Eine progressive Linke gegen den Rechtsruck

Progressive Politik Milliarden Menschen sind 2024 zur Wahl aufgerufen und könnten sich laut Umfragen für einen globalen Rechtsruck und die Bestätigung eines autoritären Status Quo entscheiden. Dagegen braucht es starke linke Kräfte.

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Von den Vereinigten Staaten und der Europa-Wahl über Landes- und Kommunalwahlen in Deutschland bis zu den Wahlen in Russland, in Indien und der Türkei: Es droht eine beispiellose Rückabwicklung gesellschaftlicher Fortschritte. Was wir deshalb brauchen, ist ein progressiver Aufbruch zu deren Verteidigung.

Momentan beherrschen diffuse Wut und Enttäuschung den politischen Diskurs. Was auch immer schlecht sei, sei allein Ergebnis der jüngsten Regierungspolitik. Dabei ist die Ampelkoalition seit gerade einmal zwei Jahren im Amt. Zudem richtet sich die Stimmung vor allem gegen die Grünen, die seit 2005 nicht mehr in der Regierung vertreten waren. FDP und SPD kommen dabei deutlich besser weg. Um Missverständnisse zu vermeiden: Die aktuelle Regierungspolitik hat enorme Defizite. Doch die Ampel für die Fehler der Vergangenheit verantwortlich zu machen, ergibt keinen Sinn.

Vielen, insbesondere rechten Kreisen, geht es vor allem um die praktische Feindbildpflege. Konservative spielen dieses Spiel zum Teil mit und werben damit doch vor allem für radikale rückschrittliche Kräfte wie die AfD und das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht. Wohin die Legitimierung von Sprache und Positionen solcher Parteien führen kann, haben die jüngsten Berichte des Recherchezentrums Correctiv gezeigt. Immer offener diskutieren rechtsradikale Kreise in Europa wieder Deportationsfantasien. Und soziale Errungenschaften sind erheblich bedroht. Auch den letzten sollte klar geworden sein, dass die so genannte AfD nicht ein Auffangbecken für konservative Unions-Wähler:innen ist. Es sind Menschen, die zumindest billigend in Kauf nehmen, dass eine Partei Macht erhält, deren Mitglieder deutlich gemacht haben, dass sie sich gegen die Verfassung und die darin garantierten Grundrechte richten.

Rechte Alternativen gibt es viele

Trotzdem erklären immer noch einige, dass vermeintlich konservativ eingestellte Wähler:innen keine andere Möglichkeit hätten als die AfD zu wählen. Nicht nur, dass die entsprechenden Advokat:innen nicht genau erklären, wo ihrer Ansicht nach dann die Trennlinie oder auch die Brandmauer zwischen Konservativen und Rechtsradikalen liegt.

Sie lassen auch unerwähnt, dass sich rechts der Mitte mittlerweile ein halbes Dutzend an konservativen bis rechtsradikalen Parteien oder Parteigründungen findet. Gegen die Ampel und darüber hinaus positionieren sich aktuell die FDP, die Union, die Freien Wähler, die Werteunion, das BSW und die AfD. Dass die FDP Teil der aktuellen Regierung ist: Geschenkt. Die wahre Repräsentationslücke im bundesrepublikanischen Parteienspektrum liegt jedenfalls nicht rechts.

Zusammenhalt und Zuversicht

Viel mehr fehlt eine Partei, deren Mitglieder sich unzweifelhaft eindeutig gegen völkerrechtswidrige Kriege und alle Autokratien stellen und trotzdem in der Aufrüstung nicht die finale Lösung sehen. Eine Partei für die wirklich Benachteiligten. Eine Partei, die einen realistischen Leistungsbegriff entwickelt, wenn das schon unbedingt eine Kategorie unseres sozialen Miteinanders sein soll. In der Pandemie haben wir entsprechende Ansätze diskutiert. Damals ist deutlich geworden, dass Leistungsträger:innen unter anderem in Schulen und Krankenhäusern sitzen. In all den Berufen, wo Menschen sich von Angesicht zu Angesicht begegnen.

