Vom Andocken und Ausklinken

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Eigentlich wollten wir hier nichts abliefern, was am gefühlten Ende eines Sommers als „Mein abenteuerlichstes Erlebnis“ brav und doch engagiert genug klingt, um es säuberlich in ein liniertes DIN-Heft zu schreiben… Aber beim gegenseitigen Austauschen, worum es in einem solchen Beitrag gehen könnte, gewannen etliche charmante Episoden immer wieder Oberwasser. Weswegen wir sie hier an den Anfang setzen – als leichte Appetizer sozusagen – um dann doch auch (weiter unten) noch die etwas ernsthafteren Überlegungen bezüglich unseres Kunstwollens vor Ort loszuwerden – gespeist zu einem nicht unerheblichen Teil von einem kulinarisch-diskursiven Event namens TEMPOKAL, von dem an dieser Stelle ja bereits die Rede war...

Aber der Reihe nach: Freilich hat man einiges an Erwartungen geschultert, wenn man sich zu einem so speziellen Ort wie dem MS Dockville aufmacht. Und bis man letztlich nach 15 Stunden Zugfahrt und ungewissem Fußmarsch seinen Rucksack in der Lobby eines ausrangierten Chemiegebäudes abstellt: temporär verkabelt, mit WC-Container und kreativen Möglichkeiten für den gemeinschaftlichen Abwasch. Und bis man dort auf eine bunte Meute an Arbeitswütigen trifft, deren Rollen und Funktionen innerhalb des Festivals teils erst im Laufe der Zeit, die wir mit ihnen leben, essen, arbeiten und feiern, deutlich werden.

Eine schräge Community und ihre Vision – beide scheinen permanent über sich hinauszuwachsen. Wenn sie sich tagsüber mit unzähligen Helfern stärkt, die zwei Tage für ein Ticket hier mitmachen, hat es oft den Anschein, die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut – auch weil so manches Vorhaben sich für den Außenstehenden auf den ersten, unvollständigen Blick nicht gleich erschließt. Doch fügt sich am Ende alles zu einem gemeinsamen Ganzen. Und zwischendurch bietet sich immer wieder auch Gelegenheit zum Schmunzeln: etwa wenn – ganz wirr vom Zeitdruck – die geschundenen Handwerker morgens mit vereinten Kräften (und verbundenen Daumen) die Tür zur Werkzeugkammer aufbrechen müssen, weil der Schlüssel im Durcheinander verlorengegangen ist... Und wenn sie es dann nach „Feierabend“ nur mehr bis auf die Couch im Aufenthaltsraum schaffen.

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Unsere Arbeit am NONEVENTEVENTMONUMENT haben wir wohl in einem Stadium „abgebrochen“, der für viele unverständlich war: Seid ihr schon fertig? Kommt da jetzt noch eine Plane dran? fragte man sich und uns in den nächsten Tagen. Nein? Den wunden Punkt traf da wohl eher die Frage: Was kann das? Denn uns wurde gerade während des Aufbaus vor Ort immer mehr bewusst, dass unser Vorhaben im Rahmen des späteren Festivals sehr viel mehr leistet, als alle Versprechungen hinsichtlich attraktiver Raumgrammatik und symbolischer Dekonstruktion, um die unsere Überlegungen im Vorfeld vorwiegend kreisten: hier wird innerhalb der Festivalsause und der dazugehörigen Vermarktungsstrategien, die ihren Standpunkt legitimieren, indem sie ihn bezahlen, so etwas wie ein demokratischer Freiraum offengehalten, der keine Widmung, keine Nutzungsvorschrift, keine vorgegebenen Möglichkeiten bereithält, ein Karree zwischen Food Court und Dixie-Klo-Meile, das sich lediglich über seine durchlässige Begrenzung definiert und über eine gewisse Flüchtigkeit in seiner unbestimmten Haltbarkeit.

Und so waren es auf theoretischer Ebene gerade diese Überlegungen zur Flüchtigkeit, die im Rahmen des Symposiums TEMPOKAL aufkeimten und die wir vom Dockville für uns mitnehmen: Dass Flüchtigkeit vor allem eine Frage des Maßstabes ist – dehnt man den Zeitbegriff, werden selbst jahrhundertalte Monumente zu Flüchtigkeiten in der Zeit. Und während das Temporäre einen geplanten Zeitraum zu beinhalten scheint, manifestiert sich wahre Flüchtigkeit als ungeplantes Ereignis. Was sie wiederum zur Metapher des Lebens (und des ungewissen Zeitpunkts des eigenen Todes) werden lässt. So wir sie wahrnehmen, ist sie nämlich nie unsere eigene: solange wir leben, sterben immer die anderen.

Religion hatte lange Zeit das Monopol dieser Flüchtigkeit ein Tröstungsszenario entgegenzusetzen (etwa in Form eines unendlichen Lebens nach dem Tode). Dass uns mit dem Glauben letztlich auch diese Versprechungen abhandenkommen, führt zur radikalen Hinwendung zum persönlichen Leben, das möglichst intensiv gelebt sein will: In drei Wochen Urlaub rund um die Welt und 60 Bands an nur einem Wochenende. Und zur Tendenz es möglichst lückenlos zu konservieren: vom ersten Babygeschrei auf Video, der stets betriebsbereiten Handykamera in der Hosentasche, über lückenlose Facebook-Einträge, die zu löschen man sich nicht mehr durchringen kann.

Das Leben eine einzige Bewegung, ja ein Bewegtsein wider das Vergessen, das sich in der Tendenz zur möglichst permanenten Manifestation ausdrückt. So ist man auch quer durch alle Kunstrichtungen mit der Erzeugung von Monumenten beschäftigt, im Festhalten von Geschichten, Bildern, Eindrücken und Aussagen. Und tritt auf dem Stand, solange man die Chancen der Flüchtigkeit nicht akzeptiert.

Text von zweintopf (Eva Pichler und Gerhard Pichler)
www.zweintopf.net

Das MS DOCKVILLE FESTIVAL und der Freitag sind Medienpartner.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Blogville

MS ARTVILLE 2015. Am Bau unserer Kunststadt sind KünstlerInnen und Kollektive aus der ganzen Welt beteiligt.

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