Homöopathie - ein magisches Ritual?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ist Homöopathie ein medizinisches Ritual, das von an Aberglauben und Magie appellierenden Scharlatanen praktiziert wird? Wer selbst keine Erfahrung als Patient damit hat, ist geneigt, dies zu glauben. Schulmedizinische Therapeuten bezeichnen die Homöopathie als „placebobasierte Psychotherapie.“

Christoph Leusch (alias Columbus) hatte am 13.07.2011 um 17:11 „versucht, zu erklären, wie sehr Behandlungsstandards in der klassischen Medizin und in der Homöopathie, die sich in der Überzeugung, mit einem oder mehreren medikamentösen Mitteln zu heilen oder zu lindern, [sich] nicht wesentlich voneinander unterscheiden, eine Frage der klinischen Empirie sind und es auch weiterhin bleiben. - Die geforderte Kausalität ist meist also keineswegs einfach, Ursache der Krankheit bekannt, Wirkort der Medikaments und Wirkungsweise ebenso, dann tritt Heilung oder doch deutliche Besserung ein.

Wie gering der Anteil der wirklich gut abgesicherten Therapieansätze, gerade bei medikamentösen Therapien, z.B. Mehrfach-Verordnungen ist, und welche Fallzahlen dafür, statistisch betrachtet, untersucht werden müssen um überhaupt einen Erfolg oder eine Überlegenheit zu belegen, das beweisen die vielen Überblicksstudien, die auf große epidemiologische Untersuchungen bei einigermaßen definierten Populationen, z.B. Krankenschwestern, Ärzten, Armeeangehörigen, Veteranen, etc., zur Hypertoniebehandlung, Fettstoffwechseltherapie, Schlaganfallpropylaxe, oder z.B. zur Behandlung einer eingetretenen Herzinsuffizienz aufsetzen.“

Ich möchte ein Beispiel aus der Praxis eines Homöopathen bringen, um deutlich zu machen, was ein Homöopath bei seiner „Repertorisation“ sich denkt.

Denn die Frage "Warum ist es denn falsch, ein Placebo zu geben, wenn wesentliche Bestandteile der modernen Therapeutik nicht besser sind als Placebos?" (Shall I please? Editorial. Lancet II, 1465-1466 (1983)] steht unbeantwortet im Raum. Maimon und Morelli schätzten, dass 35-45% der ausgestellten Rezepte keine spezifische Wirkung auf die Erkrankungen hätten, für die sie verordnet wurden (Clinical Pharmacology. Basic Principles in Therapeutics. Macmillan, New York 1978).

Ein passend ausgesuchtes Homöopathikum hat eine spezifische Wirkung, aus Gründen, die wir rational nicht eindeutig mit den etablierten wissenschaftlichen Verfahren belegen können. Zur Veranschaulichung:

Mittags-Telefonsprechstunde: Anruf einer Patientin, die sich seit einiger Zeit in meiner Behandlung befindet.

Patientin: ,,lch rufe nur an, um mich bei ihnen für ihre bisherige Hilfe zu bedanken.“

Mich beschlich ein ungutes Gefühl. ,,Wie geht es ihnen denn?" ,

,lch stehe hier am offenen Fenster." Längeres Schweigen. Dann heftig ,,lch mache Schluss, ich kann nicht mehr!"

,,Gibt es einen Auslöser dafür, dass es ihnen so schlecht geht?"

,,Das ist alles uninteressant. lch will nicht mehr leben. Geben sie sich keine Mühe."

,,Sie haben mich angerufen und ich gehe davon aus, dass sie mit mir sprechen wollen."

,,Sie können mich nicht umstimmen."

,,Mir ist bewusst, dass ich ihnen nur helfen kann, wenn sie die Hilfe annehmen. - Wie sollte ich sie daran hindern, aus dem Fenster zu springen, wenn sie dazu entschlossen sind? - Die Verantwortung für ihr Leben haben sie selbst. Sie können diese Verantwortung auf niemanden - auch nicht auf mich, delegieren. Diese Verantwortung würde ich auch niemals übernehmen, weil sie zu schwer ist. - Sagen sie mir bitte, warum sie sich bei mir bedanken wollen!"

,,lch glaube, dass sie in der Vergangenheit viel für mich getan haben."

,,Dann bitte ich sie jetzt, etwas für mich zu tun. lch möchte, dass sie mir ihren Zustand genau beschreiben!"

,,ln mir glimmt ein kaltes Feuer, ein Feuer, das sich immer mehr nach innen zusammenzieht, ein kaltes Brennen. Kein warmes Feuer, sondern ein furchtbar kaltes, totes. Alles ist grau und schwarz. Der Himmel, die Häuser, die Straßen. Das kalte Feuer in meinem Bauch ist so unerträglich, dass es nur eine Lösung gibt: lch werde aus dem Fenster springen."

,,lch will ihren Zustand besser verstehen. lst es so, dass sie sich wertlos fühlen? Ungeeignet für diese Welt? Fühlen sie sich gescheitert?"

,,Genau so ist es."

,,Erinnern sie sich an unser Erstinterview? - lch hatte damals die Ahnung, dass sie in einen Zustand von absoluter Schwermut kommen könnten und habe ihnen damals vorsorglich die homöopathische Arznei Aurum metallicum mitgegeben. Bitte lutschen sie jetzt sofort ein Kügelchen nach dem anderen!"

