„Wochenendrebellen“ von Marc Rothemunds: Viel Herz und Humor
Kino Fortuna Düsseldorf ist es nicht: Der Film „Wochenendrebellen“ erzählt von der Suche eines Vater-Sohn-Gespanns nach einem Lieblingsverein für den mit Asperger-Syndrom diagnostizierten Jason – in 56 deutschen Fußballstadien
Aus Überforderung andere anschreien – auf dem Fußballplatz machen das längst nicht nur Menschen mit Asperger-Diagnose wie Jason (Cecilio Andresen, li.)
Foto: Leonine Studios
Man kann sich auch durch selbst gesetzte Regeln das Leben sehr, sehr schwer machen. Der zehnjährige Jason (Cecilio Andresen), schon als Kleinkind mit Asperger-Syndrom diagnostiziert, ist ein echter Meister darin. Besonders was das Essen angeht, hat er sich Regeln auferlegt. So dürfen sich zum Beispiel auf seinem Teller Nudeln und Tomatensoße nicht berühren; er kann sein Essen mit niemandem teilen, und er will trotzdem vermeiden, dass Lebensmittel weggeworfen werden. Klingt vielleicht umständlich, ist aber nicht unmöglich.
Aber als er eines Tages mit Vater Mirco (Florian David Fitz) in der Bahn unterwegs ist, führt genau dieses Regelwerk zu einer rasanten Eskalation: Die von Jason bestellten Nudeln mit Tomatensoße berühren sich im wackelnden Bahnb
nden Bahnbistro eben doch. Jason sieht sich in der absoluten Zwickmühle. Er kann die Nudeln nicht länger essen, er kann sie aber auch nicht seinen Papa essen lassen, und erst recht nicht kann er sie wegschmeißen. In seiner Überforderung schreit er seinen Vater an. Aber der weiß auch keinen Ausweg und ist seinerseits überfordert. Und dann findet das Ganze auch noch in der Öffentlichkeit des Bistro-Waggons statt, vor verständnislosen Mitreisenden und einem sowieso schon gekränkten Bahnpersonal.Die Szene prägt sich ein, auch wenn sie für den Plot von Marc Rothemunds neuem Film Wochenendrebellen nicht wirklich entscheidend ist. Zum einen, weil viele so etwas zumindest in Ansätzen schon erlebt haben: ein trotzendes Kind, das seine Eltern durch widersprüchliche Reaktionen überfordert, während die missbilligende Umgebung Ruhe und Ordnung fordert. Zum andern, weil sie schlaglichtartig beleuchtet, was das Leben mit Asperger-Syndrom bedeutet, eben nicht nur für die „anderen“, für Eltern und Umstehende, sondern besonders für den Jungen selbst, der dann doch am meisten unter der entstandenen Situation leidet.Denn das ist das kleine Wunder, das Rothemund hier mit seiner Adaption der Memoiren des Vater-Sohn-Paars Mirco und Jason von Juterczenka vollbringt: Er schildert nicht nur im locker-flockigen Ton einer Komödie den Alltag mit einem autistischen Kind, er nimmt dabei die verschiedenen Anliegen und Perspektiven von Vater und Sohn auch sehr ernst. Wenn man Jason dabei zuschaut, wie er sich durch seine selbst auferlegten Regeln Mal um Mal in eine Zwickmühle manövriert, ist der Blick immer ein verständnisvoller, ein akzeptierender. Die Nachsicht, die der Film mit Einfühlung und Humor für seine Figuren herstellt, gilt aber auch für Vater Mirco, dem die Situation mit Jason nachvollziehbar manchmal über den Kopf wächst. Und auch für Mutter Fatime (Aylin Tezel), die sich fast zu gut in die verschachtelten und komplizierten Wahrnehmungen ihres Sohnes einfühlen kann.Der wesentliche Kunstgriff, den Rothemund anwendet und der schon den aus einem Blog hervorgegangenen Memoiren der von Juterczenkas zugrunde liegt, besteht darin, dass der Plot des Films den Autismus seiner Hauptfigur zur Nebensache macht. Zugegeben, zur entscheidenden und wichtigen Nebensache, aber im Zentrum geht es um etwas anderes: um die Suche nach einem Lieblingsfußballverein.Denn eines Tages, gerade als Jasons Schwierigkeiten im Umgang mit seiner Klasse mal wieder hochkochen und das böse Wort „Sonderschule“ fällt, macht er die Beobachtung, dass alle um ihn herum für einen bestimmten Fußballverein fiebern, er aber quasi bindungslos dasteht. Der erste Versuch von Mirco, seinen Sohn für den eigenen Lieblingsverein Fortuna Düsseldorf zu begeistern, schlägt fehl. Von da an gehen die beiden den Pakt ein, sämtliche 56 Vereine der ersten, zweiten und dritten Liga live in ihren jeweiligen Stadien zu besuchen. Denn erst wenn Jason vor Ort überprüfen kann, ob seine Kriterien – keine Nazis unter den Fans, kein doofes Maskottchen, die Mannschaft darf vor dem Spiel keinen Kreis bilden – erfüllt sind, möchte er sich entscheiden.Das Vorhaben ist für beide mit Belastungen verbunden. Für Jason natürlich verschärft, denn im Grunde kann er vieles von dem, was das Stadionerleben ausmacht, nicht ertragen, angefangen damit, dass ihm Menschen zu nah auf die Pelle rücken. Die Stadionbesuche – es sind auch die ganz berühmten darunter, der BVB und Bayern München – bilden von da an das strukturierende Element des Films, der auf großartige Weise Fankultur als soziale Teilhabe zeigt. Man muss kein Fußballfan sein, um zu begreifen, warum die Suche für das Vater-Sohn-Gespann zu einer transformierenden Erfahrung wird. Dabei werden nur ganz selten Spielszenen vom Feld gezeigt, aber immer wieder gibt es Aufnahmen von den bewegenden Momenten vor dem Spielbeginn, von den Ritualen der erwartungsfreudigen Menge und dem feierlichen Einstimmen der Fans.Die diversen Zusammenstöße vor Ort führen immer wieder zu heftigen Konflikten. Aber zugleich wächst auch das gegenseitige Verständnis, sowohl zwischen Vater und Sohn als auch zwischen den Zuschauern und den Helden auf der Leinwand. Ohne je den Sinn für Humor zu verlieren, ist Rothemunds Film ein Aufruf zu mehr Empathie: Als Autist findet Jason aus seinen Zwickmühlen oft nicht heraus, und so ist Mirco gefordert, Flexibilität zu zeigen, selbst da, wo er sich im Recht fühlt. Statt „Der Klügere gibt nach“ gilt, dass derjenige nachgibt, der dazu in der Lage ist.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1
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