Es herrscht Kindergeburtstagsstimmung im Frankfurter Zoogesellschaftshaus. Mädchen und Jungen tollen zwischen gigantischen, aufgeblasenen Tieren zu drolliger Musik umher. Und hoppla, aus der seitlich liegenden Sau mit übergroßen Zitzen kullern auf einmal Schweinchen mit fröhlichen Gesichtern heraus. Dass unter diesen Plastikkostümen menschliche Darsteller:innen stecken, scheint hier niemanden zu interessieren. Hauptsache, die Vierbeiner spielen Ball und tanzen mit den unbedarften Besucher:innen, die hier in der Großstadt erfahren dürfen, wie echter Bauernhof so geht. Dazu gehört natürlich auch ein Käfer, der mit einem überdimensionalen Scheißhaufen aufgeblasene Kotwürste – unter frenetischen Freudenrufen – ins Pub
Publikum werfen wird.An dieser Stelle der Performance Super Farm der japanischen Künstlerin Saeborg mögen sich manche fragen: Ist nun das Theater gaga oder die Gesellschaft, die es abzubilden sucht?Hier stimmt vielleicht beides. Letzteres, weil die Gesellschaft exakt jenes Bild der idyllischen Landwirtschaft mit glücklichen Tieren vor sich herträumt und gleichzeitig die grauenhaften Zustände in den Schlachtfabriken akzeptiert, und ersteres, weil die Performance in ein allzu dümmliches Happy End mit Kinderdisco mündet – nach einem ansonsten brillanten und tragischen Wendepunkt. Denn nachdem die erste Tanzrunde vorbei war, erschien zuerst die an eine Playmobilfigur erinnernde Bäuerin mit allerlei Gerät. Ein Schaf wurde geschoren, allgemeines Gekicher, eine Kuh mit einer Melkmaschine bearbeitet, allgemeines Gekicher. Und das Schwein? Ihm wurde bei dissonanter Klangkulisse ein Stück (Latex-)Fleisch herausgeschnitten, sodass die übrigen Tiere sich um den zumindest kurz sterbenden Gefährten versammeln und ihn umarmen. Diese Zumutung ist genial und selbstbewusst. Nur warum ließ Saeborg ihre Performance nicht mit dieser mutigen Szene enden?Immerhin, ihr Werk stellt beim Festival Theater der Welt, das dieses Jahr die Städte Frankfurt am Main und Offenbach gemeinsam austrugen, keinen Einzelfall dar. Immer wieder stehen Tiere (und die Beziehung des Menschen zu ihnen) im Zentrum. So folgt Hsu Che-Yu in The Zoo Hypothesis den Spuren mehrerer Tiere durch die Geschichte von Krieg und Gewalt, zeigt, wie sie in Zoos in Deutschland und Taiwan landeten. Während seiner Lesung im Mousonturm (leider recht ausgrenzend: nur auf Englisch) wird ein präparierter Kaninchenkadaver gezeigt, scheinbar belebt durch eine spielende Hand. Dass das Kaninchen abseits seiner Funktion als Labortier einmal eine Geschichte hatte, wird nur durch die Worte des Autors deutlich. Zumindest in der Sprache wird der kurzen Geschichte des Nagers gedacht und ihr ein würdiger Platz eingeräumt.Denn ja, die Bühnenkunst dient auf diesem Festival der globalen und insbesondere asiatischen Avantgarde auch dem Erinnern, mithin der Entdeckung verborgener menschlicher Seelenbilder. Wie sehr sie an das Unbewusste und unser Unbehagen anknüpfen, lässt sich in Ho Tzu Nyens Installation Night March of Hundred Monsters beobachten. Auf einer überdimensionalen Leinwand findet im Bockenheimer Depot zunächst ein Defilee japanischer Geisterwesen statt. Schleimmonster und Löwen mit Schlangenschwanz oder der berüchtigte „Feuerradmönch“ geben sich ein absonderliches, furchteinflößendes Stelldichein. Vom Albtraum geht es sodann in die historische Wirklichkeit. Nunmehr lernen wir – ebenso im Zeichentrickformat mit