Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.42

Das Logbuch geht weiter: Ende und Anfang – von was?

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Weihnachten steht für einen Anfang. Deshalb machen wir es uns so nett wie möglich – Hauptsache, der ganze Wahnsinn bleibt ein paar Tage vor der Tür. Wir finden sogar ein Restaurant, in dem Geimpfte nicht getestet sein müssen. Dummheit? Heldenmut? Anarchie? Widerstand gegen die Staatsgewalt? Oder schlichtweg gesunder Menschenverstand? Aber liegen all diese Attribute in Zeiten der Corona-Krise nicht sowieso dicht beieinander? Ungeimpfte kommen schon längst nirgends mehr rein. Alle Ungeimpften? Nein, Schüler bis 18 Jahre müssen keine FFP2-Masken tragen, da reichen die blauweißen Flatterlappen. Hat das Gesundheitsministerium die bahnbrechende Entdeckung gemacht, dass die Viren Jugendlicher weniger aggressiv als die der Erwachsenen sind? Noch sensationeller ist die Erkenntnis unserer Regierung, dass ungeimpfte Schüler ruhig im Dönerladen herumlungern können, da sie durch ihre Schulpflicht ja sowieso permanent getestet seien. Als ich diese Information vom Döner-Mann bekomme, schaue ich ungläubig auf den Kalender an seiner Wand. Äääh – jaaa – OK – aber liegt die letzte Schultestung heute, am 2. Januar nicht schon fast zwei Wochen zurück? Ein Testnachweis übrigens wird nicht gefordert, das einfache Abfragen des Alters soll hier genügen.

Freunde von mir sehen das nicht so entspannt: Waren sie erst kürzlich noch gern gesehener Besuch in unseren vier Wänden – ohne Test – wird nun mein Test bereits vor Ablauf einer 48-Stunden-Frist nicht mehr akzeptiert. Man kegelt mich ohne weitere Optionen oder Erklärungen aus einem geplanten privaten Filmabend. Testen ist en vogue. Es gehört dazu, wie das kleine Mitbringsel oder der Schal, den man sich im Winter für den Weg umbindet. Andererseits machen Gerüchte von neuartigen Partys der “Ungeimpften” die Runde. Darf man da denn hingehen? Sind mehr als vier Haushalte nicht illegal? Und dann dieses ganze subversive Vertrauen in potenzielle Lebensgefährder – untergräbt das nicht unsere neue Leitkultur? Und darf man Geselligkeit einfach nur davon abhängig machen, wie gesund man sich fühlt? Das klingt mir doch alles sehr suspekt! Und überhaupt: Gesund für was oder wen eigentlich?

Silvester steht üblicherweise für ein Ende und einen Anfang. Dieses Jahr scheint es eher eine Simulation von Silvester zu sein, eine Verlegenheitslösung, weil man es eben nicht besser weiß. Selbst das Unterbinden des Böllerhandels kann nicht verhindern, dass viel Lärm um nichts gemacht wird – und zwar in bester Proletentradition bereits ab mittags. Menschen, die nichts zu sagen haben, feiern lautstark ihre Ohnmacht, nachdem sie Medienberichten zufolge nach Holland gefahren sind, um sich dort mit Krachmachern einzudecken. Als ich um Mitternacht vom Balkon aus auf die Straße schaue, ist dort keine Menschenseele zu sehen. Dennoch hört man sie lachen und grölen, wahrscheinlich in für mich nicht einsehbaren Winkeln der Häuserschluchten oder an offenen Fenstern und auf Balkonen um die Ecke. Silvestergeräusche ohne Menschen, eine Theaterinszenierung könnte nicht effektvoller sein. Den stärksten Effekt jedoch verursacht eine durch das sinnentleerte Treiben aufgeschreckte Taube, die wie aus dem Nichts auf mich zurast und erst knapp eineinhalb Meter vor mir abbiegt. Der Schreck fährt mir in die Glieder, und ich frage mich, was diese Menschen eigentlich zu feiern haben. Dass sie nun ein zweites Jahr herumgebracht haben, in dem sie sich so viel haben gefallen lassen? Oder, dass sie auch im neuen Jahr weiterhin der staatlichen Willkür ausgesetzt sein werden und womöglich bereits ab morgen wieder all diejenigen hassen, die mehr Freiheit einfordern? Eigenschaften wie Duckmäusertum, Feigheit, echtes oder geheucheltes Mitgehen mit den zum Teil aberwitzigen und menschenverachtenden Maßnahmen, die uns antrainiert oder aus dem grauen Vorbewusstsein reaktiviert wurden? Ich bin Silvester am liebsten still, in mich gekehrt und führe gerne angenehme, persönliche Gespräche. Und das nicht erst seit diesem Jahr. Für mich gibt es nichts zu feiern. Nichts, auf das wir aus dem vergangenen Jahr gemeinschaftlich besonders stolz sein könnten und nichts, worauf wir uns in der aktuellen Situation kollektiv freuen könnten. Krach sollte man – wenn überhaupt – dann machen, wenn es einen gemeinsamen Anlass gibt, wenn man zusammen etwas geschafft hat, an dem alle beteiligt sind, oder bei dem alle mitgenommen werden sollen. Oder, so war es in den archaischeren Zeiten, wenn man geschlossen gegen irgendjemanden oder irgendetwas zu Felde zieht. Ich sehe derzeit kein “gemeinsam”, keine Geschlossenheit, sondern überwiegend Spaltung, Separation, Diskriminierung, Schuldzuweisungen und ein bisweilen unerträgliches Alles-auf-Corona-schieben. Sind wir mittlerweile nicht schon ferngesteuert von einer Pandemie, die im Laufe der Zeit immer konstruierter wirkt? Tja, unter diesem Aspekt muss man natürlich irgendwann mal 15 Minuten Dampf ablassen dürfen – so herum erhält das Primatengehabe zum Jahreswechsel dann doch wieder einen Sinn.

Zu guter Letzt erreicht mich diese Woche der späte Neujahrsgruß einer befreundeten Ärztin aus Sachsen. Bei aller Zurückhaltung lässt sie durchblicken, dass sie die aktuelle Politik an ein politisches System erinnere, das sie eigentlich für längst überwunden hielt.

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