Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 12

Das etwas andere Logbuch Ab Tag 78 … gehe ich dieses Logbuch noch etwas entspannter an.

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Diese Woche bin ich im Auftrag meiner Geburtstagsparty unterwegs. Doch selbst da, mitten in einem 1-Euro-Laden, bleibe ich nicht von der geballten Ladung Dummheit und Ignoranz verschont, die in diesen Tagen sichtbarer als je zuvor ist. Ein Mitbürger unbestimmter Herkunft, der, wir ich später sehe, vor dem Laden Frau und Kind in einem XXL-Mercedes geparkt hat, steht mitten im Geschäft und beteuert, dass er gar nicht an die Maskenpflicht gedacht habe. Ich schaue ungläubig hoch zur Überschrift dieses Kapitels und reibe mir die Augen: Wir befinden uns in Woche Nr. 12. Großes Auto, kleines Hirn – in unserer Gesellschaft geht das mühelos zusammen. Zu allem Überfluss ruft der Idiot dann auch noch der Bedienung zu, dass er schnell zum Geld holen zum Wagen muss – obwohl er seinen einen gekauften Artikel schon hat scannen lassen. Die an der Kasse ausliegenden Masken schaut er sich an, fasst sie an, und lässt sie liegen. Aufsetzen tut er keine. Warum werden diese Leute noch bedient?

Beim Bäcker erlebe ich eine noch peinlichere Szene: Lediglich ein Kunde - Kaliber “Dick & Doof” - steht im Laden, in dem sich eigentlich zweieinhalb Personen gleichzeitiug aufhalten dürfen. Ich weise die Dame direkt vor mir darauf hin, dass sie noch eintreten könne, sie weist mich darauf hin, dass der Typ vor ihr keine Maske trage. “Dick & Doof” kauft nur einen Kaffeebecher mit Plastikdeckel, den er direkt vor dem Laden trinkt – die ganze Aktion hat mehrere Minuten gedauert. Als ich endlich an der Reihe bin, frage ich – diesmal nicht nur mich selbst, sondern auch die Verkäuferin – warum solche Kunden bedient werden. Sie habe doch Hausrecht und ihre Firma riskiere eine saftige Strafe. Die arme Frau hinter dem Tresen sieht heute nicht gut aus, sie wirkt abgekämpft, erhitzt, angespannt, genervt und hat rote Pusteln auf allen sichtbaren Hautpartien. Resigniert sagt sie, dass sie einfach keine Lust mehr auf diese anstrengenden Diskussionen mit dieser Sorte von Kunden habe.

Vor der Bäckerei sitzt ein unangenehmer Zeitgenosse an einem der kleinen Tischchen. Er beleidigt mich beim Verlassen des Ladens stante pede, und natürlich duzend. Ich solle die Verkäuferin in Ruhe lassen, brummelt er. Meine Frage, ob er überhaupt zugehört habe, scheint er nicht wahrzunehmen. Er zetert, droht, schimpft – ich keife nach dem zweiten oder dritten vergeblichen Versuch, zivilisiert mit ihm zu reden, zurück und gehe. Überflüssig zu erwähnen, dass dieser Giftzwerg ebenfalls keine Maske trägt. Schon früh am Morgen blitzt sie wieder auf, diese hässliche Seite Hannovers. Eine Mischung aus Ignoranz, Dummheit und Primitivität, eine erschreckende Kombination aus der Unfähigkeit, zu kommunizieren mit der Unfähigkeit, die Kommunikation anderer überhaupt zu verstehen, geschweige denn zu interpretieren.

Ein Freund von mir – um mal etwas ganz anderes einzuflechten – muss diese Woche 55 Euro bezahlen, weil er während des Fahrradfahrens in Ermangelung einer Armbanduhr die Uhrzeit von seinem Handy abgelesen hat.

Was man darf, soll oder zu unterlassen hat passt nicht mehr zusammen. Das ist auch ohne Corona so, doch jetzt fällt es mehr auf. Ob sich daran etwas ändern würde, wenn jetzt, wie man es aus Frankreich hört, Drohnen unterwegs wären, die Verstöße mit 250 Euro ahnden? Oder wir so viele Überwachungskameras wie die Chinesen hätten?

