Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.40

Das Logbuch geht weiter: „System of a Down“ ...

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… ist nicht nur ein Musikzitat, sondern ein Wortspiel der hintergründigeren Art. Bedeutet der Name doch angeblich „System eines Untergangs“ – was auch am besten zur Musik der gleichnamigen Band passt – so spuckt der erstbeste Englisch-Übersetzer im Netz „Das System der Daunen“ aus, während mein bevorzugter Dienst das „Down“ völlig ignoriert und gleich mit „state of a system“ den „Zustand eines Systems“ anbietet. Einmal mehr bin ich perplex: Alle Begriffe passen trotz unübersehbarer Differenzen nicht nur zusammen, sondern bilden erst in ihrer Bedeutungsgesamtheit den Zustand unserer „realen“ Welt vollständig ab – zumindest wie wir sie dargeboten bekommen beziehungsweise wahrnehmen. Einerseits sind Untergangsszenarien zu unserem Alltag geworden, andererseits leben wir (zumindest in Mitteleuropa) noch immer auf Daunen gebettet, obwohl viele gar nicht mehr wissen, was das überhaupt ist. Man muss auch nichts mehr wissen; es geht einem bei uns dennoch erstaunlich gut. Je weniger man weiß, desto besser geht es einem.

Schaut man sich nun die Zustände unserer Systeme möglichst geschmacks- und wertneutral an, merkt man schnell, dass sich in ihnen vieles gegen sich selbst verkehrt. Auf den Einbahnstraßen meines Viertels beispielsweise fahren die Leute vermehrt in die verkehrte Richtung und wähnen sich dabei scheinbar auch noch im Recht. Oder sie rennen einem direkt vor die Füße und wundern sich, wenn sie dann am Knöchel einen leichten Schlag abbekommen. Nichts wissen heißt also nicht automatisch, auch nichts zu spüren. Wenn man derartige Dysfunktionalitäten schon im Kleinen erlebt, muss man sich über Systemversagen im Großen nicht weiter wundern: Ob es der Vatikan ist, der diese Woche über seine Immobilienmachenschaften endlich auch juristisch stolpert – erstmalig wird ein Kardinal angeklagt und wir wollen mal schauen, wann es den „Papa“ persönlich erwischt – oder ob es israelische Soldaten sind, die seit Wochen im Auftrag einer Geiselbefreiung unterwegs sind, um nun drei von ihnen höchstselbst zu erschießen.

Irgendwann ist immer irgendjemand vom System überfordert und bricht aus – so ist der Mensch nun mal. Und wenn es keine Überforderung ist, dann darf es gerne mal Trotz sein: Fuck the system, I'm individual! Und dabei reden wir hier überwiegend von den ganz einfachen Systemen, die man schon von Haus aus vermittelt bekommt oder die man sich bei gesundem Menschenverstand selbst zusammenreimen kann, weil sie schlichtweg logisch sind. Wie sieht es da erst mit den komplexeren Systemen aus?

Die durchschaut niemand, deshalb entwickelt sich vieles auch so absurd, dass kaum noch wer versteht, warum manche reicher werden und ganz viele ärmer. Auffallend ist bei uns in Deutschland beispielsweise auch, dass immer mehr Leute (die jedoch nicht zu den Armen zu gehören scheinen) nicht arbeiten wollen – also die Interpretation „System der Daunen“ voll und ganz verinnerlicht haben. Oder das Phänomen der zunehmend kryptischer verklausulierten beziehungsweise organisierten Einnahme- und Profitmöglichkeiten, die besonders lukrativ zu sein scheinen, je abstrakter sie sind, und nichts mehr mit den alltäglichen Anforderungen einer funktionierenden Gesellschaft zu tun haben. So sind beispielsweise einige niedersächsische Bauern bis voraussichtlich Heiligabend zwischen Brandenburger Tor und Regierungsviertel unterwegs, weil ihnen existenzsichernde Förderungen gestrichen werden sollen. Man stellt sich also die bange Frage, wie die nicht werktätigen jungen Leute in den Frühstückslokalitäten weiterhin nur halb leer gegessenen Teller stehenlassen sollen, wenn es gar nicht mehr genügend Bauern gibt, die das nötige Getreide für die dazu erforderliche Backwarenüberproduktion erzeugen. Und das, obwohl die EU scheinbar gewillt ist, den totalen Glyphosat-Krieg weiter zuzulassen. Auch ein historischer Wendepunkt dieser Woche: Der Porsche-Minister streicht aufgrund der Schuldenkrise die Subvention für E-Autos – sollen die Leute doch den Tesla stehen lassen und lieber das fossile Pferdchen-Auto kaufen.

Abschließend wieder zurück zum Kleinen, Kommunalen: Bei uns in Hannover werden weiterhin Bäume für geplante Baustellen gefällt, die aus Geldmangel gar nicht erst in Angriff genommen werden können – bei ohnedies gegebener Sinnlosigkeit vieler Neubauprojekte. Frei nach der Devise: „Mein Bauvorhaben geht nicht weiter, also soll der Baum erst recht nicht weiter gedeihen – ätsch!“ Das einzige System, das scheinbar weiterhin funktioniert, ist die Natur – und das ist einigen Leuten offensichtlich so gar nicht recht.

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