Eine Stadt für Reiche und Konzerne

Smart City Laternen, die Gesichter scannen, vernetzte Effizienzhäuser: Hinter all dem steckt die voranschreitende Privatisierung urbanen Lebens
Ausgabe 08/2018
Eine Stadt für Reiche und Konzerne

Illustration: Johanna Walderdorff für der Freitag

Es beginnt gleich nach dem Aufwachen. Mit dem Griff zu meinem Smartphone. Mit der Musik, die ich morgens unter der Dusche höre. Mit meinem Strom- und Wasserverbrauch für Kaffee und Dusche: Jede meiner Gesten, jede Handlung im Haushalt und draußen in der Stadt produziert Daten, hinterlässt eine Spur von Verbrauchs- und Metadaten.

Daten seien das neue Öl, heißt es, das neue Gold. Jedenfalls scheinen sie die Bausteine zu sein, aus denen die Stadt der Zukunft gebaut werden soll. Und wenn eine Stadt nicht schon eine Smart City ist, dann will sie eine werden. München, Hamburg und Berlin sind dabei, ebenso kleinere Städte wie Karlsruhe und Oldenburg. „Etwa zwei Drittel der deutschen Großstädte arbeiten derzeit an Smart-City-Projekten“, schätzt Dr. Jens Libbe, der am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) das Phänomen Smart Cities untersucht.

Smart Cities

Datengestützt, effizient und nachhaltig sollen unsere Städte jetzt werden. Geht es dabei nur um abstraktes Zukunftsgedöns? Wer profitiert von dieser technologischen Aufrüstung? Und gibt es eine emanzipatorische Alternative zur Vollvernetzung?

Es ist kein Wunder, dass „smart“ für viele Städte das Attribut der Stunde zu sein scheint. Wer smart ist, ist laut Duden „clever, gewitzt“, aber auch „von modischer und auffallend erlesener Eleganz“ sowie „fein“. Das klingt gut und heißt wenig. Entsprechend schwammig ist auch der Smart-City-Begriff: Die smarte Stadt von morgen soll nicht nur ihren Energieverbrauch senken und ihre Abläufe effizienter machen, sondern auch den technologischen Fortschritt voranbringen und die Bürger stärker integrieren – alles dank einer Vielzahl von Sensoren und der Vernetzung von Menschen, Infrastrukturen, Haushalten und Verwaltung. Mithilfe der dafür bereitwillig erzeugten Daten.

Science-Fiction für alle

In einer solchen Zukunft würde ich – nach dem Aufstehen und dann den ganzen Tag hindurch – mit meinen alltäglichen Verrichtungen dazu beitragen, die Stadt smart zu machen. Die Mülltonne, in der der Abfall von meinem Frühstück landet, würde signalisieren, wenn sie überquillt, sodass die Müllabfuhr ausrückt. Die Müllwagen führen, der Umwelt zuliebe, natürlich mit Elektroantrieb. Davon soll es in der smarten Stadt ohnehin eine ganze Menge geben, aufladbar an Zapfsäulen und am besten von Carsharing-Portalen zur Verfügung gestellt. Der Verkehr würde fließen, weil die neue, durch Sensorik und Kameras verbesserte Verkehrsführung die Fahrzeuge in grünen Wellen umherdirigiert. Geparkt wird mithilfe einer App, die die freien Parkplätze erfasst und effektiv verteilt.

Science-Fiction für den Hausgebrauch also. Wer würde da nicht mitmachen wollen? Schon 2017 hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung eine Smart-City-Charta vorgelegt, die EU ein Subventionsprogramm für Smart-City-Projekte aufgelegt. Bei all den verschiedenen Unternehmungen ist schwer zu sagen, wie viel Geld derzeit in Smart-City-Projekte investiert wird. Bemerkenswert sind die Zahlen allemal. In Wien etwa, einer der smarten Vorreiter-Städte, wurde kürzlich ein Forschungsprojekt zur energetisch nachhaltigen Stadt verlängert: Bis 2023 werden 45 Millionen Euro investiert – getragen nicht nur von den städtischen Energiebetrieben, sondern auch von Siemens. In ihrer Studie zum Thema Smart City schreiben der Technologie-Publizist Evgeny Morozov und Francesca Bria, die Leiterin der Smart-City-Strategie der Stadtregierung von Barcelona: Nach Schätzungen von Unternehmensberatungen „wird der Smart-City-Markt demnächst die Grenze von drei Billionen US-Dollar knacken und damit alle traditionellen Wirtschaftszweige überflügeln“.

