Ma(h)l am Abend allein zu Haus

Coronakrise Corona macht vor den wichtigen Festen keinen Halt. Viele Menschen erleben die Restriktionen an Ramadan als drastische Einschränkung.

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Es würde nur wenige Wochen dauern, was im Zuge der aktuellen Corona-Krise weltweit an Restriktionen auf die Menschen zukommt, glaubte man. Die Landesregierungen beschlossen - was oft verkürzt der Bundesregierung zugeschrieben wird - Mitte März, strikte Maßnahmen zur Eindämmung oder sogar Bewältigung der Corona-Pandemie zu ergreifen.

Bundesweit wurden (Hoch-)Schulen, Kitas, der Einzelhandel und Lokale auf unbestimmte Zeit geschlossen. Um der Ausbreitung des unbekannten Virus entgegenzuwirken, wurde die physische Distanzierung angeordnet, die unter anderem zur exzessiven Nutzung der Sozialen Medien geführt hat. Doch wer glaubt, dass diese nur zur Selbstprofilierung geführt hat, der irrt. Denn in einer Pandemiewelle sitzen alle im selben Raum, und es gibt absolut nichts zu tun. Eine neue Ära brach vor wenigen Wochen im digitalen Zeitalter an: Das Ende der Selbstdarstellung in den Sozialen Netzwerken und stattdessen: Mehr Postings mit sinnvollem Inhalt als je zuvor. Lehrer*innen boten auf Twitter ihre Hilfe an, indem sie Schüler*innen kostenlose Nachhilfestunden via Zoom gaben und sie mit reichlich Arbeitsmaterial versorgten. Über Instagram haben sich zahllose Menschen bereit erklärt, Einkäufe für ihr Umfeld zu übernehmen. Diese Hilfe galt besonders für ältere Nachbarn und Eltern, die die goldene Mitte zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung in den ersten Wochen noch nicht gefunden hatten. Diese Aktionen lösten in den letzten Wochen eine Welle der Solidarität aus, und das war zu Beginn des Social Distancings sehr notwendig.

Selten populär waren Videochats, Facetime-Anrufe und Live-Auftritte via Instagram. Viele Unternehmen haben sich dies zunutze gemacht: Die Präsenzveranstaltungen an den Hochschulen fallen in diesem Sommer - soweit absehbar - komplett aus, dafür gibt es nun die digitale Lehre über Online-Netzwerke wie Zoom oder WebEx. Der Unterricht an Schulen fand in den letzten Wochen im virtuellen Klassenzimmer statt und auch Mediziner nutzen stärker als bisher Videokonferenzen, um die vielen Fragen der Menschen in der virtuellen Arztpraxis zu beantworten. So effektiv die Sozialen Netzwerke in Zeiten von Corona wirken mögen, ganz ersetzen können sie das Zusammentreffen von Familien und Freunden auf Dauer nicht.

Nach Ostern und Pessach nun Ramadan: Corona hindert das Zusammentreffen von Menschen an wichtigen Feiertagen

Wer hätte gedacht, dass die Maßnahmen so lange halten würden? Vorbereitet war niemand auf eine Pandemie, die weltweit so viele Todesopfer forderte und vorrausichtlich weiter fordern wird. Nicht Wenige haben es inzwischen aber aufgegeben, die aktuellen Fallzahlen, Lageberichte und der allgemeinen Infektionsschutzratschläge des Robert-Koch-Instituts (RKI) nachzuverfolgen. Viele Menschen haben genug vom Social Distancing, sie fühlen sich belastet durch die angespannte Stimmung, das paranoide und egoistische Verhalten ihrer Mitmenschen in den Supermärkten und durch den fast vollständigen Ausfall wichtiger Feiertage in diesem Jahr. Den Gottesdienst an Ostern nicht besuchen zu können, oder nur unter erschwerten Bedingungen das siebentägige Pessachfest feiern, das bringt die Corona-Krise derzeit mit sich. Auch Muslime spüren die Restriktionen in einer Zeit, die normalerweise für die intensive Begegnung mit Freunden und Verwandten gedacht ist: Kontaktverbote, geschlossene Moscheen und das isolierte Fastenbrechen. Dieser Ramadan wird wohl dauerhaft im Gedächtnis bleiben.

