Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Berühmtes Scheitern

Literatur Liebe und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur. Die Literaturkritikerin Beate Tröger hat den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch gelesen und fragt sich: Ist ihr Briefwechsel eine Sensation?
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 50/2022
Sie wollte Freiheit und hatte nie mit einem Mann zusammengewohnt, ihm war nach Heirat
Sie wollte Freiheit und hatte nie mit einem Mann zusammengewohnt, ihm war nach Heirat

Fotos: dpa, Buhs/Remmler/Ullstein (links)

Am Anfang klafft gleich eine Lücke. Das erste Dokument der Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch fehlt: ein Brief von Frisch. Dieser Umstand deutet auf mehrere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Briefwechsel, der die Beziehung der beiden flankiert, die von 1958 bis 1963 ein Paar waren. Die erste betrifft das Verhältnis der überlieferten Schriftstücke. Finden sich in Frischs Nachlass 216 Korrespondenzstücke, liegen in Bachmanns lediglich 43 vor. Mit dieser quantitativen Asymmetrie in der Überlieferung privater schriftlicher Äußerungen in dieser Verbindung zweier der bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts muss man umgehen. Dass große Lücken auf Frischs Seite existieren, liegt am Eingreifen Bachmanns. Sie werde „nichts aufbewahren“, schreibt sie Frisch nach dem Ende der Liebesbeziehung im März 1964, und fordert ihre Briefe zurück, was er ablehnt. Frisch dagegen hat Bachmanns Dokumente sorgfältig aufbewahrt, wie weit sein Archivierungswille reichte, zeigt sich auch daran, dass er von seinen Briefen, irritierend genug, häufig Durchschläge anfertigte.

Und während Frisch Jahrzehnte später die Begegnung mit Bachmann zu den entscheidenden Erfahrungen in seinem Leben zählte, wollte sie anscheinend alles vergessen: „Ich hätte nie gedacht, daß ich Jahre auslöschen möchte (…)“, heißt es in einem Briefentwurf von frühestens 1963. Von Anfang an durchziehen Metaphern des Exterritorialen, Verschwindens, Abwesendseins die Briefe: „Ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt“, schreibt sie 1962 in einem nicht abgeschickten Brief an Frisch, später, sie sei „garnicht vorhanden vor Lesen und Denken“.

Lange unter Verschluss

Lange Zeit war diese Liebesbeziehung eine geheimnisumwehte Fußnote der Literaturgeschichte. Die zugehörige Korrespondenz lag unter Verschluss. Seit 2011 ist die Sperrfrist für Frischs Nachlass abgelaufen, die für Bachmann haben die Geschwister der Autorin verfrüht aufgehoben. Darin liegt eine weitere gravierende Schwierigkeit. Zwar beantwortet die Edition etliche literaturwissenschaftliche Fragen, zielt aber gegen den Willen der Verstorbenen ins Intimste.

Eine der interessantesten philologischen Erkenntnisse ist, dass Max Frisch Ingeborg Bachmann maßgeblich in die Veröffentlichung seines Schlüsselromans Mein Name sei Gantenbein einbezogen hat, den sie später als „Zerstörung ihrer Person“ bezeichnete, und in dem die Protagonistin Lila Züge Bachmanns trägt. Seitenlange Anmerkungen Bachmanns lassen jedoch ebenso wie diverse Briefstellen erkennen, dass sie selbst Frisch zum Schreiben und zur Publikation ermuntert hat.

Bachmanns Einlassungen zeigen, dass der Briefwechsel von Beginn an auch immer Verhandeln über Profession ist, das Schreiben sein Glutkern. Frisch hatte Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan vor der Ausstrahlung kennengelernt und war beeindruckt. Er schrieb ihr, sie antwortete stürmisch. Später traf man sich ausgerechnet in Paris, dem Wohnort Paul Celans, mit dem Bachmann ein Verhältnis gehabt hatte, und kurz darauf erneut für mehrere Tage in Zürich, wo Frisch nach der Trennung von seiner Ehefrau mit der Übersetzerin Madeleine Seigner lebte und wohin Bachmann aus München reiste, wo sie für den Bayerischen Rundfunk arbeitete.

Frisch schreibt am 6. Juli 1958 nach dem Pariser Treffen: „Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir (...).“ Frisch erscheint als der Liebende, Wartende, von dessen „Hörigkeit“ später immer wieder die Rede sein wird, Bachmann als die Freiheitsliebende. Der elf Jahre ältere Frisch möchte die Ehe, Bachmann, die nach unglücklich endenden Beziehungen zu Hans Weigel und zu Celan allein lebt, vor Frisch nie mit einem Mann zusammengewohnt hat, dagegen Freiheit. Sie betrachtet Liebe letztlich als etwas Destabilisierendes, sucht nach einer freieren Lebensform. (Und man muss sich klarmachen, welch permanente Überforderung das zu einer Zeit bedeutet haben könnte, in der Ehefrauen ihren Mann schon um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie berufstätig sein wollten!)

