"So ein geiler Typ"

Amthor Philipp Amthors Lobbyskandal erschüttert die Republik. Doch es gibt auch etwas, was er jetzt für die parlamentarische Demokratie tun könnte. Ein Kommentar.

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Hände hoch: Wer von Euch hat das nicht auch schon mal über Philipp Amthor gedacht?

Philipp Amthor ist der junge Hoffnungsträger der CDU - Und stockkonservativ

Okay, zugegeben: Wahrscheinlich niemand. Oder wenn, dann höchstens mal ganz kurz. Zum Beispiel als das Video von der ersten Bundestagsrede von Philipp Amthor, der 2017 mit 25 Jahren ins Parlament gewählt wurde, viral ging. In ihr hatte der Jurist, Amthor hat schon vor seinen Einzug in den Bundestag das zweite juristische Staatsexamen abgeschlossen, nämlich einen Antrag der AfD für ein Burka-Verbot auseinander genommen. „Hören Sie mir mal zu, dann können Sie noch was lernen!“ Hat er damals während seiner Rede unter anderem gesagt. Seine These: Wenn man in einem so sensiblen Bereich wie die Religionsfreiheit eingreifen will, dann sollte man zumindest wissen, was man tut und ein wasserfestes Papier vorlegen. Doch: „Zwei Drittel der Abgeordneten in Ihrer Fraktion sind Juristen. Von dieser Expertise kann man in Ihrem Antrag aber gar nichts finden!“, schimpfte Amthor.

Eine verhängnisvolle Nebentätigkeit

Aber auch schon damals wäre ein progressiver Hype um Amthor ungerechtfertigt gewesen, denn dieser junge Mann, der es da in seiner Rede mit beinahe 90 Faschist*innen aufnahm, tat das nicht, weil er ein Burka-Verbot falsch fände. Im Gegenteil: Wüsste er einen grundgesetzkonformen Weg, um die Vollverschleierung aus religiösen Gründen zu verbieten, Amthor würde sie vermutlich direkt selbst beantragen. Als bei einer Wahlkreisveranstaltung nach der Fußball Weltmeisterschaft 2018 ein Anhänger Amthors den ehemaligen Fußballnationalspieler Mesut Özil als „Ölauge“ beschimpfte, lachte dieser. Und als auf der selben Veranstaltung wenig später die Nationalhymne gesungen werden sollte, spottete Amthor sogar selbst: „Hier ist ja jetzt kein Moslem, der das jetzt nicht singen kann.“ Das war rassistisch.

Ja, Amthor mag jung sein und beispielsweise die modernen digitalen Kommunikationswege entsprechend gut beherrschen. Und ja, Amthor ist auch intelligent, gebildet und versteht viel vom politischen Geschäft. Anders ist nicht zu erklären, dass er vermutlich noch in diesem Jahr, mit dann 27 Jahren, CDU-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern werden und dort dann nächstes Jahr mit 28 auch als jüngster Ministerpräsident aller Zeiten kandidieren wird. Aber Amthor ist auch durch und durch konservativ. Und so sehr in der CDU verwurzelt, dass er sich vielleicht ein kleines bisschen zu sehr an Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble sowie ihrer Spendenaffäre orientierte. Der Reihe nach.

Amthor nutze seinen politischen Einfluss für ein US-Unternehmen

Das: „So ein geiler Typ!“ Stammt nämlich aus einem internen Firmenchat von Augustus Intelligence, einer Firma, die irgendetwas mit Künstler Intelligenz macht, was genau, verrät sie nicht und die im New Yorker One World Trade Center sitzt. Ihre Firmengründer sind zwei deutsche US-Auswanderer: Wolfgang Haupt und Pascal Weinberger. Letzterer gilt laut Forbes als KI „Wunderkind“ und hat den Satz geschrieben. Warum? Ganz einfach: Nachdem Amthor die Gründer kennengelernt hatte und von ihnen in das Board of Directors, vergleichbar mit einem deutschen Aufsichtsrat, aufgenommen wurde, schrieb er einen Brief am Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Altmaier ist wie Amthor in der CDU. Und den Brief schrieb Amthor auf Briefpapier des Deutschen Bundestages, also in seiner Funktion als gewählter Abgeordneter und nicht als Aufsichtsratsmitglied bei Augustus Intelligence. Konkret warb Amthor bei Altmaier für die Firma, sie sei eine tolle „politische Investitionsmöglichkeit“ und wolle gerne auf dem deutschen Markt Fuß fassen. Er wolle deswegen gerne ein Treffen zwischen den Firmenchefs und Altmaier vermitteln. Dieser Bitte folgte das Ministerium prompt: Zwar traf sich statt Altmaier sein Stellvertreter Christian Hirte (auch CDU) mit Amthor und den Augustus-Leuten, der jedoch gleich zweimal. Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lud sie ein, weil er auch für digitale Infrastruktur zuständig ist.