Der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien und das bessere Wirtschaften mit Strom und Heizung dank intelligenter Systeme sind jener Teil des Smart-City-Narrativs, der gerne verbreitet wird. Mit dem man sich schmückt, weil niemand etwas gegen ihn einzuwenden hat. Dass dazu aber auch ein extremer Anstieg der erhobenen Daten gehört, fällt gerne unter den Tisch. Überhaupt erschwert der schwammige Begriff eine kritische Debatte. Denn wie sollte man allen Ernstes gegen eine positive Energiebilanz oder weniger Stau und Smog in den Straßen sein?

Ich mache mich auf zu einem Vorzeigeprojekt des Umweltministeriums, dem „Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität“ in der Fasanenstraße in Berlin-Charlottenburg. Um den Weg dorthin zu finden, befrage ich Google Maps. Für den Weg bekomme ich gleich verschiedene Routen und Fortbewegungsmöglichkeiten angeboten: ob per Fahrrad, Auto – Stauwarnungen inklusive – oder zu Fuß, mit Verweis auf eine Taxi-App und den öffentlichen Personennahverkehr mit Abfahrtszeiten und Fußweg von meiner Wohnung zur Haltestelle. In der Umgebung meines Zieles werden mir auch gleich Restaurants und Kneipen vorgeschlagen. Ich füttere Daten und bekomme dafür ein digitales Live-Bild der Stadt. Ich entscheide mich für die U-Bahn und kaufe ein digitales Ticket über mein Smartphone. Am Bahnhof hinterlasse ich fröhlich weiter Spuren mit dem Handy und lächle in die Überwachungskameras, die mein Bild aufnehmen.

Würde Rena Tangens mich sehen, würde sie vermutlich den Kopf schütteln. Tangens ist Mitbegründerin und Vorsitzende des Vereins Digitalcourage e. V., der sich für Grundrechte und Datenschutz einsetzt und jährlich den BigBrotherAward ausrichtet – einen Preis, der an Firmen, Organisationen und Personen geht, die „nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen sowie persönliche Daten verkaufen oder gegen ursprüngliche Interessen verwenden“. 2016 ging der Preis an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für deren E-Ticket, eine kontaktlose Chipkarte, die in Bussen und Bahnen von einem Lesegerät gelesen wird. Aber nicht nur: Das Lesegerät für die Tickets zeichnet immer auch Informationen auf. Datum, Uhrzeit, Buslinie und Haltestelle werden vermerkt. Selbst Amateurhacker wären imstande, das dabei registrierte Bewegungsprofil abzurufen. In der Begründung für den Preis schrieb Tangens: „Die Registrierung aller Fahrgäste und jeder gefahrenen Strecke bei Bus und Bahn mag einigen erst einmal als eine Petitesse vorkommen. Aber es ist ein wichtiger Mosaikstein für das Gesamtbild der Totalüberwachung.“

So bekommt die Smartness den schalen Beigeschmack der Überwachung. Wo massenhaft Daten gesammelt und ausgewertet werden, sei es anonymisiert oder personalisiert, ist es zu Big Brother nur ein kleiner Schritt. Rena Tangens nennt ein Beispiel: „Als große Errungenschaft der Smart City wird zum Beispiel eine Straßenlaterne angepriesen, die nicht nur leuchtet, sondern auch gleich Videoüberwachung und Fußgängererkennung leistet und als Kfz-Kennzeichen-Leser, Umweltsensor, Schuss-Tracker und Location-Beacon zum Tracking der Position funktioniert. Stellen wir uns dies noch mit WLAN vor, mit dem die Position eines Smartphones durch Triangulation ermittelt werden kann, Gesichtserkennung jeder Person und Bewegungsanalyse, dann ist klar: Wir werden keinen Schritt mehr unbeobachtet tun können, wenn diese Vision tatsächlich gebaut wird. Das ist surveillance by design.“

