Neue bunte Politik

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Seit die Grünen 1985 in die hessische Landesregiegung eintraten, wird die deutsche Innenpolitik von einem Lagerdenken dominiert. Dem bürgerlichen Lager aus Union und Liberalen steht das "linke" Lager aus SPD und Grünen gegenüber. Dass 10 Jahre später mit der Tolerierung zweier Minderheitsregierungen in Sachsen-Anhalt und wiederum 3 Jahre später mit der ersten SPD-PDS Koalition in Mecklenburg-Vorpommern dieses Lagerdenken erstmals aufgebrochen wurde, war bundespolitisch nicht relevant. Mit jeweils nur etwas mehr als zwei Millionen Einwohnern waren beide Länder nicht bedeutsam genug.
Bewegung kam erst 2008 in diese festgefügten Fronten, als in Hamburg ein CDU-Grüner Senat gebildet wurde.
Im letzten Jahr verschoben sich nach den Wahlen in Baden-Würtemberg auch im Rot-Grünen Lager die Relationen, als die SPD zum ersten Mal die Rolle eines Juniorpartners der Grünen annehmen musste
Und im Saarland wurde die erste Landesregierung gebildet, in der Grüne und Liberale gemeinsam am Kabinettstisch saßen.
Dass die Regierungen in Hamburg und an der Saar beide vor Ablauf der Legislaturperiode zerbrachen, bedeutet nicht, dass es zwangsläufig wieder zurück in das alte Lagerdenken gehen muss. Es waren Versuche, aus denen alle Beteiligten gelernt haben.
In Kiel wird nun die Daueroppositionspartei SSW erstmals in eine Landesregierung eintreten und damit für ein Novum sorgen.
Und noch eine Entwicklung wird einen Rückfall in das starre Muster der Lager verhindern. Die Piraten entwickeln sich zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft, sie sitzen inzwischen in vier Landtagen. Allein durch ihre Präsenz verhindern sie absolute Mehrheiten der bisherigen Blöcke.
Torge Schmidt, der parlamentarische Geschäftsführer der Piratenfraktion im Kieler Landtag, ist ein pragmatischer Mann. Ihn würde es auch nicht stören, wenn seine Partei nur ein vorübergehendes Phänomen wäre, wichtig ist nur, dass sie Inhalte auf die parlamentarische Bühne bringt, die für die anderen Parteien irrelevant sind.
Und diese Einstellung hat der Jungpolitiker nicht allein. Die Piraten führen die Bedeutung politischer Parteien zu ihren Wurzeln zurück, nämlich Interessenvertreter ihrer Wähler zu sein. Back to the roots, keine Gier nach Ministerposten nebst aller Privilegien, nein, harte, ehrliche Arbeit für diejenigen, mit deren Stimmen sie auf die Parlamentsbänke gewählt wurden.
Bei einem real existierenden 6-Parteien-System, auch die Linke darf nicht abgeschrieben werden, sind absolute Mehrheiten für zwei Parteien kaum noch realisierbar. Und für eine lebendige Demokratie, für das Ringen um die beste Sachlösung sind Mehrparteienregierungen nun wahrlich nicht die schlechteste Konstellation. Das alte Lagerdenken hat mehr als 20 Jahre die, nicht nur parlamentarische, Demokratie gelähmt. Erinnert sei nur an die von Lafontaine verordnete Blockierung der Bundesregierung im Bundesrat in der zweiten Hälfte der 90-er.
Diese neue, bunte Politik existiert im Moment nur legislativ. Nur bietet sie auch Optionen für ihre Umsetzung in der Exekutive.
Und das würde einem innenpolitisch immer noch im alten Denken verhafteten Deutschland nur gut tun.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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