durchscheinenden Filmaufnahmen von einer zweiten Leinwand – eine einstige Ausbildungsstätte für Spione kennen. Abgeschlossen wird die Präsentation mit einem höchst spannenden Film über die asiatische Geschichte des Tigers. Vom gejagten Tier wurde er zur Ikone der Täter. Beispielsweise erhielt der japanische Kriegsverbrecher Yamashita Tomoyuki den Beinamen „Tiger von Malaya“. Zudem soll ein Funkspruch beim Angriff auf Pearl Harbor 1941 „Tora, Tora, Tora“, also „Tiger, Tiger, Tiger“ gelautet haben. Mithilfe von Überblendungen macht die Installation Kontinuitäten der Monster gewordenen Menschen bis in die Gegenwart sichtbar.Die flüchtigste Kunstform, das Theater, als Ort des Archivs? Genau diesen Spagat will das Festival meistern. Es vergegenwärtigt die jüngeren Irrläufe der Menschheit sowie ihren blinden Glauben an einen Erneuerungsfortschritt, der sich bei genauerem Hinsehen oft als Rückfall in archaische Strukturen aus Brutalität und Unterdrückung erweist. Sowohl gegenüber anderen Menschen als auch gegenüber Tieren.Nur eines muss man gezielt suchen: echtes Spiel, basierend auf Narration und Dialog. Wo sind sie, die Konflikte und Abstürze auf dem Parkett? Wo sind zwischen Lesungen, virtuellen Gefilden und hippen Performances all die tragischen und grotesken Helden? Wo ist die Kunst des Schauspiels?Zumindest die Eröffnungspremiere, die sehr lose an Euripides Vorbild angelehnte Inszenierung Die Bakchen. Holstein-Kühe unter der Regie von Satoko Ichihara zieht alle Register, die die Bühne ermöglicht. Angetrieben von dem Wunsch nach Begehren, Sex und weiblicher Selbstermächtigung versorgt sich darin eine Kuhbesamerin mit dänischem Super-Sperma, das sie einer Wiederkäuerin gibt. Das Ergebnis: Das nett, aber ausdruckslos eingerichtete Wohnzimmer der Protagonistin wird bald von einem Kentauren mit Riesenpenis bewohnt. Er konsumiert Pornos wie Babybrei und spritzt ganze Spermaladungen auf die Bühne. Derweil intoniert ein Chor Loblieder auf Kuh- und Muttermilch.Klar ist, dass in dieser durchgeknallten, schrillen Aufführung nichts mehr nur halbwegs einer Ordnung zu folgen scheint. Ob Sex und Blödsinn, Ethik und Groteske, abstruse Zeugungsfantasien und antike Mythen, Queerness und veraltete Geschlechterstereotype – dieses opernhafte Spektakel vermengt allerlei Diskursfragmente der Gegenwart und bricht mit Geschlechter- und Aufführungstraditionen. Worum geht es? Um die hypersexualisierte Öffentlichkeit? Um weibliche Emanzipation in einer patriarchalen, ostasiatischen Gesellschaft? Wieder um eine Kritik am eindimensionalen und von Machtmissbrauch gezeichneten menschlichen Verständnis der Tiere? Alles zusammen, wäre wohl die zutreffende Antwort. Dass es hier infernalisch gute Unterhaltung zu sehen gibt, täuscht allerdings nicht über den Leerlauf der knapp zweieinhalbstündigen Aufführung hinaus. Die Gespräche drehen sich im Kreis, und die schier unglaubliche Menge an vermeintlichen Tabubrüchen trägt schlussendlich nur dazu bei, dass sie ihren irritierenden Effekt verlieren.Das Schambehaftete wird also normalisiert. Dieser Übergang wohnt dem Festival als Grundbewegung inne. In zumeist experimentellen Arrangements richtet es den Fokus auf das Fremde und Unbekannte, im Menschen und vor seinen Augen. In einer westlichen Welt, die zunehmend von Abschottung und Hass geprägt ist, vermag uns dieses Theater noch einiges zu lehren – vor allem einen offeneren Umgang mit Ängsten.