Psychosomatik in der spezialisierten Medizin Teil 2

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Psychoanalyse , ein Auslaufmodell ?

Ich frage dies vor dem Hintergrund der Situation, dass die klassische Psychoanalyse zunehmend in Frage gestellt wird als passende Therapieoption bei Erkrankungen. Freuds historische Bedeutung und die Psychoanalyse an sich heutzutage mitunter eher gering geschätzt (auch wenn anläßlich des 150. Geburtstag seine Bedeutung in vielen Facetten betont wurde).

Dies ist auch daran deutlich geworden, dass in der öffentlichen Diskussion über den Kindesmißbrauch durch Pädagogen und Theologen so gut wie kein Bezug auf psychoanalytische Erkenntnisse dazu genommen wurde. Eine Autorin wie die Psychoanalytikerin Alice Miller, deren zentrales Thema Mißbrauch war, hatte sich gegen Ende ihrer Berufslaufbahn von der Psychoanalyse distanziert, weil sie in der Folge von Freuds Triebtheorie schlimme Kindheitserfahrungen eher verdecke als offenlege und strukturell unfähig sei, die Opferperspektive zu teilen. 1 Arno Widmann formulierte das, was in der Psychoanalyse wieder zu lernen wäre: “Man muss den Mut, die Radikalität haben, die Gesellschaft selbst auf die Couch zu legen.“ 2 und markiert damit das was nicht erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts fehlt.

An der Entwertung der Psychoanalyse als therapeutisch effiziente Therapieform hat Freud auch selbst mitgewirkt, wie Ernst Bloch formulierte:

Der Sexualtrieb kann zur Caritas verfeinert werden, zur Hingebung ans Wohl des Nächsten, schließlich der Menschheit. Höher sublimierte Libido macht die Freude des Künstlers an seinem Schaffen aus, aber auch der Genuß und die (Ersatz-)Befriedigung des Nichtkünstlers am Kunstwerk (...) Der Betrachter oder Miterleber reagiert dergestalt seine Wünsche ab, so dass er kein Leid mehr an ihnen hat. Aber jede „Katharsis“ dieser Art bleibt [nach Freud] vorübergehend, ja scheinhaft. (Hervorhebung durch d.V.) (...) Wie weit und mechanistisch ist hier Freud von Pawlows Einsicht entfernt, dass gerade die höheren psychischen Prozesse (...) auf die affekthaften und die organischen wirken; dass sie keineswegs nur Abhängige, gar an sich wesenlose Ersatzweisen sind.“ 3

Immer noch ist dazu die Kritik virulent, die Erich Fromm schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierte. Im wesentlichen brandmarkte Fromm an der Psychoanalyse, dass sie sich zu einem großen Teil darauf beschränkte, als „Ziel der Therapie (...) dem Betreffenden zu einer besseren Anpassung an die bestehenden Verhältnisse, an die „Realität“, wie man es oft nennt, zu verhelfen. Unter seelische Gesundheit verstand man oft nichts weiter als eine Anpassung oder - anders gesagt – einen seelischen Zustand, bei dem der Einzelne auch nicht unglücklicher ist als die Allgemeinheit. Das wirkliche Problem, nämlich die Einsamkeit und Entfremdung des Menschen und das fehlende produktive Interesse am Leben brauchte bei dieser Art von Psychoanalyse nicht einmal berührt zu werden“. 4

Nach Fromm waren die meisten Patienten Freuds von Symptomen wie psychogenen Kopf­schmer­zen, Wasch­zwängen oder sexueller Impotenz gekennzeichnet, deren Heilung sich „im allgemeinen (...) nicht allzu schwierig“ gestaltete. Fromm selbst konstatierte aus zwanzig Jahren thera­peu­tischer Arbeit, dass ein „neuer Typ von Patient“ vorwiege, nämlich Menschen, „die an keinerlei <Symptomen> im herkömmlichen Sinn (...) leiden, (...) sie sind unglücklich, fühlen sich von ihrer Arbeit unbefriedigt, führen eine unglückliche Ehe und leiden darunter, dass sie im Überfluss leben und doch ohne Freude sind.“ 5

Wenn wir ein halbes Jahrhundert nachdem Fromm diese Beobachtungen niedergeschrieben hatte, die Statistik über die Morbidi­täts­struktur betrachten, fällt auf, dass der Anteil an psychischen Erkrankungen bzw. somatoformen Stör­ungen einen hohen Pro­zentsatz der chronisch Kranken ausmacht. Zwar kann keine Therapiemethode für sich in Anspruch nehmen kann, 100-prozentig bei Jedem geeignet zu sein, doch die Grenzen der Freudschen Psycho­analyse als Therapiemethode und als konkrete Patientenerfahrung werden durch folgende Anekdote in nuce auf den Punkt gebracht:

1www.faz.net/s/Rub5C2BFD49230B472BA96E0B2CF9FAB88C/Doc~E1C725A42FBE54D949742723A0D6467EF~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zugriff Aug. 2010)


2Widmann, Arno: Der Weg ins Freie. Das Frankfurter Sigmund-Freud-Institut feiert seinen 50. Geburtstag. In: FR 24./25. 4. 2010; 66Jg. Nr. 95 S.33


3Bloch (1973), Das Prinzip Hoffnung, suhrkamp Frankfurt/M. S. 62


4Fromm, E.(1981): Jenseits der Illusionen – Die Bedeutung von Marx und Freud, Rowohlt, Rein-bek 1981, S.127


5 ebd.

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Geschrieben von

bertamberg

Xundheit! Salut! o! genese! Aufs Ganze gehen, bei Erkennen & Tun, Diagnose & Therapie. Alles ist vollkommen, "wenn das nötige gemacht ist." (Goethe)

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