Da liegt die Frage nah, welches Interesse die Menschen in Philipp Amthors Wahlkreis daran gehabt haben. Schließlich agierte Amthor mit seinem Brief ja als ihr gewählter Vertreter im Bundestag. Tatsächlich aber dürfte statt den Bürger*innen eher Amthor selbst ein Interesse am Firmenerfolg von Augustus Intelligence gehabt haben. Denn für seine Arbeit im Board of Directors erhält der CDU-Politiker zwar kein Gehalt aber Aktienoptionen. Und die funktionieren so: Amthor bekommt durch sie die Option zu einem späteren Zeitpunkt Aktien zum heutigen Preis zu kaufen. Werden die Aktien bis dahin wertvoller - beispielsweise weil der Bundeswirtschafts- oder -verkehrsminister die Rahmenbedingungen für das Unternehmen verbessert hat - kann er die günstig zu kaufenden Aktien direkt teurer weiterverkaufen. Macht also anders als beim Aktienhandel für Privatpersonen üblich ohne Risiko Gewinn.

Es braucht mehr Transparenz im Bundestag

Zwei Punkte sind zur Einordnung hier wichtig:


1. Abgeordnete im Bundestag dürfen Nebentätigkeiten nachgehen. Aber sie dürfen ihren politischen Einfluss natürlich nicht nutzen, um daraus einen unternehmerischen Vorteil zu erzielen. Im Klartext: Wer als Abgeordnete*r einer Nebentätigkeit nachgeht, darf natürlich nicht für seinen Arbeitgeber Lobbyarbeit leisten. Sonst macht man sich strafbar. Ob Amthor sich strafbar gemacht hat, könnte nach einer Strafanzeige von Nico Semsrott nun bald die Staatsanwaltschaft prüfen.

2. Amthor machte weder in seinem Brief an Wirtschaftsminister Altmaier noch gegenüber den Menschen in seinen Wahlkreis transparent, dass er die Aktienoptionen besitzt. Zwar gab er gegenüber der Bundestagsverwaltung, bei der Abgeordnete ihre Nebentätigkeiten anmelden müssen, an, dass er im Board of Directors von Augustus Intelligence sitzt, Aktienoptionen sind bislang jedoch anders als konkrete Gehälter nicht veröffentlichungspflichtig. Das ist übrigens ziemlich absurd und soll nun deswegen auch verändert ändert werden. Ein Beispiel: Amazon-Gründer Jeff Bezos wird jedes Jahr um mehrere Milliarden Euro reicher. Das aber ja nicht wegen des Gehaltes, das er als Amazon-Vorstand bezieht, sondern weil der Wert der Amazon-Aktien, die er besitzt, immer weiter steigt. In einem sich immer stärker ausprägenden Finanzmarktkapitalismus muss der Besitz von Aktienoptionen deswegen transparent sein, weil sie längst das für Unternehmen attraktivste Mittel geworden sind, um Leute für Nebentätigkeiten oder Lobbyismus zu entlohnen. Nicht nur in der Politik. Aber hier braucht es eben die Transparenz, weil man als Bürger*in beispielsweise in Amthors Wahlkreis ein berechtigtes Interesse daran hat, nachzuvollziehen, ob der Abgeordnete den Brief gerade schreibt, weil von Augustus Intelligence wichtige Investitionen in meiner Heimatstadt zu erwarten sind oder weil er selbst damit Geld verdienen möchte.