Nach meiner Fahrt durch Berlin komme ich beim Effizienzhaus Plus in Charlottenburg an. Modern sieht es aus, mit viel Glas und Beton. Das Haus ist ein Modellprojekt, das verschiedene Bundesministerien gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik vorantreiben. Ziel der Übung: ein Haus zu entwickeln, das mehr Energie produziert, als es verbraucht, den Überschuss speichert oder ins Stromnetz einspeist. Vor der Tür ein Ladeplatz für Elektroauto und E-Bike. Die Lichtanlage ist von außen per App steuerbar, genau wie die Haushaltsgeräte. Aber zugleich wird ziemlich klar: Hier entsteht kein Sozialbau.

Jens Libbe sagt, das gelte für Smart-City-Quartiere ganz allgemein: „Smarte Technologien, smarte Communitys – all das richtet sich doch eher an einen gehobenen, technikaffinen Mittelstand.“ Science-Fiction also nur für jene, die es sich leisten können? „Smart Cities können andere Defizite der Stadtentwicklung, wie etwa bei der sozialen Integration, nicht einfach ausgleichen“, gibt Libbe zu bedenken. Generell komme die Idee, digitale Technologien seien die Lösung aller Probleme, häufig aus der neoliberalen Ecke.

Auch Kritiker wie Evgeny Morozov warnen vor Smart Cities als neoliberalem Projekt. Große Technologiefirmen würden Städten technische Infrastruktur aufdrängen, so Morozov, die die Städte von ebenjenen Konzernen abhängig macht. Zugleich würde Infrastruktur potenziell privatisiert und zum Spekulationsobjekt. „Die Kontrolle über solche statistischen, Berechnungs- und andere EDV-Kapazitäten an private Akteure abzugeben – wie es die Smart-City-Agenda im Prinzip von kommunalen Entscheidungsträger*innen verlangt –, ist der sicherste Weg, um von profitorientierten Unternehmen über den Tisch gezogen zu werden“, schreiben Morozov und Bria.

Big Brother in der Tasche

Auf meinem Nachhauseweg gehe ich einkaufen. Die Kassiererin fragt prompt nach meiner Payback-Karte. Ich produziere weitere Daten (Wein, Bier und Weißbrot), die das Gesamtbild von mir als Stadtbewohner perspektivisch anreichern. In der Dystopie einer vollkommen vernetzten Stadt würden auch diese Informationen – erhoben von einer Regierung oder einem Privatunternehmen – weitergereicht oder verkauft, für ein Sozialpunktesystem wie in China ausgewertet oder für die algorithmengesteuerte Kriminalitätsprävention verwendet werden. Das mag für Berliner unvorstellbar klingen, aber in London, so beschrieb es Julia Manske von der Berliner Stiftung Neue Verantwortung in der taz, würden Daten, die im Rahmen von Smart-City-Projekten gesammelt werden, schon jetzt „an Werbetreibende verkauft, sodass diese dem Bürger etwa individualisierte Werbung auf dem Weg zur Arbeit schalten können“. Minority Report lässt grüßen.

Eine andere reale Gefahr durch Smart-City-Pläne sieht Rena Tangens: Massenhaft gesammelte Daten können das städtische Leben prägen, weil mit ihrer Hilfe aus Mustern der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft abgeleitet und Entscheidungen beeinflusst werden, während die Stadtbewohner selbst gar nicht mehr gefragt werden. Das könnte am Ende zu einer Kultur der digitalen Entmündigung führen. „Statt mehr Überwachung, Kontrolle, Sensoren und Leitsystemen“, sagt Tangens, „brauchen wir mehr Menschen, die sich für ihr Umfeld, für ihre Nachbarschaft und für ihre Stadt verantwortlich fühlen.“

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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