Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.37

Das Logbuch geht weiter: Genesis der Genesung

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Sie sind noch nicht geimpft oder genesen? Dann wird es ab morgen langweilig ...” eröffnet eine hämisch grinsende WDR-Fernsehansagerin ihre Ankündigung des “2G”, das diesen Mittwoch, den 24.11. (pünktlich einen Monat vor Heiligabend) in weitesten Teilen des öffentlichen Lebens in Kraft treten wird. Nun ist die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen “G”ruppierungen also nicht nur gesetzlich verordnet, sondern auch salonfähig und darf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das eigentlich für alle da sein sollte (und auch von denen bezahlt wird, die nicht mal fernsehen), ausgelebt werden. Ich stelle mir einen Covid-Patienten vor, der als “noch nicht Genesener” just einen Schwerstverlauf erleidet und nun aus dem Fernsehen erfährt, das es für ihn “ab morgen langweilig wird”. Meint die Dame, dass ihm ein neuer langweiliger Tag am Beatmungsgerät bevorsteht, oder dass er nicht hinter dem Bus herrennen kann, den er auf den letzten Drücker noch zu erreichen versucht – zumal er ihn sowieso nicht mehr benutzen darf? In Amerika hatten die Schwarzen früher ja wenigstens noch eigene Sitzplätze in den Bussen, bis ein Weißer sie zum Stehen nötigte. Ungeimpfte oder Ungenesene dürfen bei 2G gar nicht mehr in den Bus, bei 3G müssen sie versuchen, morgens um sieben eine offene Teststation zu finden. Obwohl – wir erinnern uns – von Ihnen keinen Deut mehr oder weniger Gefahr für andere ausgeht, als von Geimpften. Sie selbst sind die Lebensmüden – alleine das reicht, sie nun endlich mal gründlich abzustrafen.

Das letzte Mal, dass das Wort “genesen” in geflügelten Worten benutzt wurde, war “Am deutschen Wesen mag die Welt genesen”. Das war 1861. Danach hat das deutsche Wesen in der Tat einige Male nachdrücklich auf sich aufmerksam gemacht. Der Fortschritt ist: Früher waren wir aggressiv gegen andere Völker, heute sind wir es gegen die eigenen Leute. Ist ja auch viel unverdächtiger, da kann uns wenigstens niemand Fremdenfeindlichkeit unterstellen.

Aus meinem Umfeld kam heute die in vollem Ernst gestellte Frage, ob Supermarkt-Selbsttests eigentlich “Bürgertests” seien. Äh, nein – dann könnte man ja für einen lächerlichen Aufpreis von Einsneunzig alle 3G-Freuden genauso genießen wie Geimpfte und Genesene. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig die Tücken des “+” bei vielen Leuten ankommen. Zu diesen Leuten gehören auch Erwachsene, die andere Erwachsene unterrichten. Apropos: Ex-Kollegen (geimpft wie ich, ich erwähnte es bereits letzte Woche) bestehen darauf, dass alle, die an einem Vorweihnachtstreffen teilnehmen wollen, getestet sind. Auf meine charmanten Alternativvorschläge (unter anderem Impfpasskontrolle durch eine Glasscheibe hindurch) wird nicht reagiert – in der letzten Mail zum Treffen werde ich nicht einmal mehr angesprochen. Dafür erhalte ich am darauffolgenden Tag eine scheinheilige E-Mail, in der bedauert wird, dass ich am Treffen nicht teilnehmen “konnte”.

So kann man Tatsachen auch verdrehen. Also, wenn das jetzt so schwierig wird, sich privat zu treffen, dann gehe ich doch lieber wieder zu öffentlichen Veranstaltungen mit 2G-Status ohne “+”. Heute entscheide ich mich als Alternative zu meinem verhinderten Kollegentreffen für eine Fotoausstellung von jungen Migranten mit Podiumsdiskussion. Leider sitzt von den Migranten selbst niemand auf dem Podium – und auch im Publikum scheinen nicht allzu viele von ihnen zu sein. Liegt es eventuell daran, dass sie als Ungeimpfte nicht hineindürfen?