Zu den besonders betroffenen Ländern gehören die USA und Großbritannien. Welch eine Ironie – sind doch gerade sie die globalen Big-Player im geheimdienstlichen Überwachungskrieg und hätten die Pandemie als erste antizipieren müssen. Dass man vor ihrer Ausspioniererei nicht sicher ist, ist das eine. Dass jedoch die Bürger dieser Länder mit ihren eigenen Regierungen viel unsicherer leben als die Bürger anderer Länder, ist geradezu haarsträubend.

Zu allem Überfluss sorgen die USA für den unrühmlichen Höhepunkt der Woche. Ein Polizist erstickt einen verhafteten Schwarzen binnen neun Minuten mit dem Knie. Gegen die darauf folgende Welle der weltweiten Entrüstung ist selbst die Pandemie eine lahme Schnecke. Überall (zumindest in den Gegenden, die in unseren Nachrichten vorkommen) finden Demos statt, in den USA verbrüdern sich Polizisten mit Demonstranten und tanzen coronavergessen eng an eng. In Minneapolis soll die Polizei in ihrer bestehenden Form aufgelöst werden, andere Städte wollen folgen. Die Oberente mit der blonden Tolle legt nach: Parallel zu der seiner eigenen Ignoranz geschuldeten Virenverseuchung der Bevölkerung will er nun auch einen militärischen Krieg gegen seine Wähler und Nichtwähler führen.

Wie zu erwarten war, hat unsere Bundesliga eine Antirassismus-Choreografie zu der schrecklichen Tat entworfen. Leider erschließt sich mir nicht, ob der gut einstudiert wirkende Kniefall der Spieler um den Mittelkreis einen Ritterschlag oder den Bewegungsablauf des Mörders in Polizeiuniform symbolisieren soll.

Interessant ist auch ein eurasischer Dialog, der nur am Rande und über gut informierte Kreise zu mir durchdringt: Während Europa seine Corona-Orientierungslosigkeit in kulturellen Unterschieden zu Asien sieht und als Ausdruck einer höheren Individualität euphemisiert, sieht Asien die Corona-Vorsorge als schlichten Akt der Intelligenz. Noch nie war mir Asien so nah wie mit diesem Statement.

All dies kann und darf nicht alles sein, was mir diese Woche bringt. Also versuche ich es mit Schwimmen gehen – denn ganz gegen meine übliche Gewohnheit war ich dieses Jahr noch nicht einmal im Wasser. Leider lebe ich nicht am richtigen Wasser, so wird auch das Anbaden in der undurchsichtigen Brühe der hannoverschen Badeteiche zu einer wahrlich bodenlosen Enttäuschung. Begleitet lediglich vom Autorauschen auf dem darüber hinweg verlaufenden Schnellweg und einer verlorenen Lautsprecherstimme, die durch das fast menschenleere Ricklinger Bad auf der gegenüberliegenden Seite des Teiches hallt.

Die letzte Chance, dieser Woche eine zufriedenstellende Wende zu geben, liegt in meinem oben bereits erwähnten Geburtstag. Alles ist perfekt vorbereitet: Wir haben vier Gartenparzellen organisiert, die sogar bei nur fünf Personen pro Parzelle eine stolze Gästeliste mit 20 Teilnehmern insgesamt ermöglicht. Man weiß ja nie, ob nicht irgendwer in einem der umliegenden Häuser am Fenster hockt und der Polizei eine nicht genehmigte Versammlung mit Zahlenangabe durchgibt. Sowas soll andernorts schon passiert sein.

Teller und Tassen sind gekauft, die Geburtstagstorte bestellt und alle Einladungen per Mail verschickt. Es gibt auch schon Zusagen, wenngleich sich manch einer tot stellt.

Zuvor gibt es wieder die Zeremonie bei meiner Mutter, die heute den zweiten Teil ihrer Tabletschulung von mir bekommt. Diesmal läuft es besser, sie schreibt mit 91 Jahren ihre erste E-Mail und schießt, völlig begeistert von dem großen Display, ein paar Fotos von mir.

Ich sitze ganz klein am Ende des Zweimetertisches mit Maske. Leider reicht die Zeit diesmal nicht zum Geschenke auspacken.

Viele, viele Tage hat es in Corona-Zeiten nicht geregnet. An meinem Geburtstag ist es endlich wieder so weit und die Gartenparty fällt ins Wasser. Wenigsten das Bier wird bis zum nächsten Anlass nicht schlecht. Hoffe ich.

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