Neulich war es wieder so weit: Die rund 80 Millionen deutschen Bundestrainer*innen, die derzeit ohnehin auf Virologie umgesattelt haben, wurden wieder einmal US-Expert*innen. Das passiert alle vier Jahre zur Präsidentschaftswahl – mit dem inzwischen auch gewohnten Ausgang: Am Ende eines beflissenen CNN-Marathons steht die angesichts von etwa 330 Millionen US-Amerikaner*innen wenig überraschende Erkenntnis, dass die US-Gesellschaft vielleicht doch nicht so leicht zu verstehen ist.
Was also tun? Podcast hören, na klar, deshalb gibt es diese Kolumne ja. 2020 sind Podcast-Hörer*innen sowieso die besseren CNN-Gucker*innen. So sind in den vergangenen Jahren in den USA mehrere Podcasts erschienen, die helfen können, das Land zu begreifen. Und zwar auf erzählerische Art und Weise – ohnehin etwas, das in den USA spätestens seit Serial sehr gut funktioniert, während derlei Formate in Deutschland eher in den Kinderschuhen stecken.
Der 2019 erschienene Podcast Dolly Parton’s America ist da wohl das beste Beispiel. Journalist Jad Abumrad porträtiert darin nicht nur eine US-amerikanische Pop-Ikone und ihre Musik, sondern geht gleichzeitig der Frage nach, wie es sein kann, dass zu einem Konzert von Dolly Parton Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen kommen – und das in einem derart gespaltenen Land. Das ist auf vielen Ebenen hörenswert: Der musikalischen, der popkulturellen, der politischen und der soziologischen. Der Podcast wird vor allem dadurch so faszinierend, dass über eine Person erzählt wird, die sich selbst stets gegen eine politische Positionierung gewehrt hat – und dadurch Projektionsfläche für alle geworden ist.
Fast schon ein Klassiker ist der Podcast S-Town von 2017. Hier steht am Anfang eine E-Mail mit dem Betreff: „John B. McLemore lives in Shit-Town, Alabama“. Host Brian Reed folgt dem Ruf der E-Mail, trifft auf McLemore, der ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Kommt der Podcast anfangs noch als True-Crime-Geschichte daher, wird daraus schnell ein Podcast über das Leben in einer Kleinstadt in Alabama, über das Abgehängtsein und die Traurigkeit dabei. Das ist oft eindrücklich, aber manchmal auch schwer zu ertragen. So kritisierte etwa Heiko Behr im Deutschlandfunk, man könne sich in Zeiten von Black Lives Matter nicht mehr in dieser Art und Weise hinter dem Konstrukt „neutraler Beobachter“ verstecken, wenn es um Rassismus gehe. Denn der spielt freilich auch eine Rolle.
Um Rassismus geht es auch im Podcast Floodlines des US-Magazins The Atlantic. Darin rollt der Journalist Vann R. Newkirk II die Katastrophe auf, die der Hurrikan Katrina und die anschließende Flut für New Orleans und seine Bewohner bedeutet hat. Es ist eine der großen klaffenden Wunden der jüngeren US-Geschichte, die nicht nur von raissistischen Vorurteilen zeugt, sondern auch davon, wie die überwiegend afro-amerikanische Bevölkerung im Stich gelassen, wie Biografien und Leben zerstört wurden.
Und dann ist da noch Nice White Parents, dieses Jahr erschienen unter dem Dach der New York Times. Host Chana Joffe-Walt zeigt dabei die sozioökonomische Ungleichheit auf, die das amerikanische Bildungssystem bestimmt. Vor allem erzählt der Podcast aber von einer liberalen, vorwiegend weißen oberen Mittelschicht, die sich progressiv gibt, aber am Ende doch vor allem auf die eigenen Vorteile achtet.
All das sind Schlaglichter verschiedenster Art, doch sie geben eine Idee davon, was die US-Gesellschaft ausmacht. Sie ist – Obacht, liebe Expert*innen – vielschichtig.
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