Slalom der Bekloppten

Mobilität Als Radfahrer muss man schon lästige Autos und Segways ertragen. Nun auch noch den E-Roller?
Ausgabe 16/2019
Slalom der Bekloppten

Grafik: der Freitag

Sie rollt auf uns zu, lautlos, umweltfreundlich, sauber, modern – die Revolution der Mobilität. Ihr neues Gewand: Tretroller mit Elektromotor, auch E-Scooter genannt. Wenn es nach Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer geht, sollen diese Exemplare der Mikromobilität nun auch in deutschen Städten zugelassen werden – nach Vorbild anderer Metropolen weltweit (siehe Kästen).

Anfang April hat die Regierung der entsprechenden Verordnung zugestimmt, jetzt muss nur noch der Bundesrat darüber entscheiden. „Elektrokleinstfahrzeuge sollen in Deutschland noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden“, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. E-Roller als zusätzliche Alternative zum Auto, „ideal etwa für die letzte Meile von der U-, S-Bahn oder Bushaltestelle nach Hause oder zur Arbeit“, schwärmt CSU-Minister Scheuer. Der Mobilitätsvisionär, der in den vergangenen Monaten so ziemlich alles getan hat, um Schaden von der Autoindustrie abzuwenden (Tempolimit auf Autobahnen und höhere Dieselsteuern seien „gegen jeden Menschenverstand“). Aber wer will schon immer „anti“ sein? Ich, in diesem Fall zumindest.

Als Citoyen, Bürger Berlins, könnte ich mich eigentlich auf die E-Roller freuen, die einem in der unmotorisierten Variante vereinzelt bereits begegnen, gelenkt von Schulkindern, die ihre Geschwister in die Kita begleiten. Sie werden viele werden. Wenn alles nach Plan läuft, werden die Städte dann zu grünen, sauberen Oasen. Oder? War da nicht mal was? Ich denke an die Zeit der Segways – jener albernen, ebenfalls mit Elektromotor betriebenen schwarzen Einpersonen-Transporter, mit denen man Sehenswürdigkeiten erkunden konnte. Sie strömten in die Innenstädte.

Nicht nur Polizisten mussten die Gefährte plötzlich nutzen und wurden so jeder Autorität beraubt – ganze Reisegruppen fuhren und fahren halsbrecherisch damit durch touristische Zentren. Nun also E-Roller. Eine Zumutung – nicht nur in ästhetischer Sicht. (Was soll an denen lässig sein?): Noch problematischer ist die Unfallgefahr.

Wenn E-Roller auf Gehwegen erlaubt werden, drohe enorme Gefahr, warnen Unfallforscher und Versicherungsleute. Ausgerechnet da, auf dem Bürgersteig, soll das Scootern nämlich möglich sein. Bis zu 12 km/h schnelle Modelle dürfen auf den Bürgersteig, schnellere Roller bis zur Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h (mehr ist nicht erlaubt) sollen auf den Radweg. Weder Helm noch Führerschein sind verpflichtend, nur eine Versicherung. Wo die Roller hingegen nicht gefahren werden sollen, das sind Straßen. Auf Gehwegen droht die Ausweitung der Kampfzonen – pubertierende Teenager, die neben Mamas, die in Ruhe ihren Kinderwagen schieben, durch Fußgängerzonen rasen. Senioren und Seniorinnen, die ihr Gefährt nur sehr vage unter Kontrolle halten können. Und dann die schon ewig über fehlende Infrastruktur klagenden Fahrradfahrer (wie ich), die einfach nicht einsehen wollen, jetzt auch noch auf Business-Typen im Anzug Rücksicht zu nehmen, die zwecks Schweißvermeidung auf dem E-Scooter ins Büro cruisen, im Zweifel noch mit Starbucks-Becher in der Hand.

Typisch deutsche Meckerei in Not-in-my-backyard-Manier? Nein, denn was mich ärgert, ist das Prinzip, das dahintersteht und das Minister Scheuer in seinem Statement zur geplanten Verordnung recht unverblümt verkündet hat: „Damit ebnen wir den Weg für die Mobilität der Zukunft und sorgen gleichzeitig für Sicherheit auf unseren Straßen.“ Ja, die Straßen sind sicher. Sie und damit die Autofahrer werden ja nicht angelangt. Es ist eine Machtfrage: Der Wandel in Sachen Mobilität soll von den schwächeren Gliedern der Verkehrskette getragen werden. Wie will man dann in Städten eine Verkehrswende erreichen? Während auf den Bürgersteigen und Radwegen also das Hauen und Stechen zunehmen wird, winkt der Autofahrer fröhlich im Vorbeifahren – während sein Parkplatz Fläche frisst. Wollen wir wirklich in so einer Gesellschaft leben? Raus aus meinem Revier?

In der Siegfriedstraße im Berliner Bezirk Lichtenberg konnte man Ende des Jahres erleben, was passiert, wenn ein Fahrradweg entstehen soll: 58 Parkplätze sollten für breitere Radwege und Sicherheitspoller weichen, dafür war geplant, dass in der Nähe 35 neue entstehen. Anwohner rannten empört zur Bürgerversammlung. Es gebe schon jetzt zu wenige Parkplätze. Radfahrer würden bei Rot fahren und alles ignorieren, was es zu ignorieren gibt. Ein kleiner Streit als Vorbote kommender Konflikte.

