb die Szene im Telefongespräch mit Tom folgendermaßen: „Es ist wie im ,Weißen Hai‘– wenn im ,Weißen Hai‘ alle für den weißen Hai arbeiten würden ...“ Das einzig wahre Lieblingszitat aller echten Succession-Fans aber kann natürlich nur lauten: „F... off“. Es sind wahrscheinlich auch die zwei Worte, die in der ganzen Serie am häufigsten fallen.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.