Desweiteren wurde Amthor von Augustus Intelligence zu Firmenreisen - und das ist kein Witz - in Privatjets und mit Austern und Champagner eingeladen. Wer für die Spesen Amthors dabei zahlte, ist unklar. Hier steht der Vorwurf der Bestechlichkeit im Raum. Auch der wird nach einer Anzeige wohl strafrechtlich geprüft werden.

Augustus Intelligence setzt neben Amthor noch auf weitere Ex-Politiker, einem davon sollte Amthor eigentlich bald im Bundestag begegnen

Bevor wir zum Fazit kommen, müssen wir jetzt noch kurz über Augustus Intelligence selbst reden. Weil das alles echt schwer zu glauben ist. Also: Aus den vom Spiegel geleakten internen Chats der Firma geht hervor, dass die Firmengründer planen in wenigen Jahren die wertvollste Firma der Welt aufzubauen. Nach Aussage zweier ehemaliger Mitarbeiter, die sich inzwischen in einem Rechtsstreit mit Augustus intelligence befinden, haben sie bislang aber weder ein fertiges Produkt, noch nennenswerte Umsätze oder relevante Kunden. Bisweilen sollen - auch das berichten die Ex-Mitarbeiter - Mitarbeiter*innen sogar aufgefordert worden sein, Freund*innen mit zur Arbeit zu bringen, wenn potenzielle Investor*innen die Büros besichtigen kommen, damit es nicht so leer und ordentlich geschäftig aussieht. Das kann man sich eigentlich nicht ausdenken.

Und Amthor ist nicht der einzige aus der deutschen Politik bekannte Mann, den es nun zu Augustus Intelligence verschlagen hat: Auch der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor (Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und) zu Guttenberg, der entlassene Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU) und der ehemalige BND-Präsident August Hanning (parteilos) sind für die Firma tätig. Das übrigens hätte Amthor zu denken geben sollen: Wieso braucht eine Firma, wenn sie ein seriöses Geschäftsmodell hat, noch einen Bundestagsabgeordneten als Aufsichtsrat, wenn sie doch einen ehemaligen Wirtschaftsminister in ihrem Vorstand hat, um Kontakte zum amtierenden Wirtschaftsminister herzustellen?

Aber auch die Zusammenarbeit mit Hans-Georg Maaßen, der sich in seiner Freizeit für die Werteunion, eine CDU-interne Gruppierung, die auf eine Zusammenarbeit mit der AfD hinarbeitet, engagiert, ist für Amthor problematisch. Denn Amthor sitzt für die CDU im Bundestag in dem Untersuchungsausschuss, der den Anschlag auf den Breitscheidtplatz politisch aufklären soll und demnächst unter anderem Hans-Georg Masßen als Zeugen vorladen wird. Wie soll Amthor glaubwürdig und vor allem kritisch aufklären, ob sich die Behörde seines Geschäftspartners falsch verhalten hat? Es ist unmöglich. Amthor hat seinen Rückzug aus dem Gremium deswegen nun auch nach tagelangem Druck angekündigt.

Warum die Reaktion von Amthor unserer Generation schadet

Amthor hat zu all dem übrigens nur bei Instagram geäußert. Dort schreibt er Sätze wie: „Ich bin nicht käuflich.“ oder „Es war ein Fehler.“, die wie eine Entschuldigung kleinen. Doch er schreibt auch: „Mein Engagement für das Unternehmen entspricht rückblickend nicht meinen eigenen Ansprüchen an die Wahrnehmung meiner politischen Aufgaben. Dieses Kapitel ist mir eine Lehre. Deshalb habe ich die Konsequenzen daraus gezogen und meine Nebentätigkeit beendet.“ Und damit suggeriert Amthor, dass er selbst über sein Verhalten urteilen könne und objektiv darüber entscheidet, was angemessen ist. In eine ähnliche Kerbe schlägt der stellvertretende Vorsitzende der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU Johann Wadephul: Amthor sei „eben noch jung“. Ich habe daraufhin mal auf meinen Personalausweis geguckt und festgestellt, dass das eigene Alter nichts mit Korrumpierbarkeit zu tun hat. Ich bin jünger als Philipp Amthor und sicher nicht bestechlich. Aber Spaß bei Seite: Wer als Abgeordneter im Deutschen Bundestag sitzt, für einen CDU-Landesvorsitz kandidiert und Ministerpräsident werden will, der kann auch Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Wer zulässt stattdessen auf sein Alter reduziert zu werden, schadet damit dem Ansehen und auch dem Einfluss unserer Generation. Und das obwohl wir uns gerade mit dem Protesten von Fridays for Future, Black Lives Matter und gegen Uploadfilter Gehör erkämpft hatten. Amthor hat der Aussage Wadephul übrigens nicht widersprochen.

