Nähern uns dem Zielgebiet

Literatur Der digitale Text ist vertikal und überwindet das Konzept der Seite. Er hat es nicht mehr nötig, Papier so vollständig wie möglich auszufüllen.

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Ihre Freitag-Redaktion

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Irgendwo hier muss er sein.

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Passt auf,

wo ihr hintretet.

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Scheiße,

ist das dunkel hier.

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Seht ihr was durch die Nachtsichtgeräte?

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Alles ruhig.

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Da ist etwas.

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Was ist das?

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Undeutlich.

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Fupp!

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͏Eingebetteter Medieninhalt

Ich sehe überhaupt nichts. Gib mir das Sichtgerät.

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In den vergangenen Monaten mit Comic-Apps beschäftigt.

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Schnelle Art der Bild-Text-Lektüre Augen geöffnet,

kontinuierliches Nach-unten-Scrollen,

DAS IST DIGITALE LITERATUR!

Wie Jack Kerouacs Textrolle On the Road,

endlich in digitaler Form,

nicht nur einfach digitalisiert,

sondern originär aus dem Digitalen heraus geboren.

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Das ist genau der sich entrollende digitale Text,

nach dem ich suche.

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Weiter,

weiter,

nicht stehenbleiben.

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Nähern uns dem Zielgebiet.

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Kannst Du was sehen?

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Ich sehe überhaupt nichts.

Gib mir das Sichtgerät.

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Nein.

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Ich dachte,

da wär was.

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Dachte ich auch.

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Alles matschig hier.

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Scheiße.

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Was ist los?

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Bin in ein Loch getreten.

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Komm her.

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Geht nicht,

bekomm mein Bein nicht raus.

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Hier,

nimm meine Hand.

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Der Text geht direkt ins Gehirn,

erfasst den Leser restlos,

lässt ihn nicht mehr los.

Beschleunigtes Lesen.

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Kurze Sätze,

Comicsprache.

Die Richtung wird nicht mehr von links nach rechts,

sondern von oben nach unten wahrgenommen,

der Leser scrollt kontinuierlich nach unten.

Lesen wird eine Fingerübung.

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Webcomic in Text übertragen.

Schnell.

Beschleunigt.

Vertikal.

Bildsprache.

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Der Leser wird immer weitergetragen,

als liefe er über eine Papierrolle.

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Ein Strom,

nicht nur ein Bewusstseinsstrom,

sondern vor allem ein Wahrnehmungsstrom.

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Das erlaubt endlich Deep Point-of-View.

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Es kommt näher.

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Was kommt näher?

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Ist ER das?

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Kann ich nicht erkennen.

Ist mal auf der einen Seite,

mal auf der anderen.

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Was geht da vor sich?

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Halt mal die Taschenlampe hier hin.

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Ja,

hier.

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Was ist das denn?

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Da ist nichts.

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Irgendwas ist da.

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Das ist nicht irgendwas,

das ist ER!

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ICH bin hier!

Ihr kommt hier nicht raus!

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Der digitale Text benötigt keine Seiten mehr,

er überwindet das Konzept der Seite.

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Papier war immer eine wertvolle Ressource,

die Papierseite musste ausgefüllt werden,

so vollständig wie möglich.

Im digitalen Text ist das nicht mehr nötig,

der Text kann sich nach anderen Anforderungen richten,

Blocksatz gehört schon bald der Vergangenheit an.

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MP-Geratter.

Draußen wurden wieder Leute erschossen.

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Ich hinter der Tür.

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Draußen Leute vorbei.

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Höre ihre schnellen Schritte.

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Stiefel.

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Explosion.

Bin nicht sicher,

wie weit entfernt.

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Schaue mich um.

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Kadruuum!

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

belmonte

Autor, lebt in Heidelberg, betreibt den Blog VNICORNIS und ist Co-Sprecher der Autorinnen und Autoren der UNESCO City of Literature Heidelberg.

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