Vor dem Sonnenaufgang aufstehen, sich spirituell besinnen, sich vor materiellen Bedürfnissen enthalten und das Fasten brechen, wenn die Sonne wieder untergeht, das ist die gängige Praxis und vermittelt den allgemeinen Sinn des Ramadans. In dieser Zeit besuchen oft viele die Moschee, sitzt gemeinsam mit der Familie am Esstisch, trifft sich nach dem Fastenbrechen mit Freunden zum Kaffee oder im besten Fall bricht man das Fasten gemeinsam. Das alles fällt in diesem Jahr weg. Doch gerade das Verbot der Moscheebesuche ist im Fastenmonat besonders für Ältere das Schwierige, denn die Moschee gilt für sie nicht nur als Ort der Gebete, sondern ist auch ein Raum des sozialen Austausches. Während einige Verbände noch darüber sprachen, ob sie denn nicht einen Antrag auf Ausnahmegenehmigungen stellen könnten, um wenigstens die Freitagsgebete unter strikten Vorsichtsmaßnahmen abhalten zu können, bestätigte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, dass bis zum 9. Mai keine Moschee wieder geöffnet werde. Wenn die Fallzahlen dies erlaubten, werde sein Verband die Moscheen schrittweise, unter Vorsichtsmaßnahmen, wieder für einzelne Pflichtgebete öffnen. Trotz veränderter Bedingungen haben einige Gemeinden Wege gefunden, um die Nachtgebete über Online-Netzwerke live zugänglich zu machen. Das Gefühl des kollektiven Daseins scheitert also nicht, wenn man möchte.

Ma(h)l am Abend allein zu Haus

Gelegentlich am Abend allein zu Hause sein, ist weniger bedrückend, als wenn man alleine das allabendliche Fasten brechen muss. Die Kontaktsperre prägt seit Wochen den Alltag. Doch sich in diesem Jahr nicht mit großer Verwandtschaft zum Fastenbrechen zu treffen, wird dabei gar nicht als die größte Belastung wahrgenommen. Stärker fehlt oft die engere Familie. Viele Twitter-User*innen berichteten, dass sie allein wohnen und zum Fastenbrechen nicht zu ihren Eltern fahren können, weil diese zur Risikogruppe gehören. Da bekanntlich der Infektionsverlauf mit dem neuartigen Coronavirus bei jungen Leuten häufig milde verläuft, sind sich viele nicht sicher, ob sie das Virus in sich tragen. Eine Instagram-Umfrage hat ergeben, dass viele den diesjährigen Ramadan als ungewöhnlich, ja befremdlich empfinden. So schrieben User*innen, dass ihnen die soziale Interaktion und das Fastenbrechen mit Freunden sehr fehle. Eine User*in berichtete allerdings, dass sie durch die Kontaktsperre und die eingeschränkten Möglichkeiten, sich etwa mit Freunden zu treffen, viel mehr Zeit hätte, sich spirituell zu besinnen. Dass etwas im diesjährigen Ramadan fehlt, bleibt unumstritten. Eine Annehmlichkeit bringt die Kontaktsperre und Selbstisolation während des Fastenmonats aber wenigstens mit sich: Die alljährlichen, zum Klischee erstarrten Fragen wie jene, ob man denn auch nicht ein wenig Wasser trinken dürfe, bleibt in diesem Jahr aus. Im kommenden Jahr dürfen sich dann viele wieder über die Fragen zum bislang wenig recherchierten Fastenmonat freuen, der ihren Nachbarn oft noch so fremd ist.

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