Und damit kommen wir zum Fazit. Philipp Amthor hat sich politisch unglaubwürdig gemacht. Er scheint käuflich zu sein und nicht über die notwendige moralische Integrität zu verfügen die notwendig ist, um Bundestagsabgeordneter zu bleiben oder gar Ministerpräsident zu werden. Sein intransparentes Handeln hat - selbst wenn es juristisch nicht verboten war - das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie und die Unabhängigkeit der Abgeordneten erschüttert. Das ist der härteste Vorwurf dem man einem Politiker oder einer Politikerin machen kann. Aber er ist begründet. Philipp Amthor ist auf ganzer Linie kein „geiler Typ“.

Es braucht endlich wieder Rücktritte in der Politik

Als ich anfing, diesen Text zu schreiben, wollte ich eigentlich mit einem anderen Aufmacher beginnen: Dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg, nachdem er seinen Doktortitel 2011 wegen Plagiaten in seiner Dissertation verloren hatte. Doch es gibt einen besseren Vergleich: Als Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler musste Jürgen Möllemann (FDP) nämlich 1993 zurücktreten, weil er auf dem Briefpapier des Ministeriums Werbung für Einkaufswagen-Chips gemacht hatte, die von der Firma eines angeheirateten Vetters vertrieben wurden.

Rücktritte nach falschem Verhalten sind in der Politik wichtig. Weil sie Vertrauen stiften. Sie zeigen, dass der politische Betrieb sich selbst reguliert. Doch sie sind ganz schön aus der Mode gekommen: Ernähungsministerin Julia Klöckner (CDU) zum Beispiel ist trotz zahlreicher Lobby-Skandale noch immer im Amt. Selbes gilt für Anja Karliczek. Oder auf Landesebene für Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP). Vielleicht habt ihr es nicht mitbekommen: Unmittelbar nachdem ihre Partei eine Spende von 50.000€ annahm, vergab ihr Ministerium einen Auftrag im Umfang von 600.000€ an die selbe Firma. Politische Konsequenzen? Fehlanzeige.

Der Wulff-Rücktritt hat die Integrität des Bundespräsidenten gesichert

Der letzte große staatspolitische Rücktritt war der von Christian Wulff als Bundespräsident 2012. Also vor acht Jahren. Wulff hatte sich, das belegt sein Freispruch, juristisch zwar nicht schuldig gemacht, trat aber zurück, weil es zu massive politische Zweifel an seiner politischen Integrität gab. In diesem Fall übrigens vor allem weil eine Kampange der BILD-Zeitung diese streute. Amthor könnte nun die Trendwende bringen, mit einem Verzicht auf sein Bundestagsmandat und einem Rücktritt von der Kandidatur um den CDU-Landesvorsitz. Er würde damit politische Verantwortung für seinen Fehler übernehmen und damit das Vertrauen in die Integrität des Parlamentarismus wieder stärken. Das wäre gut und verdammt wichtig.

Und es müsste ja noch nicht mal für immer sein. Denn dass man nach einem Rücktritt auch zurück kommen kann zeigt zum Beispiel Wolfgang Schäuble nach der eingangs erwähnten CDU-Spendenaffäre. Aber in diesem Moment wäre erstmal der Rücktritt wichtig. Und Philipp Amthor fiele ja ganz sicher nicht ins bodenlose.

Im Gegenteil: Nicht nur die parlamentarische Demokratie sondern auch er gewänne damit wieder an Respekt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Bühlbecker

Jan Bühlbecker. Slam Poet, Jungsozialist & Sozialdemokrat. Liebt Queer-Feminismus, Fußball, das Existenzrecht Israels & Hashtags.

Jan Bühlbecker

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