Womöglich liegt auch eine Möglichkeit zur Befreiung darin, wenn weiter die neuen Verkehrsmittel auf Geh- und Radwege gestopft werden – so lange, bis gar nichts mehr geht. Klingt nach Marx’ Verelendungstheorie? Wenn’s schlimmer nicht werden kann, dann werden eines Tages Fußgänger, Fahrradfahrer und E-Scooter-Fahrer gemeinsam die Straßen erobern – angeführt von einem aufrecht stehenden Segway-Fahrer.

Elektro-Tretroller

Anderswo sind sie längst Teil der Stadt, ab diesem Frühjahrsollen die E-Scooter auch bei uns den Verkehr unsicher machen. Gute Idee?

Paris Schon der Name Trottinettes (von Trottoir, Gehweg) deutet darauf hin, wo sie kurven: um die Fußgänger herum. E-Tretroller sind den Parisern zur Plage geworden, schneiden Radlern den Weg ab, rollen auf der Busspur. Andere Verkehrsteilnehmer fühlen sich von den E-Scootern, die man für 15 Cent pro Minute ausleihen kann, überrollt. „Das ist der Wilde Westen“, zitiert Le Monde den stellvertretenden Pariser Bürgermeister Emmanuel Grégoire. Die Unfälle sind 2018 um fast ein Viertel gestiegen. Regeln zum Abstellen der Gefährte gibt es nicht. Die Stadtverwaltung von Paris will nun spezielle Parkplätze dafür schaffen. Die Anbieter sollen, so Vertreter der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo, eine „Charta des guten Benehmens“ unterschreiben. Ärzte fordern außerdem angesichts steigender Unfälle eine Helmpflicht.

Madrid Die selbst ernannte Pionierstadt für Elektrotretroller verbannte diese vom Gehweg. In Madrid wurde – anders als in Deutschland – die Fläche für Autos reduziert, um Platz für Roller zu schaffen. Dennoch gibt es noch große Probleme. Im Herbst vergangenen Jahres entzog die Stadt den Leihroller-Anbietern zeitweise die Lizenzen, weil sich die Nutzer nicht an das Bürgersteigverbot hielten und viele Unfälle verursacht haben. Nachdem im Sommer in der Nähe von Barcelona eine 90-Jährige von einem E-Roller erfasst und tödlich verletzt wurde, verschärfte die Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena die Maßnahmen: Seit Jahresanfang dürfen die Roller nicht mehr auf Bürgersteigen, den meisten Straßen oder den Busspuren benutzt werden. Erlaubt sind sie noch auf Radwegen und zum Teil in Tempo-30-Zonen.

Tel Aviv Sie prägen das Stadtbild: Wer in Tel Aviv vomBirdwatcher(„Tzapar“) spricht, der redet nicht von jemandem, der Vögel beobachtet. Ein „Tzapar“ ist einer, der frühmorgens E-Scooter in der Stadt verteilt, die zum Sharingdienst Bird gehören, der hier sehr populär ist. Roller stehen vor Bürotürmen, Cafés und an Bushaltestellen – wenn man sie überhaupt im Parkmodus findet. Warum sind sie so begehrt? Da ist der milde Winter, wenig Regen und die geringe Fläche der Stadt, in der es 70 Kilometer Radwege gibt. Andererseits der berüchtigte Verkehr und der Sabbath, wo der öffentliche Transport lahm liegt. Tel Aviver (auch solche, die außerhalb leben) fahren mit dem E-Roller zur Arbeit, zur Uni und am Wochenende an den Strand. Die Dienstleistung soll nun auch auf Vororte wie Givatayim und andere Küstenstädte ausgeweitet werden.

Wien Mit einer Verkehrsnovelle werden Klein- und Miniroller in Wien jetzt näher definiert. Sie gelten gesetzlich so wie Skateboards oder Hoverboards als fahrzeugähnliches Spielzeug. Da sie aber nicht zwingend nur von Kindern benutzt werden können, soll der Begriff „Kinderspielzeug“ durch „Spielzeug“ ersetzt werden. E-Roller dürfen von Personen ab 12 Jahren gelenkt werden, fahren dürfen sie damit ab dem 1. Juni auf allen Verkehrsflächen, die auch Fahrräder benutzen dürfen. Prinzipiell ist E-Roller-Fahren auf Gehsteigen und Gehwegen in Zukunft verboten. Rollerfahrer müssen die für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften einhalten, darunter fällt beispielsweise das Handyverbot. Beim Abbiegen muss allerdings kein Handzeichen gegeben werden, denn dafür den Lenker loszulassen, ist gefährlich.

San Francisco Dort, wo der Hype um elektrische Tretroller im September 2017 begann, häufen sich nun Vandalismus und Protest. Die neue Mobilität würde Fußgänger behindern und gefährden, monieren Einwohner. Mangels einer Regulierung sorgten E-Scooter für blockierte Fußgängerwege und Verkehrschaos. Während Behörden noch über Gesetze nachdenken, um E-Scooter zu regulieren, reagieren Anwohner auf eigene Faust: Sie schmeißen Roller in Mülltonnen und Seen, parken sie in Bäumen. Die Leute scheißen drauf – im buchstäblichen Sinne. San Francisco ist im „Scooterkrieg“. Die fehlende Führerscheinpflicht würde ungeübte Fahrer anlocken, die Gefahr brächten. Laut der Verbraucherschutzorganisation wurden seit Ende 2017 in den USA mehr als 1.500 Menschen durch E-Roller-Unfälle verletzt.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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