Max Frisch lästert gut

Von Beginn an fehlt in der Beziehung etwas, klingen in der Korrespondenz deutlich Dissonanzen an, die immer lauter werden, letztlich zum Scheitern der Verbindung führen. „Es gibt nur noch die Trennung“, schreibt die eher unstete, immer stärker von Tabletten abhängige Bachmann in der Neujahrsnacht auf 1963, nach ihren Affären mit Hans Magnus Enzensberger und dem Germanisten Paolo Chiarini, zu der Zeit der nach einem Aufenthalt in Venedig offen verabredeten Beziehung, und zu Beginn der Affäre Frischs mit Marianne Oellers, die er 1968 schließlich heiratete. Im Brief vom 5. Dezember 1962 hatte er Bachmann gegenüber erklärt: „Ich werde nie eine Frau verstehen“, weil sie, die finanziell schlechter ausgestattete, 50.000 Lira für die von beiden angestellte italienische Haushaltshilfe an Frisch geschickt hatte. Eine Rechnung, die wie aus Scham geschieht und den Verdacht erhärtet, dass es nicht zuletzt auch die ökonomische Asymmetrie war, die das Verhältnis verkomplizierte.

Obwohl Bachmann die Trennung, die am 12. März 1963 endgültig vereinbart wurde, damit noch einmal maßgeblich beförderte, war sie diejenige, die nachher weniger mit ihr zurechtkam. Mehrere Zusammenbrüche und Klinikaufenthalte folgten, das Schreiben fiel ihr schwer, Vorwürfe ergingen an Frisch, bis der Kontakt für Jahre abbrach und von Frisch lediglich für die Publikation von Gedichten Bachmanns in der Partisan Review wieder aufgenommen wurde. Dass daraus nichts wurde – ein letzter Nachhall eines großen Scheiterns.

Stellt dieser Briefwechsel nun die literarische Sensation dar, die ihm seit dem Erscheinen nachgesagt wird? Tatsächlich tritt, wie die „Causa Gantenbein“ zeigt, literaturwissenschaftlich bedeutsames Material zutage. Etliches liest man gerne, beide Wortmenschen können zeitweilig sehr amüsant sein, so Frisch, wenn er im Juli 1959 nach einer Hepatitisbehandlung aus der Kur in Bad Mergentheim lästert: „Ein Kurpark voller kränklicher Kleinbürger mit Hosenträgern. So viel blondes Korn, so viele Giebelhäuser. Ferner hat die deutsche Sprache den Nachteil, dass ich verstehe, und was ich verstehe, schadet meiner Leber“, oder Bachmann von einer Schiffspassage nach New York: „Die Stewards, Kellner sind von einer engelhaften Gleichmässigkeit, sie scherzen diskret mit den voluminösesten Monstren genau wie mit mir, sie sind nie nervös, nie müde, haben immer rosa Wangen und die Caritas im Gesicht.“ Und doch: „Das Hermetische, das man als Paar hat, plötzlich ist es löcherig, und die Welt verheimlicht nicht mehr länger, was sie lang gewußt hat“, schreibt Bachmann Pfingsten 1963 nach der Trennung kurz vor einem ihrer Zusammenbrüche an Frisch. Es klingt wie eine Paraphrase des Abschnitts „Tisch und Bett“ aus Adornos Minima Moralia, wo es über die Scheidung heißt, sie zerre das Intime zwischen Menschen hervor, offenbare das Moment der Schwäche, das der Nachsicht, Duldung, Zuflucht für Eigenheiten zwischen zweien innewohnt.

Wer diesen Briefwechsel liest, wird auch Zeuge solcher Kälte und Bosheit, wenngleich Bachmann und Frisch nie verheiratet waren. Die von Bachmann immer wieder formulierte Forderung, dass keine dieser privaten Äußerungen an die Öffentlichkeit dringen sollte, scheppert umso greller, je häufiger sie geäußert wird, und es bleibt auch interpretatorisch fraglich, ob etwa ein großartiges Gedicht wie Eine Art Verlust an Reiz gewinnt, wenn man nun aufgrund der Edition des Briefwechsels die Inventarlisten mit dem Hausrat mitdenken, der poetischen Aufzählung von Verlorenem das Rosenthal-Geschirr aufaddieren kann, das aufgrund der Schadhaftigkeit von Frisch aussortiert wurde.

Man blickt mit diesen Briefen in arge Abgründe, Rückweg ausgeschlossen. Letztlich wünschte man sich auch einen Kommentar, der etwas ausführlicher die soziologischen Bedingtheiten dieser Liebe reflektiert und weniger die unlebbare Dimension der großen Liebe zwischen den beiden betont.

Zum Verständnis des Unheils dieser Beziehung genügte vielleicht schon der Blick auf das einzig bekannte gemeinsame Foto, das Mario Dondero von beiden aufgenommen hat: Es entstand 1962, in ihrer Wohnung in Rom. Frisch steht links, Bachmann rechts im Bild, er ist, hemdsärmelig, aber elegant, mit der Pfeife im Mund zu sehen, sie, ein wenig angeschnitten, ebenfalls elegant gekleidet. Ihr Blick ist an Frisch vorbei in die Ferne gerichtet. Wohin Frisch schaut, ist nicht auszumachen. Obwohl beide einander zugewandt sind, wirkt die Aufnahme wie eine Montage, drückt Fremdheit, Ungleichzeitigkeit, Kühle aus, die diese Verbindung scheitern ließ, trotz des immensen Aufwandes, den die beiden für- und umeinander getrieben haben, gleichermaßen scheiternd im Versuch, zusammenzukommen, wie im Versuch, einander völlig freizugeben.

„Wir haben es nicht gut gemacht.“ Der Briefwechsel Ingeborg Bachmann/Max Frisch Höller, Langer, Strässle, Wiedemann (Hrsg.), Suhrkamp 2022, 1.038 S., 40 € (Leseprobe)

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Geschrieben von

Beate Tröger

Freie Autorin, unter anderem für den Freitag

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