Es ist erstaunlich, wie schnell und penetrant sich die jeweils aktuellen Pandemie-Codes einbrennen. Selbst wenn man die einschlägigen Sendungen im Öffentlich-Rechtlichen boykottiert und auf seichte Spielfilmkost ausweicht, wird man durch vermeintlich harmlose Werbebotschaften wie “RTL Plus – jetzt 30 Tage kostenlos testen” sofort wieder getriggert.

Dabei fällt mir auf: Wieso sitzen diese ganzen spreadenden Quasselstrippen in den TV-Shows eigentlich noch immer ohne Maske da, während das harmlos klatschende Publikum komplett maskiert ist? Am Reden kann es nicht liegen – Lehrer müssen sich schließlich auch an der Maske abarbeiten. Komisch auch, dass es noch immer keine deutschen Fernsehserien mit Maske tragenden Akteuren gibt. Wird man uns nach der Pandemie mit abgestandenen Comedy-Samplern und zum x-ten Male wiederholten Krimifolgen abspeisen, die keinerlei Hinweis mehr auf die akute Lebensgefahr enthalten werden, in der wir uns gerade befinden? Wird man den Nachgeborenen womöglich suggerieren, dass es die Pandemie nie wirklich gegeben hat? Dass sie womöglich nur eine Erfindung sei – zum Beispiel von Leuten, die derzeit noch als die bösen Corona-Leugner unterwegs sind? Dokumente, wie es früher war, werden wir später natürlich auch zu Hauf in den Sportarchiven finden: Wird der WDR in einigen Jahren belegen wollen, dass Corona ein Hype der Bayern oder Sachsen war, wird man Bilder des dieswöchigen Derbys gegen Borussia Mönchengladbach aus dem Archiv zaubern. Ein mit 50.000 grölenden Menschen besetztes Stadion ist die zweite rheinische Großtat nach dem Karneval, die helfen wird, Corona in den Geschichtsbüchern auf die hinteren Plätze zu verweisen.

Niedersächsischen Grundschullehrerinnen, die von einer dunklen Zeit, in der die Kinder nicht mal Laternen-Umzug machen durften, berichten werden, wird man dann nicht glauben – wenn sie überhaupt zu Wort kommen. Alleine schon der Umstand, dass Kinder angeblich nicht hinausgedurft haben, wird später unglaubwürdig erscheinen. Und dass sie stattdessen mit Mundnaseschutz zusammengepfercht in den Klassenzimmern gesessen haben, um von dort aus das Virus in die Familien zu tragen. Womöglich wird behauptet werden, dass aufgrund des zwingend vorgeschriebenen Masketragens für die gesamte Unterrichtsdauer Schüler und Lehrer aufgrund von Dehydrierung und Unterzuckerung zusammengebrochen sind – damals, in den finsteren Zeiten. So einen Unfug wird später niemand glauben! Dann werden es vielleicht die Sachsen sein, die Bilder ihrer “Geisterspiele” in Leipzig, Dresden und Aue sowie ihrer leeren Weihnachtsmarktplätze hervorzaubern und sagen: “Doch, es gab Corona!”

Wir schreiben das erste Adventswochenende 2021 und Deutschland wird wieder rot. Zumindest auf der Corona-Karte.

Vielleicht kommt man am besten durch diesen ganzen Wahnsinn, wenn man sich als Geimpfter endlich mal ansteckt. Die Chance dazu wird tagtäglich exorbitant größer, hört man von allen Seiten. Einen schweren Verlauf soll man als Geimpfter dennoch nicht erleiden können, hört man ferner schon seit längerem. Fein, dann ist man ja auch keine Belastung für unsere überlasteten Krankenhäuser. Danach ist man sowohl geimpft als auch genesen, muss erstmal nicht zum “Boostern” und hat als “Durchseuchter” eventuell sowieso genug Immunkräfte, Corona bis zum Ende aussitzen zu können. Aber wann ist Corona eigentlich zu Ende? Wenn es einer der vier oder fünf Politiker sagt, die man jetzt immer auf den Bildern sieht? Oder wenn wir den Inzidenzwert 0 erreicht haben – oder gar den Altersdurchschnitt Israels? Irgendwo habe ich etwas viel Einfacheres gehört: Irgendwann im April. Der Glaube stirbt zuletzt, auch wenn es der an den Osterhasen ist.

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