,,Das ist alles sinnlos."

,,lch bitte sie jetzt, Kügelchen zu lutschen!"

,,Von mir aus. Die Kügelchen werden sowieso nicht helfen. lch hänge jetzt ein."

,,Halt! Von einer Beendigung des Telefonats war nicht die Rede. Wir beide bleiben zusammen am Telefon. lch will wissen, wie die Globuli wirken."

Die Patientin begann ein Kügelchen nach dem anderen zu lutschen. lch ermutigte sie immer wieder, mir ihren Zustand genauestens zu beschreiben. Nach ca. einer dreiviertel Stunde wurde ein längeres Schweigen von heftigem Weinen abgelöst. ,,Oh Gott, mir geht es besser. Mir geht es wirklich besser." Um sicher zu gehen, setzte ich das Gespräch noch eine Weile fort. Die Tränen der Patientin, ihr liebevolles Nachdenken über ihre Kinder, ihre Erleichterung über das Nachlassen der akuten depressiven Krise überzeugten mich schließlich.

Nach diesem Gespräch hätte ich an diesem Tag am liebsten die Praxis geschlossen, um mich selbst erst einmal zu erholen. lch habe es mehrfach erlebt, dass nach Gabe einer Hochpotenz von Aurum metallicum für den depressiven Patienten geradezu die Sonne aufgegangen ist. Meine Patientin hatte Aurum metallicum noch niemals zuvor bekommen.

Warum hatte ich ihr Aurum metallicum schon bei dem Erstinterview prophylaktisch mitgegeben? Um dies zu verstehen, müssen wir uns wesentliche Aspekte ihrer Lebensgeschichte ansehen.

Die Patientin hatte in den vergangen Jahren - vor Beginn der homöopathischen Behandlung - des Öfteren etliche Monate in der Psychiatrie verbracht. Für die Patientin stand fest: Die Psychiater haben mir nicht wirklich geholfen. Die Psychopharmaka haben mich immer derart müde gemacht, dass ich kaum im Stande war, meine zwei Kinder zu versorgen. Trotz der Psychopharmaka musste ich immer wieder in die Klinik eingewiesen werden.

Im Erstinterview sprach die Patientin über ihre Kindheit, insbesondere über den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater - ein Missbrauch, der über viele Jahre bestanden hatte und der lediglich von gelegentlichen Gefängnisaufenthalten des kriminellen Vaters unterbrochen war. Die tablettenabhängige Mutter konnte ihre Tochter nicht beschützen. Zu Hause herrschte brutale Gewalt. Es ver ging kaum ein Tag ohne Schläge. Wenn sie den arbeitslosen Vater störte, wurde sie bei jedem Wetter auf die Straße geschickt. Freundinnen nach Hause mitzubringen, war verboten - dass sie selbst Freundinnen besuchte ebenfalls. Voller ängstlicher Anspannung lag meine Patientin abends im Bett und wartete auf ihren Vater. Homöopathisch entspricht diese Resonanzlage einem tiefen Staphisagria-Zustand – unerträgliche Erwartungsspannung - und dies jahrelang! (...)

lm Erstinterview hatte ich die Ebenen der Demütigung, Kränkung, der unterdrückten Wut - Staphisagria - der häufig durchgemachten Verzweiflung - Ignatia - erkennen können. Aber auch die Aurum metallicum- Resonanz war zu erkennen gewesen: Schon als kleines Kind hatte sich die Patientin oft den Tod gewünscht. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass in der Kindheit gebahnte Resonanzebenen später durch aktuelle Lebenskrisen mobilisiert werden. Ein Mensch, der sich schon als Kind den erlösenden Tod gewünscht hat, wird wahrscheinlicher die Resonanzebene von Aurum metallicum entwickeln als ein Mensch, der keinerlei Erfahrung mit dieser Resonanzebene gemacht hat. Es war von Anfang an sehr wahrscheinlich, dass diese Patientin Staphisagria, Ignatia und Aurum metallicum während der Therapie benötigen würde. In Fällen von sexuellem Missbrauch entwickeln sich stets hochpathologische Staphisagria-, Ignatia- und oft auch Aurum metallicum-Resonanzen. Dies war der Grund, weshalb ich meiner Patientin schon in der ersten Sitzung Aurum metallicum mitgegeben hatte.“

Aus: Dr. Ralf Werner: ,,Homöopathie - kräftig geschüttelt - Ein neuer Weg zum Kern der Persönlichkeit", Verlag Grundlagen und Praxis, Wissenschaftlicher Autorenverlag (ISBN 978-3-937 268-31-6)

Wer kann sich vorstellen, dass ein universitätsmedizinisch gebildeter Arzt dieser Patientin in der geschilderten Situation hätte vergleichbar helfen können, und, welche Möglichkeiten hätte er angesichts der Vorgeschichte der Patientin nutzen können?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bertamberg

Xundheit! Salut! o! genese! Aufs Ganze gehen, bei Erkennen & Tun, Diagnose & Therapie. Alles ist vollkommen, "wenn das nötige gemacht ist." (Goethe)

bertamberg