Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.3

Das Logbuch geht weiter: Brötchen oder Abendmahl?

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„Merkt ihr was von den Ausgehverboten?“ höre ich von irgendwem. „Nö!“ Wie auch, denke ich, es hat doch sowieso alles zu. Fast alles. Dass das Berliner Titanic-Management zwischen 1.00 und 5.00 Uhr nicht rausgeht, ist klar. Schließlich muss es die Legende nähren, dass es nachts tagt. Anders als mit totaler Übermüdung sind die redundant absurden Dekrete auch nicht mehr zu erklären. Meine Schwester hingegen genießt die nächtlich leeren Straßen in Neukölln. Zum Beispiel, wenn sie an Gründonnerstag von einem privaten Essen mit dem Rad nach Hause fährt. Um Ostern kann mal nun endlich mal Leute besuchen, es ist ja niemand verreist.

Äußerst liderlich finde ich übrigens den Umgang mit unseren Feiertagen: Früher war am Gründonnerstag um 24.00 Uhr Schluss mit der Party, weil dann Karfreitag war. Heuer wurde davon gesprochen, dass Gründonnerstag zum Feiertag werden soll. Aber wozu? Wenn Donnerstag und Karfreitag doch wieder alle Bäcker offen haben – was sind denn das für Feiertage? Bei unserem Bäcker arbeiten im Verkauf ausschließlich Zugewanderte. Kann man so Intergration betreiben, oder gar ein Interesse für unsere Kultur wecken? Oder gibt es diese Kultur womöglich gar nicht mehr? Wenn unsere öffentlichen Feiertagsverrichtungen nur noch daraus bestehen, ebenso wie an jedem anderen Tag zwischen 9.00 und 11.00 Brötchen zu holen, anstatt in die Kirche zu gehen, für das Brot zu danken und der Opfer Jesu Christi zu gedenken, frage ich mich, was eigentlich an die Stelle traditionell christlicher Gepflogenheiten getreten ist. Ich war nie ein besonders guter Christ oder frommer Kirchengänger, doch etwas Feierlichkeit und Anlass zur inneren Einkehr mit schöner Musik darf gerne Bestandteil unserer Kultur bleiben. So bleibt nur der Gang zum Bäcker. Statt Ge- und Nachdenken sind Kaufen und Verkaufen das, was die Menschen in unserem Stadtteil an diesem Karfreitag zusammenbringt. Eingetütet werden die frisch aufgebackenen Brötchen, wie schon erwähnt, von Menschen aus anderen Kulturen. Die könnten an diesem Tag nicht mal feiern, wenn sie wollten, weil sie ja arbeiten müssen. Für Brötchen, die wir zuhause genauso gut selber aufbacken könnten. Deshalb boykottiere ich den Bäcker heute, eine mitmenschlichere Tat fällt mir nicht ein. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich tue dies nicht als braver Christ, sondern als jemand, der ein paar verbindende kulturelle Merkmale und einen gewissen Restsinn von Feiertagen für durchaus angemessen hält.

Sündigen sollte man übrigens auch wie ein guter Christ, nämlich in den eigenen vier Wänden. Hilfestellung gibt dieses Jahr Herr Kalkofe mit einer zweistündigen „Mattscheibe“, der sich sogar noch einige Making-Ofs anschließen. Wir schämen uns, dass wir das gucken. Doch unser Lachen überstimmt das Schämen. Ein Lachen, herzhafter als jedes andere im gerade zu Ende gegangenen ersten Corona-Jahr. Auch wenn uns diese Sendung umso drastischer vor Augen führt, was es ist, das die christliche Kultur mittlerweile meilenweit hinter sich gelassen hat: gottvergessene Dummheit biblischer Ausmaße.

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