Gewalt und Massenproteste nicht nur wegen Preiserhöhungen

Kasachstan Obwohl der Auslöser – eine Erhöhung der Kraftstoffpreise – zurückgenommen wurde, weiten sich Proteste in zahlreichen Städten des Landes aus. Es gibt Gewalt und Rücktrittsforderungen gegen die Regierung.

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Auslöser massenhafter Straßenproteste in Kasachstan war vor drei Tagen eine massive Erhöhung der zuvor vom Staat subventionierten Kraftstoffpreise. Doch hinter dem Protest steckt offensichtlich mehr: Die Regierung machte bei der Erhöhung einen Rückzieher – doch die Demonstrationen flauten nicht ab.

Kraftstoffe waren in Kasachstan bis 2020 sehr günstig

Für Mitteleuropäer wirkt der ursprüngliche Protestgrund angesichts des Preisgefüge bei den Kraftstoffen auf den ersten Blick unverständlich. So stieg der Benzinpreis pro Liter zum Jahresbeginn von etwa 60 auf 120 Tenge, die kasachische Währungseinheit. Das sind umgerechnet 12 bzw. 24 Eurocent. Doch das Durchschnittseinkommen im Land beträgt nur etwa 510 Euro pro Monat und im Flächenstaat müssen die Bewohner häufig längere Strecken zurücklegen.

Dass nicht nur bei den Benzinpreisen Unzufriedenheit herrscht, zeigt sich angesichts der Fortsetzung der von den Behörden nicht genehmigten Proteste. Der kasachische Präsident Qasym-Jomart Toqayev kündigte rasch nach Beginn auf Twitter eine komplette Rücknahme der Preiserhöhung an. Weiterhin forderte er laut der Nachrichtenagentur RIA Novosti eine Beendigung vor allem gewaltsamer Proteste und machte den Protestierenden ein Angebot zum Dialog. Er werde sich nicht von der Macht zurück ziehen. Sein Appell verhallte offenbar ungehört.

Rücktrittsforderung gegen autoritäre Regierung

Die Demonstranten fordern jetzt auch einen Rücktritt der Regierung unter Toqayev, vor allem dem hinter ihm stehenden, immer noch mächtigen Vorgänger Nursultan Nasarbajew. Kasachstan wird regiert in einem halbautokratischen System, dem Nasarbajew vom 1991 bis 2019 vorstand. Vor gut zwei Jahren zog er sich formal zurück in die zweite Reihe als Vorsitzender des Sicherheitsrates, spielt jedoch weiterhin eine wichtige Rolle im politischen Gefüge.

Was den Protestierenden neben Kraftstoffpreisen unter den Nägeln brennt, berichtet die russische Onlinezeitung Lenta.ru. Die Demonstrationen richten sich nun auch gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Unzufriedenheit bestünde mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Die Massenproteste hatten sich seit ihrem Beginn am 2.1. auf zahlreiche Großstädte des Landes wie Nur-Sultan, Almaty, Zanaozen, Antobe und Aktau ausgeweitet. Die größte Demonstration wurde dabei in Aktau mit 16.000 Teilnehmern gemeldet, auch in anderen Städten sollen laut lenta.ru bis zu 10.000 Menschen auf der Straße sein.

Gewalt und Störung des Internets durch die Behörden

Die Regionalverwaltung von Aktau wurde von aufgebrachten Menschen gestürmt (dieses Video soll den Sturm zeigen), laut der russischen Onlinezeitung gazeta.ru kam es zu weiteren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Mehrere Hundert Demonstranten wurden dabei verhaftet, darunter bekannte Oppositionelle und einige Journalisten. Lenta.ru berichtet auch von Truppenbewegungen kasachischen Militärs in Richtung Aktau, die von Demonstranten behindert worden seien.

Wie die örtliche Onlinezeitung Vlast schreibt, wurden aufgrund der Proteste mehrere Soziale Netzwerke, die die Protestierenden nutzen – genannt werden Telegram, WhatsApp und Signal – in zahlreichen kasachischen Großstädten am Abend des 4. Januar blockiert. Die beiden landesweiten Netzanbieter Beeline und Kcell berichteten, dass diese Blockade nicht auf ihre Veranlassung geschah. Die lettische Onlinezeitung Meduza berichtet, Kcell hätte eine direkte Netzsperre durch die kasachischen Behörden bestätigt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bernhard Gulka

Politischer Osteuropablogger

https://berndgulka.wordpress.com

Bernhard Gulka

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