Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.13

Das Logbuch geht weiter: Alles muss raus

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Corona ist vorbei, heidewitzka! Jetzt aber raus mit euch, ihr Stubenhocker! Die Kids hängen alle wieder in der Schule ab und die Masken dürfen am Platz sitzend abgenommen werden. Die Freisitze der Straßengastronomie quellen über – natürlich auch maskenfrei. Die Leute haben sich zwar nicht mehr zu erzählen als vor Corona, aber Hauptsache, man kann sich wieder beim Anschweigen bedienen lassen und gucken, wer noch so dort herumsitzt und nichts tut außer gucken, bestellen und verzehren. Auf den urbanen Verkehrswegen und Freiflächen rennen viele noch mit Kaffeefiltern vor der Nase herum, als wären die ihnen in den letzten Monaten angewachsen, oder als trauten sie der plötzlichen Freizügigkeit nicht über den Weg. Recht haben Sie: Warum sollte das Virus schlagartig weg sein? Nur weil die Sonne scheint und sommerlich schwüles Klima herrscht? Auch wenn es komisch aussieht, diese vereinzelt herumlaufenden Leute mit medizinischer Vermummung, während die anderen vor den Cafés vergleichsweise dicht gedrängt “oben ohne” herumlungern: Wenn die Deutschen*Innen wieder dürfen, dann machen sie auch. Und wenn sich ihre Ängste mental eingebrannt haben, dann bitteschön das Trauma auch bis in die letzte Konsequenz zu Ende leben. Denn ja, bei einigen muss man schon fürchten, sie werden sich draußen nie wieder ohne Maske bewegen. Endlich sind wir wieder eine pluralistische Gesellschaft, der man Unterschiede anmerkt. Aus Sachsen höre ich beispielsweise, dass Studierende dort noch immer im Distanzstudium sind. Hoffentlich sitzen auch Sie wenigstens wieder nach der Vereinsamungs-Vorlesung zusammen, zum Beispiel im Eiscafé oder vor dem Döner-Grill, und tauschen sich über die langweiligen Profs aus, die in Online-Vorlesungen noch lebloser wirken als sonst.

Einige staatlich geförderte Musikveranstaltungen dürfen auch schon wieder stattfinden und wir freuen uns für ein paar Schumann-Interpreten – doch dem aufmerksamen Kulturbürger kann nicht entgehen, dass die Live-Kultur, wie wir sie kannten, weiterhin stummgeschaltet bleibt. Warum auch nicht? Wer will denn schon beim Essen und Trinken durch Musik belästigt werden?

Endlich ist Freitag, der 11. Juni, und mit einem Jahr Verspätung startet die EM 2020. Nein, nicht die im Hockey, in der Deutschland einmal mehr von der Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt Vize-Europameister gegen den großen Rivalen Holland wird (übrigens nicht im Fernsehen übertragen), sondern die der motorisch oft minder begabten Kicker, deren einseitiges Eröffnungsspiel heute in der ARD übertragen wird. Wobei der Kommentator sich beim Anpfiff zu dem Ausruf “Der Fußball ist wieder da!” hinreißen lässt, was ich aber eher auf die Fans beziehe. Denn erstens war dieser Sport als einziger nie ganz weg, und zweitens scheint da irgendetwas in der Lautstärkebalance nicht zu stimmen: Konnte man früher selbst in vollbesetzten Hexenkesseln die Kommentatoren in ihren Kabinen immer gut verstehen, ist jetzt der Lärm der nicht einmal halb so vielen Zuschauer so ohrenbetäubend, dass diese Frau aus der Sportsendung, die neben Bastian Schweinsteiger steht, komplett übertönt wird. Ich glaube, sie haben dort eine Verstärkung installiert, die uns suggerieren soll, da fände etwas ganz Besonderes statt. Leider lehrt uns das Spiel eines Besseren.

Zum Thema medialer Unterhaltung fällt mir dann doch noch etwas Kulturelles ein: Irgendwo habe ich gelesen, dass die legendäre Krautfolkband “Bröselmaschine” während der Pandemie unglaublicherweise im öffentlich rechtlichen Fernsehen gesendet wird: WDR, von 1:00 bis 2:20, in irgendeiner Nacht.

Mit acht Tagen Verspätung gratuliert mir ein langjähriger Freund zum Geburtstag. Jetzt bin ich nicht mehr 62, wie meine Mutter annahm, sondern 59*. Wenn sogar das Datum der EM nicht stimmt, warum sollten dann andere Daten stimmen? Bisher ist man davon ausgegangen, dass Corona die Menschen nur räumlich trennt. Offensichtlich sorgt die Pandemie mittlerweile auch dafür, dass man in völlig unterschiedlichen Zeitzonen leben kann.

*In der Tat bin ich 60 geworden.

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