Amoklauf des Ratlosen

Asylstreit Horst Seehofer setzt im Streit zwischen CDU und CSU auf seinen »Masterplan Migration«. Sein politischer Amoklauf der letzten Tage zeugt jedoch eher von Ratlosigkeit

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Biometrisch korrektes Stockfoto zwecks Einreise in sicheren Drittstaat.
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Foto: Sean Gallup/Getty Images

»Die Union ist offensichtlich nicht regierungsfähig«, bemerkt Sahra Wagenknecht auf einem Empfang ihrer Partei in Wuppertal. Damit wendet sie den von CDU/CSU tausendfach gegen die Linkspartei vorgebrachten Vorwurf gegen die Union selbst. Ihr angemessener Spott gebührt dem politischen Theater der letzten Tage, welches die Regierungsparteien in der Migrationsdebatte inszenieren. Der Streit um den Kurs in der Asylpolitik eskaliert am Donnerstag. Nachdem die CSU darauf besteht, Asylbewerber an der deutschen Grenze abzuweisen, wenn sie in anderen europäischen Staaten bereits registriert sind, muss die Sitzung des Bundestages unterbrochen werden.

CDU und CSU beraten sich getrennt voneinander. Doch schon im Vorhinein ist klar: Diese Beratungen werden nicht weiterführen. Denn in der Sache kann es keinen Kompromiss geben. Sollen bestimmte Personen an der Grenze abgewiesen werden? »Da gibt es nur ja oder nein«, stellt der CDU-Politiker Christian von Stetten zurecht fest. Gegen Mittag beginnt Innenminister Horst Seehofer dann seinen politischen Amoklauf: Sollte Angela Merkel nicht nachgeben, werde er die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze per Ministererlass beschließen - gegen den Willen der Kanzlerin, die eine europäische Lösung beim EU-Gipfel Ende Juni erreichen möchte.

Annegret Kramp-Karrenbauer wagt in der Situation einen Vorstoß und versucht, die Basis der CDU mit einem Brief hinter dem Kurs der Kanzlerin zu vereinen. Gegen einen nationalen Alleingang und für eine europäische Lösung. Als käme Kramp-Karrenbauers Appell an die CDU-Basis aus dem Nichts, zeigt Seehofer Unverständnis. Er fühlt sich missverstanden und als »bayrischer Provinzfürst« dargestellt, der die europäische Idee nicht versteht.

Seehofers »Masterplan«

Bis Montag wird der Ministererlass im Raum stehen. Der CSU-Vorstand soll dann Seehofers Pläne absegnen. Sollte der Innenminister seinen Worten dann Taten folgen lassen, muss Merkel handeln. Eine Kettenreaktion wäre die Folge: Da die Kanzlerin die Richtlinie der Regierung vorgibt und nicht irgendeiner ihrer Minister, bliebe ihr keine andere Möglichkeit als die Erlassung des Innenministers. Dies würde zum Bruch mit der CSU führen, was zwangsläufig das Ende der Regierungskoalition bedeuten würde. Hinter dem Theater steht angeblich Seehofers »Masterplan Migration«. Ein mysteriöses, nicht-veröffentlichtes Papier mit 63 Maßnahmen in der Migrationspolitik, welches der Kanzlerin unter der Bedingung ausgehändigt wurde, es nicht an die Unionsfraktion weiterzureichen.

Das offene Geheimnis dieser Regierungskrise ist jedoch: Horst Seehofer agiert planlos. Er ist selbst ein Flüchtender. Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder können auch nach Seehofers Abschied aus München nicht aufhören, den Parteivorsitzenden vor sich her zu treiben. Für Dobrindt geht es darum, selbst irgendwann einmal den Parteivorsitz übernehmen zu können und für Söder stehen selbstverständlich die bayrischen Landtagswahlen im Vordergrund, die im Oktober stattfinden werden. Für beide ist Seehofer mittlerweile nur noch ein Spielball ihrer politischen Interessen. Es handelt sich um einen entmachteten Innenminister, der einer kraftlosen Kanzlerin die Pistole auf die Brust setzt - und zwar nicht weil die Lage in der Migrationspolitik es erfordern würde, sondern weil es eine Notwendigkeit des bayrischen Landtagswahlkampfes ist.

Bavaria First

Der ehemalige CSU-Parteivorsitzende Edmund Stoiber plädiert für die CSU-Lösung in der Grenzfrage, wenn er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitteilt: »Wir halten unseren Weg für richtig und notwendig. Jeder in der Union muss sich im Klaren sein, was auf dem Spiel steht.« Und in der Tat ist zumindest den Christsozialen innerhalb der Union klar, was auf dem Spiel steht. Primär geht es nicht um die Stabilität der Bundesregierung oder gar um die Möglichkeit einer erneuten stärkeren Zuwanderung. Was auf dem Spiel steht, ist die CSU-Mehrheit im bayrischen Landtag - nicht mehr und nicht weniger. Horst Seehofers ureigener Brutus, Ministerpräsident Markus Söder, antwortet dementsprechend im ARD-Interview auf die Frage nach einem möglichen Ende der Regierung: »Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdigkeit zu verlieren.« Die Botschaft ist eindeutig: Selbst wenn dies den Kollaps des Kabinetts Merkel IV bedeuten sollte, hat der Wahlkampf in Bayern Priorität. Die CSU hat sich auf »Bavaria first« festgelegt - komme, was wolle.

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