Memorial-Verbot: Signal nach Deutschland?

Russland Der Oberste Gerichtshof Russland hat die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ liquidiert und damit ihre bisher legale Arbeit vor Ort unterbunden. Beobachter sehen darin ein Signal und deutsche Unterstützung in Russland nun als schädlich.

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Memorial wurde gegen Ende der Sowjetzeit gegründet, um politische Repressionen in der UdSSR zu dokumentieren. Doch nicht nur geschichtlich war die Organisation tätig, sie engagierte sich auch aktiv für die Wahrung der Menschenrechte im nachsowjetischen Russland. Sie organisierte Programme gegen ethnische Diskriminierungen, für den Schutz von Flüchtlingen und in den letzten Jahren zunehmend von politischen Gefangenen im eigenen Land.

Kritisiert von Offiziellen und Sowjetnostalgikern

Unter die Kritik der russischen Offiziellen geriet Memorial zum einen aufgrund seiner ausländischen Finanzierung, die der Organisation den Status eines „ausländischen Agenten“ einbrachten. Dieser ist verbunden mit einer umfassenden Kennzeichnungs- und Rechenschaftspflicht. Immer schlechter wurde dabei das Verhältnis der russischen Behörden zur Organisation, die im ganz wörtlichen Sinne nationalen Russen und Sowjetnostalgikern als „westlichen Agenten“ galt.

Zum anderen ist sowjetische Vergangenheit für solche traditionsbewusste Russen mitnichten ein „Makel“ in der eigenen Geschichte. Im Gegensatz dazu betrachtet vor allem die große Mehrheit der älteren Russen den Zusammenbruch der UdSSR als bedauernswertes Ereignis - bei einer Umfrage des Lewadazentrums Anfang Dezember fast zwei Drittel der befragten Bevölkerung. Viele pflegen dabei ihre ganz eigene Art der Sowjetnostalgie. Nur unter den jungen Russen ist die Stimmung anders - bei Lewada waren die unter 25jährigen die einzigen, die den Zusammenbruch des Sowjetsystems nicht mehrheitlich negativ sahen. Eine Organisation, die aus der Bewältigung der Schattenseiten der Sowjetepoche hervor geht hat da einen schweren Stand.

Geteiltes Echo und Bestürzung unter Liberalen

So war ein offizieller Grund für das russische Gericht, die Arbeit von Memorial zu stoppen, die Verbreitung eines „falschen Bildes der UdSSR als Terrorstaat“. Mit derselben Begründung hatte bereits das Russische Justizministerium die Auflösung der Organisation befürwortet. Weitere Unterstützer des Verbotsantrags waren Veteranenverbände der Roten Armee. Neben dem vorgeblich falschen Sowjetbild wurde der Antrag mit Verstößen gegen die umfassenden Pflichten als „ausländischer Agent“ begründet. Wie die Zeitung Kommersant berichtet, handelte es sich insbesondere um Streitigkeiten, ob „Memorial“ in seinen eigenen Materialien seinen Agentenstatus ausreichend markiert.

Unter liberalen Russen löste die Auflösung der Organisation Bestürzung und Entsetzen aus. „Was heute passiert ist, ist eine Katastrophe“ stellte die Journalistin Katerina Gordejewa gegenüber dem Radiosender Echo Moskwy fest. Es sei eine Organisation liquidiert worden, die die die „Wahrheit über die Geschichte unseres Landes aus dunklen Archiven herausholt“, um die Rechte der Verschleppten zu schützen. Der bekannte Menschenrechtsanwalt Iwan Pawlow sieht Memorial in seinem Telegram-Account ebenso als Begründer der Ära der Menschenrechte in Russland wie ihr Verbot als deren Ende. Die russischen Behörden demonstrierten, dass sie keine abweichenden Meinungen mehr im öffentlichen Bereich dulden würden.

Memorial als russische Organisation Deutschlands?

Der russische Journalist Maxim Trudoljubow, tätig für die in Lettland beheimatete liberale Onlinezeitung Meduza, sieht auch einen außenpolitischen Hintergrund der Zerschlagung von Memorial. Er meint, in den Augen der russischen Offiziellen sei Memorial wegen seiner Finanzierung so etwas wie die bekannteste russische Organisation Deutschlands gewesen. Russlands aktueller Krieg mit der Außenwelt im Westen sei ein zentraler politischer Mythos - mit dem Verbot eröffne man ein Gefecht mit einem so empfundenen Feind, der der eigenen Herrschaft schaden wolle.

Das sei für das vorangetriebene Verbotsverfahren wichtiger gewesen, als die tatsächlichen Aktivitäten dieser Organisation. Nach seiner Ansicht habe die Popularität von „Memorial“ im Westen den Menschenrechtlicher am Ende entscheidend geschadet. Das Verbot sei eine Antwort auf Druck und Sanktionen aus Deutschland. Tatsächlich wurde Memorial gerade von Kräften wie der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt, die der russischen Regierung besonders kritisch gegenüber stehen.

Memorial kündigte gegen das Verbot den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Dieser verspricht vom voraussichtlichen Ausgang eine gute Aussicht auf Erfolg, ist die Organisation doch in Westeuropa, wo der Sitz des Gerichts ist, hoch angesehen. Bereits der Europarat und das Europäische Parlament hatten den Prozess gegen Memorial mit großer Mehrheit verurteilt. Doch bereits in früheren Fällen hat die Russische Regierung Beschlüsse des Menschenrechts-Gerichtshof nicht umgesetzt, wenn sie nach eigener Auffassung russischem Recht widersprachen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bernhard Gulka

Politischer Osteuropablogger

https://berndgulka.wordpress.com

Bernhard Gulka

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