Viele Menschen tragen schwer auf ihren Schultern. Für diese Menschen braucht es eine Partei, die vor der Zukunft nicht auch noch Angst schürt, sondern endlich wieder Zuversicht vermittelt. Der drohenden Klimakatastrophe können wir nicht durch Abschottung und auch nicht durch Angst begegnen. Die Bildungskrise lösen wir nicht durch schärfere Selektion und erst recht nicht durch mehr Privatschulen. Und die Überwindung von Energiekrisen gelingt nur kooperativ. Zusammenhalt und Zuversicht sind die Eckpfeiler des politischen Koordinatensystems einer progressiven Linken.

Es gibt Parteien, die eigentlich zu all dem fähig wären. Darauf deutet die Unzufriedenheit der jungen Grünen ebenso hin wie der Wandel in der Linkspartei, seit Sahra Wagenknecht nicht mehr da ist. Noch wirken allerdings auch solche Kräfte, für die ein bisschen Abschiebung im großen Stil, ein bisschen Klimaschaden, ein bisschen Autokratie tolerierbar scheinen.

Mehr als Optimismus

Die Zuversicht einer progressiven Linken wäre mehr als der reine Optimismus. Sie wäre die Überzeugung, dass wir gemeinsam Möglichkeiten finden, rechtsradikalem Treiben in der Gesellschaft genauso ein Ende zu setzen wie der globalen Ausbreitung von Autokratien. Das erfordert massiven Einsatz dafür, dass die Überprivilegierten dieser Welt endlich Verantwortung übernehmen. Dies gelingt nur durch intensiven Einsatz für echte internationale Kooperationen auf Augenhöhe, insbesondere mit dem globale Süden, doch insgesamt weltweit. Nur so ist es möglich, Recht global und wirksam durchzusetzen und eine Wirtschaftspolitik zu entwickeln, von der wirklich die Bevölkerungen auf allen Kontinenten profitieren.

In Deutschland müssten dafür alle progressiven Linken, die mit entwicklungsfähigen Parteien sympathisieren oder Mitglieder darin sind, vor allem den folgenden Wandel einfordern und befördern: Erstens sind die Zeiten endgültig vorbei, in denen vor allem Parteien und traditionelle Medien die öffentlichen Diskurse dominieren. Längst gibt es eine Vielfalt an unterschiedlichen Medienformen. Und selbstorganisierte Bündnisse, NGOs und Vereine tragen das politisch-soziale Leben und den Zusammenhalt vor Ort genauso wie den antifaschistischen Widerstand. Viele Menschen, die sich dort engagieren, bringen sich schon heute in den Parteien ein. Deshalb sollten wir Parteien wieder als Organisationen begreifen, mit denen wir kollektive Ideen und Einigungen binden und zu geltendem Recht werden lassen. Die besten Ideen kommen von unten, nicht mehr von oben, falls das jemals der Fall war.

Zweitens muss in diesem Zusammenhang das, was heute oft politische Deklamation ist, aktivem Zuhören weichen. Politiker:innen stellen sich immer noch viel zu häufig vor ein Publikum und tun so als hätten sie die Lösung für alle Probleme. Kinderlose Menschen mit sechsstelligem Jahreseinkommen vermitteln, sie hätten die Lösungen für die Probleme von Pflegekräften, von Erwerbslosen und von Eltern. Ein plakatives Beispiel, in der Tat. Doch die persönliche Erfahrung der Menschen ist politisch und sie muss politisch wirksam werden. Das geht nur vor Ort und mit offenen Parteistrukturen.

Während Verantwortliche in der Bundespolitik schon viel zu lange auf diejenigen hören, die am lautesten nach oben wüten, brauchen wir effektiv einen Kanal zwischen jenen da oben und dem Alltag der Menschen. Im Kommunalwahljahr 2024, in dem zugleich auch etliche andere Wahlen stattfinden, ist das eigentlich nicht zu viel verlangt. Und dafür müssen die Menschen echte Gestaltungsmacht vor ihrer eigenen Haustür bekommen und Selbstwirksamkeit erfahren. Auch ohne Traktoren und Millionen-Demonstrationen. Nur eine progressive linke Partei kann diesen Gestaltungsraum schaffen, weil es den progressiven Kräften in der Gesellschaft immer schon um das Miteinander der Vielen ging.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bjørn Knutzen

Redakteur

progressiv und solidarisch

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