Einsame Gestalten, die sich mit Red Bull aufputschen, schrille Typen und Tussis, die unentwegt labern und über ihr Gelaber sinnieren. Sie alle sind dem Wahnsinn nahe und wissen kaum, wo sie sich gerade aufhalten. Wie auch? Schließlich befinden sie sich alle in den geschlossenen Räumen eines dunklen Theaterparcours. Mit der Außenspielstätte Depot, einer ehemaligen Industriehalle, hat der Intendant des Schauspiels Köln und Regisseur Stefan Bachmann ein passendes Arrangement für die deutsche Erstaufführung von Elfriede Jelineks Schwarzwasser gewählt. Besucher in Kleingruppen begehen nun die durch Corona wochenlang leergefegten Räume, in denen sich Skurriles, Obszönes und – wie immer in den Suaden der Literaturnobelpreisträgerin – politisch Brisantes ereignet. In diesem Fall bildet der Skandal um die Ibiza-Affäre des ehemaligen Ministers und FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache das thematische Zentrum der jeweils zehnminütigen Einzelszenen und Monologe. Die Figuren stimmen in dessen Schunkellaune mit Rechtsdrall ein, ergehen sich in dessen nationalistischem Pathos. Auch die Kulissen werden von dem Populisten dominiert. Erblickt man in einem dunklen Flur ein Schild mit der Aufschrift „Team Strache – Allianz für Österreich “, laufen darunter die Waschmaschinen. Es gilt die Devise: Reinemachen. Schwarz- oder auch Abwasser soll wieder klar werden. In einem Raum voller Monitore mit Konterfeis der SchauspielerInnen hören wir mehrere Stimmen, die gegen Geflüchtete gerichtet sind. Ausrufe wie „alle kommen“, „die Straße gehört uns“, „sie sollten längst weg sein“, „hinter uns stehen mehr“ und „wir sind die einzig Rechtmäßigen dieses Volkes“ – das feindliche Geschwätz mitten aus dem Volk weiß Jelinek wie gewohnt ad absurdum zu deklinieren.
Damit die Groteske gelingt, begegnen uns die so komischen wie bemitleidenswerten Figuren des Abends in verfremdeten Settings. Einmal bewegt sich ein Mann – fabelhaft gespielt von Peter Knaack – in einer fahrbaren Eisenwanne durch den Raum und ermutigt uns zum Mitfeiern in dieser munteren Saufcombo, kurz danach treffen wir in der barrierefreien Toilette auf eine Gestalt (Jürgen Ratjen) in Badeanzug und mit Jelinekfrisur. Zum einen reflektiert die hier selbstironisch die Position der Autorin, die von sich sagt, stets „auf die zu zeigen, die mir auf den Zeiger“ gehen, zum anderen vermittelt sie Jelineks Sprachästhetik. Ein Beispiel: Nachdem wir uns alle für unsere Teilnahme an „Kundgebungen“ auf die Schulter geklopft hätten, seien wir später doch wieder nur „Kunden“ gewesen. Was in solcherlei Verwirrspielen mit Wortstämmen zum Ausdruck kommt, ist (unter anderem) unsere Doppelmoral, es wäre ja auch zu plakativ, käme das Publikum als brave Zuschauer gut weg. „Wir“, so der implizite Vorwurf, tun so, als wären wir gesellschaftlich engagiert, und verbleiben doch nur in der Denklogik der Konsum- und Ausbeutungsgesellschaft.
Dass die deutsche Erstaufführung überzeugt, verdankt man der Kombination aus guter Textvorlage und Regie. Stefan Bachmann kürzt den unendlichen Wort- und Kalauerreigen und arbeitet konzentriert jene Brandherde heraus, deren buchstäbliche Flammen sich bis ins Heute ausbreiten. Schwarzwasser mutet plötzlich wie ein Begleitkommentar zu Moria an und geht doch weit darüber hinaus (oder in dunkle Zeiten zurück). Immer wieder stehen Jelineks klassische Gegensatzmuster im Vordergrund: Arm gegen Reich, Täter gegen Opfer, die Mehrheit gegen die Minderheit, Kapital gegen Moral. Dass das vielschichtige Stück anders als ursprünglich geplant als Parcours zu sehen ist, tut dem Stück sogar gut, wenn all diese zerrissenen Figuren „wie Gestrandete anmuten“, so der Regisseur. „Sie halten uns ständig zu Perspektivwechseln an, zu denen ja Corona auch die Gesellschaft gezwungen hat.“
Verblendung schafft Wahrheit
Entstanden ist daraus ein Theater auch über die Erfahrung von Verlust. Im Telefonat sagt Bachmann: „Für mich wirken die einzelnen Szenen im Nachhinein wie Fragmente einer untergegangenen Inszenierung“, mit der mehrere reale Untergänge einhergehen. Nicht nur das Theater führt vor grauer Fabrikkulisse seinen Nullpunkt unter Corona-Hygienebedingungen vor Augen. Jelineks Welt ist (sprachlich) entstellt, der Mensch kann das alles nur mit Klamauk ertragen. Eine Szene am Strand zeigt uns diese Welt der Lügen und Verbrechen. Im Planschbecken verrät uns ein Spieler das Prinzip der Umkehr in der Epoche von Relativierung und Fakes: „Eine Verblendung schafft die Wahrheit“. Nötig ist dazu nur das Wasser, das Leitmotiv des Textes. Es vermag Dinge aufzulösen und wegzuwischen und steht für die Überwindung der Grenzen des Sagbaren, für die Tabubrüche „neuer Patrioten“, die „ihr Vaterland hinter sich herschleppen wie eine Nachgeburt.“
Obgleich den BesucherInnen des Abends all die Anspielungen auf das unmittelbare Hier und Heute bewusst werden, vermeidet Bachmann gleichzeitig allzu plumpe Direktbezüge, (auch wenn es am Ende überall nach Red Bull riecht). Die entgrenzten Figuren, die rasend über dem Abgrund tanzen, sorgen für Distanz zum Jetzt. Kurzum, er verhilft Schwarzwasser, dieser dramatischen Ausgeburt von Weltzorn und Weltschmerz, zu zeitloser Aussagekraft, mithin einer Beklemmung ohne absehbares Ende.
Info
Schwarzwasser Elfriede Jelinek Stefan Bachmann (Regie), Schauspiel Köln, weitere Aufführungen: 8. und 14. Oktober
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