Linke Regierungsverantwortung -- bald überflüssig regiert?

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Am 18. September wird in Berlin ein neues Landesparlament gewählt. Die SPD mit Strahlemann Wowereit sonnt sich unangefochten auf dem Platz an der Sonne und wird dort wohl auch bleiben. Betrachtet man sich die Bilanz von 9 Jahren Rot-Rot genauer, so fällt auf, dass die unpopulären Entscheidungen des Senats überwiegend der Linkspartei angekreidet werden. Von 22,4% im Wahljahr 2002 fällt sie auf heute prognostizierte 12%.

Wenn nun allerdings der linke Staatssekretär in der Senatsgesundheitsverwaltung, Benjamin Hoff, fordert, dass die Linke sich in der verbleibenden Zeit des Wahlkampfes auf die Kieze mit einer hohen Stammwählerschaft konzentrieren soll, um diese voll zu mobilisieren, so scheint mir das der falsche Weg.Erst einmal sollte die Linke analysieren, warum ihr die Wähler in Scharen davon laufen. Dass 2002 der Spitzenkandidat Gysi viele Wähler, die sonst nicht links gewählt hätten, zur Stimmabgabe bewogen hat, ist dabei nur ein unwesentlicher Grund. Entscheidender ist, dass die Linke Erwartungen auf eine andere Politik enttäuscht hat. Und damit stellt sich die Frage, was kann eine linke Partei überhaupt in der Regierung erreichen? Hier lohnt ein Blick nach Stuttgart, wo der erklärte S21 Gegner Kretschmann heute als Ministerpräsident seinen Wählern erklären muss, dass das umstrittene Bahnprojekt wohl nur noch durch ein Wunder verhindert werden kann. Dies trifft auf die Linke genauso zu. Linke Regierungsverantwortung bedeutet also auch, im Vorfeld genau und realistisch zu bewerten, was vom eigenen Programm umgesetzt werden kann und wo objektiv die Grenzen liegen. Es bedeutet , den eigenen potentiellen Wählern auch zu sagen, welche ihrer Erwartungen warum unerfüllbar sind, um spätere Enttäuschungen der Wähler zu vermeiden. Wohlgemerkt, das bedeutet nicht, auch Visionen zu definieren und im Wahlkampf für deren Umsetzung zu werben und dafür breite gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren. Doch eben weil der Handlungspielraum auch von Spitzenpolitikern durch viele von ihnen nicht veränderbare Umstände begrenzt ist, müssen gerade linke Mitglieder der Exekutive ein hohes Maß an Ehrlichkeit gegenüber ihren Wählern zeigen. Das bringt am Ende vielleicht weniger Stimmen, doch fördert diese politische Offenheit des Entstehen einer Stammwählerschaft und das Interesse an Politik. Wer kennt heute Politiker, die im Wahlkampf klar sagen, was sie nicht verändern können?

Betrachten wir uns den linken Berliner Spitzenkandidaten, Bürgermeister und Wirtschaftssenator Wolf, einmal etwas genauer. „Für ein soziales Berlin“, wirbt die Linke auch unter dem Plakat mit seinem Konterfei. Wie sozial ist Wolf wirklich? Als Aufsichtsratschef der Berliner Wasserbetriebe ist er in alle Entscheidungen des privatisierten Unternehmens eingebunden. Dass die BWB im letzten Jahr die Preise angehoben hat, was zu teilweise deutlichen Betriebskostennachzahlungen vieler Berliner Mieter in diesem Jahr geführt hat, musste ihm bewusst sein. Auch hat er sich nicht von Beginn an für eine Offenlegung der vertraulichen Verträge des Senats mit den privaten Betreibern eingesetzt. Das Land Berlin verdient außerdem nicht nur durch die erhobene Konzessionsabgabe, sondern auch durch die Gewinnabführung der BWB an die Berliner Landeskasse jedes Jahr Millionen, Geld, was auch die Mieter zahlen. Soziales Berlin, Transparenz-- Fehlanzeige. Dass sich nach der letzen Wahl die Berliner Wirtschaft für einen Verbleib des Wirtschaftsenators im Amt und damit indirekt für eine Fortsetzung von Rot- Rotaussprach, kann Harald Wolf als Ehrung ansehen. Pragmatisch sei er, ein Politiker, mit dem eine gute Zusammenarbeit möglich war, hieß es von führenden Vertretern der Wirtschaft. Der linke Wirtschaftsenator als Liebling der Industrie ist wohl manchem Linke-Wähler doch suspekt. Dass er bürokratische Hürden für die Industrie abbaute, zentrale Anlaufstellen für die Wirtschaft schuf und Kompetenzen in seiner Verwaltung bündelte, weist ihn als Pragmatiker aus. Doch für so manchen links eingestellten Arbeitslosen schuf dies doch keine neue Stelle, und daran messen ihn die Wähler seiner Partei.

Zu Zeiten der großen Koalition bis 2002 gab es in Berlin die Lernmittelfreiheit. Es war die rot-rote Landesregierung, welche einführte, dass alle Eltern, die keine staatlichen Transferleistungen erhalten, 100 Euro pro Schuljahr für den Kauf von Schulbüchern berappen müssen. Begründet wurde dies mit der Haushaltnotlage und Milliarden an Schulden. Diese Entscheidung war damals unter Anhängern der PDS sehr umstritten.

Sicherlich, der öffentliche Beschäftigungssektor wurde auf Druck der Linken eingeführt und später noch ausgeweitet, ein im Preis reduziertes VVB Ticket für sozial Schwache eingeführt. Nur kommen diese Errungenschaften bei der Masse der Bevölkerung nicht an, weil es sie nicht unmittelbar betrifft. Es ist ein Trugschluss, dass der linke Wähler nur sozial schwach ist. Viele linke Wähler stehen im Berufsleben und finanzieren mit ihren Steuern und Abgaben den Staat. Was hat die Linke für diese Bevölkerungsgruppen verbessert?Wie hat sie ihre Möglichkeiten für diese ihre Wähler genutzt?

Dies zu analysieren wird sie, wenn nicht noch ein Wunder passiert, ab dem 19.09. in der Opposition Zeit haben. 9 Jahre Regierungsbeteiligung müssen gründlich aufgearbeitet werden, auch im Hinblick darauf, welche Spielräume eine linke Partei in der Regierungsverantwortung überhaupt hat und wie sie diese effektiv nutzen kann. Dass linke Politik nicht nur Verwaltungbestehender Missstände, sondern auch deren Veränderung mit mutigen und kreativen Ideen ist, dass machen die sich von der Linkspartei abgewendeten Wähler sehr deutlich.

Und Wowereit sonnt sich im Umfragehoch, obwohl seineSPD diese Entwicklung der letzten 9 Jahre maßgeblich mit verantwortet. Doch die Sozialdemokraten profitieren auch davon, dass deren Wähler eine nachhaltige Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse schon lange nicht mehr erwarten. Sollten die Linke – Wähler irgendwann auch so denken, dann hat sich die Linke selber überflüssig regiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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