Ein glücklicher Tag im Weltkrieg

der Freitag 16. Ausgabe Ein glücklicher Nachmittag

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Heute kam die Post früh. Früh deshalb, weil nicht erst um halb fünf am Nachmittag. Schon kurz nach 14:45 Uhr lag DER FREITAG vor der Tür. 14-45 dauerte nach mancher Auffassung der 1. Weltkrieg. 31 Jahre, ein wenig länger als der 30jährige Krieg.

Ich schnappte mir die Zeitung und lief ums Eck zur Italienerin, holte mir am Tresen einen Milchkaffee und setzte mich vor die Bar. Es war gerade so warm genug, dass ich nicht fror. Ich las den Freitag. Gute Zeitung! Lektüre und Nachdenken zwei Stunden lang. Zwischendurch noch einen Cappuccino, zwei Zigaretten geraucht und zufrieden in den Tag geguckt.

Meine Gedanken streiften den Putin-Lakai, der sich sein neues Dasein vermutlich auch anders vorgestellt hat, als er seinen Amtseid ohne Sakralformel ableistete. Ein unwesentliches Detail, aber kann man mal drüber nachdenken. Der sinkende Kampfstern Lauterbach, geschenkt. Und so ging es Seite für Seite weiter. Einer meiner Lieblingsamerikaner taucht auf, Kurt Vonnegut. Und ich erinnere mich, es gibt auch gute Amerikanerinnen, nicht nur gute Russinnen, deren Literatur ich die Jahre her immer vorzog. Ich stellte mir die Frage, wie ich mit dem Klimawandel umgehe, wie sehr ich ihn verleugne, schon aus lauter Angst um das Schicksal meiner Enkelkinder. Sehr gefallen hat mir die Schlagzeile „Scholz und Vorurteil“. Sehr treffend, dein Chef soll dich anständig behandeln, ob er dich anständig bezahlt, egal! Bringt die Crux moderner sozialdemokratischer Politik auf den Punkt, finde ich. Wem Russland gehört und wie es dazu kam, erklärt Catherin Belton, deren Buch zurecht empfohlen wird und die ganz folgerichtig von ein paar russischen Oligarchen verklagt wird.

War wirklich eine anregende Lektüre, die ich hatte. Ein glücklicher Nachmittag. Ich war so vertieft und ganz bei mir im Lesen und Bedenken. Inzwischen war es kalt geworden. Ich fror. Ich packte alles zusammen, stellte die Tasse zurück auf die Bar und ging nach Hause.

Ging nach Hause. Mitten im dritten Weltkrieg, der, so scheint es, gerade begonnen hat. Die Verhaltenslehre der Kälte hat gerade Konjunktur. Wir sind „ohnmächtig, auch wenn wir keine Pazifisten mehr sein wollen“, sagt Helmut Lethen. Ich will aber immer noch Pazifist sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bodrah

Zeitsprung

Damals Herumtreiber, nun schon lange sesshaft. Politisch herumsektiert, aber nie als Stalinverehrer, da war Trotzi vor. Inzwischen mach ich mir meine eigenen Gedanken.

Bodrah

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